Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 26.3.1901, 4 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_33
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Windelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 26.3.1901, 4 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_33
Strassburg iE. 26.3.01
Lieber Freund und College,
Eine zugleich gute, vollständige und billige Fichte Ausgabe[1] halte ich für ein sehr nützliches, sehr wünschenswerthes und auch vom buchhändlerischen Standpunct aus garnicht aussichtsloses Werk: ich kann daher nur energisch rathen, daß Sie die Sache in die Hand nehmen, wünsche Ihnen allerdings, daß Sie möglichst Lask dafür gewinnen, um Ihnen das technisch-philologische an der Sache abzunehmen. Auch könnte man dafür vielleicht noch ein paar andre unsrer jungen Leute, wie Baensch und Bauch[2] interessiren. Einen Teil der technischen Arbeit würde ja auch natürlich Dr. Medicus[3] selbst übernehmen. Dem letzteren, dessen Brief[4] ich wieder beilege[a], und den ich als einen strebsamen Mann, aus dem etwas werden | kann und etwas werden sollte, vor ein paar Jahren hier ein Semester lang[5] kennen gelernt habe, – ihm gönnte ich es sehr, durch die Beteiligung an einem solchen Unternehmen selbstständig zu werden. Er scheint jetzt von Vaihinger, in dessen Hause er auch wohnt –! vgl. die Adresse! – als eine Art von Adlatus für die Kant-Studien[6] eingefangen und angestellt zu sein; offenbar muß er da die technische Arbeit leisten, Correspondenz führen und gelegentlich als Recensent einspringen.
Also nach jeder Richtung würde ich mich sehr freuen. Wegen der Inedita müßte man sich an Fichte’s Enkel[7] wenden, der soviel ich weiß – auch kein Jüngling mehr! – als Arzt, ich denke als Militärarzt in | Württemberg’schen Diensten steht. Sie könnten mit ein paar tüchtigen jungen Leuten zusammen es erreichen, mit Fichte schließlich ebenso schnell auf der Bildfläche zu erscheinen, als die Berliner Akademie mit ihrem Kant[8] fertig werden wird.
Wenn Dr. Dyroff der Mann von der Stoa[9] ist, so haben Sie an ihm wenigstens einen Mann, der Philosophisch-Historisches mit Durchschnittsmaß zu leisten versteht und der nicht so aussieht, als ob man wegen seiner persönlichen Bedeutung oder parteilichen Initiative Besorgniß zu hegen brauchte; – für Sie vielleicht die glücklichste Lösung! Es ist aber doch ein charakteristischer Zug, daß man als herzlich unbedeutender Gesell nur katholisch zu sein braucht, um in ein paar Semestern auf eine eigens dafür | eingerichtete Professur geschoben zu werden.
Was die „Mindestforderungen“[10], diese Attacke auf den alten Doctorgrad, anlangt, so sind sie in Wiesbaden[11] von Vertretern der deutschen Unterrichtsministerien beschlossen worden. Es ist nicht anzunehmen, daß dabei nicht ein Badener ebenso mitgewirkt hätte, wie ein Württemberger; aber auch nicht anzunehmen, daß die Sache in Karlsruhe[12] „vergessen“ ist, sondern vielmehr, daß man dort den Modus des Preuß[ischen] Ministeriums einhält, dem es auch nicht einfällt, die Fakultäten zu befragen. Sie werden über die Sache noch mehr zu hören bekommen; ich hoffe, die Ferien sollen etwas zeitigen[13].
Nun mit herzlichem Gruß der Ihrige
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Fichte Ausgabe ] Rickert hatte Richard Falckenberg zugesagt, für die von diesem hg. Reihe Frommanns Klassiker der Philosophie einen Band über Fichte zu übernehmen, konnte sich aber lange nicht dazu entschließen. 1899 sagte Rickert bestimmt zu, das Projekt scheiterte jedoch (vgl. Georg Simmel Gesamtausgabe Bd. 22, S. 306; ein Bd. über Fichte erschien erst 1927). In diesem Zusammenhang könnte eine nicht überlieferte Anfrage Rickerts an Windelband über die Chancen einer Fichteausgabe gestanden haben.2↑Baensch und Bauch ] Otto Baensch (1878–1937), Spinozaforscher u. Professor der Philosophie in München, hatte bei Windelband in Straßburg studiert und promoviert. Bruno Bauch (1877–1942), Schüler von Rickert in Freiburg und Windelband in Straßburg, promovierte 1901 bei Rickert, 1911 Nachfolger von Otto Liebmann an der Universität Jena (NDB); Redakteur der Kant-Studien.3↑Dr. Medicus ] vgl. Felix Meiner an Windelband vom 15.11.1912 u. Windelband an Meiner vom 21.12.1912 zum erneuerten Plan von Fritz Medicus, eine