Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Franz Böhm, Heidelberg, 22.2.1904, 3 S., hs. (lat. Schrift), Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 52 Nr. 673
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Windelband an Franz Böhm, Heidelberg, 22.2.1904[1], 3 S., hs. (lat. Schrift), Generallandesarchiv Karlsruhe, Abt. 52 Nr. 673
Heidelberg 22t. Februar 1904.[a]
Hochgeehrter Herr Ministerialrat,
Verzeihen Ew. Hochwohlgeboren, wenn ich mir erlaube, Ihre Zeit und Ihr Interesse für eine Frage in Anspruch zu nehmen, die für mich anfängt hier eine Lebensfrage zu werden: die des philosophischen Seminars. ich darf mich hierbei auf die Besprechungen bei meiner Berufung im September 1902 beziehen und beehre mich Ihnen im Anschluss daran Folgendes vorzutragen.
Der Mangel dieser für den heutigen Universitätslehrer wesentlichen Wirkungsweise, die der Philosophie kaum an einer andern Universität mehr versagt ist, macht sich mir in immer empfindlicherer Weise bemerklich: für mich selbst, indem ich von der stetigen und lebendigen Bemühung mit der Jugend abgeschlossen bin, – noch mehr für die Studirenden, deren Arbeit, wenn sie ernst sein soll, dieser Berührung erst recht bedarf. Von allen Seiten wird mir der dringende Wunsch danach immer wieder vorgetragen. Meine Schüler, die mir von Strassburg hierher gefolgt sind, klagen, dass ihre Arbeit stockt: es fehlt ihnen die stetige Benutzung der allgemeinen Litteratur, wie sie dem Studenten nur ein Seminar bieten kann; die Universitätsbibliothek, die in diesem Fache nur sehr mässig ausgestattet ist, verleiht immer nur zwei Werke, und diese nach den unvermeidlichen verzögernden Formalitäten. So geht der eine oder andre dieser Herren während der Ferien nach Strassburg, um dort in dem unter meiner Leitung[2] ausgestatteten Seminar zu arbeiten. Dieser Zustand wird natürlich bekannt: je länger er dauert, um so weniger kann ich darauf rechnen, dass weiterhin, wie es gerade in Strassburg der Fall war, zu mir die bes|seren Zuhörer kommen, die nicht bloss durch Vorlesungen allgemein angeregt, sondern zu ernster, selbständiger Arbeit angewiesen sein wollen. So geht mir die Continuität meiner durch die zwanzigjährige Strassburger Tätigkeit gewonnenen wissenschaftlichen Einwirkung auf die inländische und ausländische Jugend durch den Mangel des seminaristischen Apparates – und damit ein wertvoller Teil meiner Wirksamkeit überhaupt verloren[3].
Nun wissen Ew. Hochwohlgeboren, welche betrübenden Verhältnisse[4] es mir während dieses ganzen Winters völlig unmöglich gemacht haben, auch nur den geringsten Schritt zur Aufhebung der persönlichen Schwierigkeit zu machen, die der sachlichen Notwendigkeit eines philosophischen Seminars hier im Wege steht. So sehr ich das nach jeder Richtung beklage, so habe ich doch den Eindruck, dass es eine sachliche Pflicht für mich geworden ist, die Angelegenheit, so viel an mir liegt, nicht weiter sich verzögern zu lassen. Als daher vor einigen Tagen eine Anfrage umlief, für welche akademischen Zwecke etwa die Räume verwendet werden sollten, die im Sommer durch die Uebersiedlung des theologischen Seminars in das ehemalige Museum[5] frei werden, da habe ich der Facultät den Wunsch ausgesprochen, diese Räume in erster Linie für das philosophische Seminar in Aussicht zu nehmen, dessen Begründung meines Erachtens nur eine Frage der Zeit sein könne: ich glaubte die Gelegenheit wahrnehmen zu sollen, um für den Fortfall späterer räumlicher Schwierigkeiten rechtzeitig das Meinige zu tun.
Dieser Anlass verlangt nun aber auch von mir, dem hohen Ministerium diese ganze Sachlage zu der geneigten Erwägung zu unterbreiten, ob nicht für die Beschaffung der Lehrmittel | und die Begründung eines philosophischen Seminars nun doch möglichst bald der Anfang gemacht werden sollte.
Da ich aber die Schwierigkeiten der Frage vollkommen zu würdigen weiss, so wäre es mir äusserst wertvoll, wenn ich mit Ew. Hochwohlgeboren darüber persönlich verhandeln dürfte. Nun fügt es sich, dass ich am nächsten Samstag (27t.) einer Einladung der Freiburger Juristen-Facultät zum Abschiedsessen meines Schwiegersohns, Prof. Stutz[6] folgen werde. Da könnte ich, ½10 Uhr in Karlsruhe eintreffen, gegen 10 Uhr im Ministerium sein und um ½1 Uhr weiterfahren. Deshalb wäre ich Ihnen ausserordentlich verbunden, wenn Sie die Güte haben wollten, mich mit einer Zeile davon zu benachrichtigen, ob Sie um die genannte Zeit mich in einem Bureau empfangen können.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ew. Hochwohlgeboren ergebenster
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
a↑22t. Februar 1904. ] darunter Vermerk von anderer Hand: E[rhalten] 23.2.04. Beantw[ortet] 24.2.04.Kommentar der Herausgeber
1↑Windelband an Franz Böhm, Heidelberg, 22.2.1904 ] Erstabdruck in: Klaus Christian Köhnke: Sinn für Institutionen. Mitteilungen aus Wilhelm Windelbands Heidelberger Zeit (1902–1915). In: Hubert Treiber, Karol Sauerland (Hg.): Heidelberg im Schnittpunkt intellektueller Kreise. Opladen 1995, S. 41–42.2↑unter meiner Leitung ] vgl. Windelband: Entwurf der Geschäftsordnung des Philosophischen Seminars der Universität Straßburg, Straßburg, vor 29.7.1902, im Abschnitt Dokumente der vorliegenden Edition sowie Windelband an Julius Hamm vom 20.3.1903.3↑Wirksamkeit überhaupt verloren ] zu dieser Befürchtung Windelbands, die ihn bereits 1880 zur Gründung des Freiburger Seminars bewogen hatte, vgl. Windelband an Karl Dilthey vom 10.8.1882. Zur Bedeutung von Seminaren als Lehrstätten im Allgemeinen vgl. Friedrich Paulsen: Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium. Berlin: A. Asher & Co. 1902, S. 268–269. Die dort genannten Aufgaben und Vorzüge von Seminaren spiegeln die Moneta Windelbands.4↑betrübenden Verhältnisse ] vgl. Windelband an Karl Dilthey vom 30.12.1903. Windelbands greiser Kollege Kuno Fischer fiel für Lehre und Selbstverwaltung aus.5↑ehemalige Museum ] bzw. Musäum, das Gebäude der Heidelberger Museumsgesellschaft (Heidelberger Geschichtsverein) am Ludwigsplatz (heute Universitätsplatz), an dessen Stelle 1904 das Neue Kollegienhaus der Universität errichtet wurde (vgl. Annette Krämer: Die baulische Entwicklung der Universität seit 1803. In: Die Gebäude der Universität Heidelberg. Hg. v. Peter Anselm Riedl. Berlin/Heidelberg: Springer 1985 (Semper Apertus. Festschrift Bd. 5). S. 15–16.▲