Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 10.11.1902, 3 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_40
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Windelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 10.11.1902, 3 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_40
Strassburg iE. 10.11.02
Lieber Freund und College,
Seitdem die Zeitungen die Nachrichten über die gefährliche Erkrankung Ihres Herrn Vaters[1] brachten, sind meine Gedanken viel bei Ihnen gewesen, und nun, wo Sie nach Freiburg zurückgekehrt sein werden, möchte ich nicht länger zögern, Ihnen mein herzliches und aufrichtiges Beileid auszusprechen. Der Verlust, der Sie betroffen, so sehr er im natürlichen Lauf des Menschenlebens als unvermeidlich gegeben ist, kommt immer zu früh und immer zu schwer: und das Gefühl, mit voller Verantwortung ganz oben zu stehen im Familienleben, muß erst allmählich die peinliche Färbung verlieren, die ihm anfänglich beiwohnt. Sie aber haben das besondre Trostmoment, daß Ihre Trauer weithin eine mächtige Resonanz findet: wir alle beklagen es, daß unser öffentliches Leben in dem Dahingeschiedenen einen der Wenigen | verloren hat, die noch als geistig adäquate Zeugen und Träger der Tradition aus der großen Zeit unsres politischen Lebens übrig waren. Auch wer mit ihm politisch[2] nicht immer übereinstimmte, durfte und konnte nie verkennen, daß er auf einer Höhe der Gesinnung und des Verständnisses, des Wissens und des Gestaltens stand, an welche die junge Generation unsrer Politik nicht im Entferntesten heranreichte. Er ist nicht zu ersetzen, und mit ihm bröckelt wieder ein wertvolles Stück von dem Ansehen unserer Parlamente ab. Das wird Ihnen gewiß von vielen Seiten her und in den mannigfachsten Formen gesagt und erwiesen worden sein: aber es ist mir ein Bedürfnis, es Ihnen auch als mein persönliches Gefühl ausgesprochen zu haben. |
In der Hoffnung, wenn ich bald einmal nach Freiburg komme, wo meine Frau jetzt schon einige Wochen ist[3] und wohl auch noch etwas bleiben wird, Sie und die Ihrigen in guter Verfassung zu finden, bitte ich mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin bestens zu empfehlen und bleibe in treuer Gesinnung stets der Ihrige
W Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑Vaters ] der Politiker Heinrich Edwin Rickert (geb. 1833) war am 3.11.1902 in Berlin verstorben. 1866 Mitbegründer der Nationalliberalen Partei, seit 1870 Angehöriger des preußischen Abgeordnetenhauses, seit 1874 des Reichstags. 1880 Gründer der Liberalen Vereinigung, 1884 der Deutsch-Freisinnigen Partei, 1893 der Freisinnigen Vereinigung. Seit 1895 Vorsitzender des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus (NDB).2↑politisch ] Windelband agitierte mit Vorträgen für die Nationalliberale Partei, vgl. die Ankündigungen zu Wählerversammlungen in: Heidelberger Zeitung, Nr. 135 vom 13.6.1903, Erstes Blatt, S. 2: Versammlung am 16.5.1903; sowie in derselben Zeitung, Nr. 14 vom 18.1.1904, Erstes Blatt, S. 2 (weitere Ankündigungen in Nr. 24 u. 25 vom 29.1. u. 1.2.1904): Eine Nationalliberale Versammlung findet am 2. Febr. statt. In derselben wird Geh. Rat Windelband über Hegel und den Liberalismus sprechen und Oberbürgermeister Dr. Wilckens politische Tagesfragen behandeln; weiter kolportiert dieselbe Zeitung in Nr. 150 vom 1.7.1903, Erstes Blatt, S. 1, aus dem Wahlkampf von 1903, wie richtig Herr Geheimrat Windelband sagte: Die liberale Partei ist antiklerikal, oder sie ist überhaupt nicht, und wie richtig er von den wetterkundigen Weltweisen sprach, die am Himmel die Sturmzeichen der Gegenreformation erblicken. Vgl. ferner Christian Jansen: Professoren und Politik. Politisches Denken und Handeln der Heidelberger Hochschullehrer 1914–1945. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 1992.▲