Johann Gottlieb Fichte-Gesamtausgabe als Heidelberger Akademieprojekt zu veranstalten, zur Ergänzung der von Medicus 1908–12 bei Meiner herausgegebenen sechsbändigen Werkausgabe Fichtes. Zur Ausführung des im vorliegenden Schreiben skizzierten Planes kam es nicht, die Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erschien erst ab 1962. – Windelband unterhielt selbst eine Sammlung von Werken von und über Fichte, wie 1921 bekannt wurde, vgl.: Eine Fichte-Sammlung beschrieben von Friedrich Meyer. Mit einer Einführung von Universitäts-Professor Dr. Ernst Bergmann-Leipzig. Leipzig: Friedrich Meyers Buchhandlung 1921. VIII, 94 S., 624 Nummern: Das vorliegende Verzeichnis bietet eine bibliographisch genaue Beschreibung einer im Laufe von mehreren Jahren zusammengetragenen Fichte-Sammlung. Der Grundstock stammt aus der Bibliothek des Heidelberger Philosophen Windelband (S. III; Meyer). Nur wer das allmähliche Entstehen dieser Sammlung seit dem Jahre 1915 [!] miterlebt hat, weiß, welch mühvolle Vorarbeit dem eigentlichen Forscher hier durch die sachkundige Hand des Antiquars abgenommen worden ist (S. IV, Bergmann). Danach, womöglich unmittelbar, erschien: J. G. Fichte. Eine Sammlung von Werken von und über ihn. Mit einer Einführung von Universitäts-Professor Dr. Ernst Bergmann-Leipzig. Angeboten von der Buchhandlung Gustav Fock Leipzig. o. J. VIII, 94 S. Das ist bis auf Titulatur und Vorbemerkung identisch mit dem obigen Meyerschen Fichte-Katalog – unter Unterschlagung der Autorschaft Meyers, der in der Inflationszeit der 1920er gezwungen war, seine Bestände an die Buchhandlung Gustav Fock (die überdies die 20 erhaltenen Manuskripthefte Windelbands an die Tohoku-Universität Sendai vermittelte) zu verkaufen (Erich Carlssohn: Lebensbilder Leipziger Buchhändler. Meersburg: List & Francke 1987, S. 55–99). 1922 erschien eine Rezension des Meyerschen Fichte-Kataloges von E. Hirsch, Göttingen, in: Theologische Literaturzeitung 47 (1922), Sp. 206. 1926 erschien eine weitere Rezension anonym in: Revue de Métaphysique et de Morale 33 (1926), S. 11, mit der Nachricht, die Sammlung sei an das Marx-Engels-Institut Moskau verkauft worden. Das bestätigt die Selbstauskunft des Institutes in: Marx-Engels Archiv 1 [1926], S. 448–460: Die Bücherbestände des Instituts kamen auf verschiedene Weise zusammen. Von den Ankäufen im Auslande, die von Anfang an in großem Umfange betrieben wurde, ist von besonderer Wichtigkeit die Erwerbung von mehreren großen Spezialsammlungen: […] die Fichte-Biliothek von Windelband […] die Fichte-Literatur, deren Grundstock die oben erwähnte Windelbandsche Sammlung bildet, umfaßt gegen 800 Titel (S. 448–449, S. 453 – d. h. lediglich ca. 200 Nummern mehr als der Meyersche Katalog). Die Sammlung erwähnende Berichte von Besuchern des Instituts finden sich bei Georg Lenz: Das Marx-Engels-Institut in Moskau. In: Historische Zeitschrift 137 (1928), S. 498–501 sowie bei Egon Erwin Kisch: Zaren, Popen, Bolschewiken. 1.–10. Tsd. Berlin: Erich Reiss 1927, S. 133). Der Verbleib (das Institut wurde 1991 geschlossen und seine Bestände in andere Archive überführt) ist nicht ermittelt, auch nicht, ob die ebenfalls von Meyer angebotene Privatbibliothek Windelbands je geschlossen verkauft worden ist (vgl. Bibliothek Windelband Abt. I. Die Philosophie der alten Welt. Klassische Philologie. Kulturgeschichte. Antiquariats-Katalog No. 133 enthaltend u. a.: Den ersten Teil der Bibliothek des †Herrn Geh. Rat Dr. Windelband, o. ö. Professor an der Universität Heidelberg. Leipzig: Friedrich Meyer’s Buchhandlung Winter-Semester 1916/17. 424 Nummern. – Bibliothek Windelband Abt. II. Wilhelm Windelband. Immanuel Kant. Neuere Philosophie und deren Geschichte. Antiquariats-Katalog No. 134 enthaltend u. a.: Den zweiten Teil der Bibliothek des †Herrn Geh. Rat Dr. Windelband, o. ö. Professor an der Universität Heidelberg. Leipzig: Friedrich Meyer’s Buchhandlung 1916/17. 903 Nummern, dort unter Fichte nur 5 Titel Sekundärliteratur u. der Hinweis auf den separat erscheinenden Katalog).6↑Adlatus für die Kant-Studien ] Medicus, 1901 in Halle habilitiert, war dort von 1901–11 PD und Privatsekretär von Hans Vaihinger (NDB).7↑Fichte’s Enkel ] Karl Eduard von Fichte (1826–1905), württembergischer Korps- und Generalarzt (WBIS).8↑Berliner Akademie mit ihrem Kant ] die Ausgabe von Kants Gesammelten Werken der Preußischen Akademie der Wissenschaften begann 1902 zu erscheinen. Windelband war an der Herausgabe der Kritik der Urteilskraft beteiligt (Bd. 5, 1908).9↑Dyroff der Mann von der Stoa ] vgl. Windelband an Rickert vom 17.3.1901. Adolf Dyroff hatte 1897 eine Schrift: Die Ethik der alten Stoa veröffentlicht.10↑„Mindestforderungen“ ] vgl. Kommentar zu Windelband an Rickert vom 17.3.1901 sowie als Beispiel: UA Heidelberg H-IV-102/136 (Philosophische Fakultät 1903–04, Dekan: Henry Thode), Bl. 215 über die Anpassung philosophischer Promotionsordnungen nach Aufforderung des Ministerium des Kultus und des Unterrichts an die philosophische Fakultät, in Bezug auf die Grundsätze über die Mindestforderungen für die Doktorpromotion an deutschen philosophischen Fakultäten nach der Frankfurter Konferenz der deutschen Unterrichtsverwaltungen in Hochschulangelegenheiten (1904).11↑in Wiesbaden ] vgl. ADBR Strasbourg, 62 AL 22 (Dekanat Theodor Nöldeke 1901/02), Nr. 15, Drucksache o. T.: [Gutachten der philosophischen Fakultät der Universität München]. Bruchdruckerei Val. Höflinger München, Lämmerstr. 1. 7 S. Den hs. Notaten am Kopf von S. 1 nach am 13.5.1901 von der philosophischen Fakultät München an die philosophische Fakultät Straßburg gesendet; bei dieser ab 15.5.1901 unter Dekan Theodor Nöldeke zirkuliert: In Erfüllung des Auftrages uns gutachtlich über die Mindestforderungen für die Doktorpromotion in den philosophischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten des Deutschen Reichs zu äussern, beehren wir uns mit Berücksichtigung der darauf bezüglichen Ministerialentschliessung vom 22. März d. Js. Nr. 23319 folgendes zu berichten. […] Zur besseren Uebersicht erlauben wir uns die eben gemachten Vorschläge in Bezug auf die Mindestforderungen zusammenzufassen. | Vorschläge zu Mindestforderungen | für die Doktorpromotion in den deutschen philosophischen Fakultäten und den naturwissenschaftlichen Fakultäten in Heidelberg, Strassburg und Tübingen. | I. Der Doktorgrad darf nur auf Grund einer durch den Druck veröffentlichten Dissertation und einer mündlichen Prüfung verliehen werden: Eine Promotio in absentia findet unter keinen Umständen statt. Die Ehrenpromotion, Promotio honoris causa, bleibt davon unberührt. | II. Die mündliche Prüfung (Examen rigorosum) erstreckt sich auf das Fach, welchem die Dissertation angehört, sowie auf zwei Nebenfächer. Die Prüfungscommission besteht aus dem Dekan und mindestens drei Fakultätsmitgliedern. | III. Die Zulassung zur Promotion ist durch Beibringung des Reifezeugnisses eines deutschen humanistischen oder Realgymnasiums bedingt. Abiturienten der Oberrealschule werden zugelassen, wenn sie den Nachweis einer nach Ansicht der Fakultät für das betreffende Hauptfach genügenden Kenntniss der alten Sprachen beibringen. Dispense können nur an Apotheker mit der Note 1 ertheilt werden. | Die Zulassung von Ausländern, die kein den deutschen Reifezeugnissen gleichwerthiges Zeugniss besitzen, wird durch besondere Bestimmungen geregelt. | IV. Die Promotionsgebühren betragen mindestens 250 Mk. | Es kann in den Promotionsordnungen der einzelnen Fakultäten bestimmt werden, dass im Falle besonderer Bedürftigkeit und Würdigkeit die Gebühr ganz oder theilweise erlassen werden darf. | V. Diese Mindestforderungen treten spätestens am 1. Oktober 1901 in Kraft. Uebergangsbestimmungen sind für die Zeit bis 1. Oktober 1902 zulässig. | Diese Bestimmungen entsprechen im Allgemeinen der in den letzten Jahren geübten Handhabung der Promotionsordnung seitens der philosophischen Fakultät und des akademischen Senats der Universität München. Sie haben sich in jeder Beziehung bewährt und sollten unserer Meinung nach an allen deutschen Universitäten als Mindestforderungen eingeführt werden. | Schliesslich erlauben wir uns in Bezug auf die Geschichte der ,,Mindestforderungen” Folgendes zu bemerken: Der Anstoss zu dieser ganzen Bewegung rührt von einigen Industriellen und namentlich von dem Dr. Böttinger in Elberfeld her, welcher im preussischen Abgeordnetenhause die lebhaftesten Klagen über die mangelhafte Schulbildung und die ungenügenden Kenntnisse in der anorganischen Chemie seitens der ,,Doktoren der Chemie“ geführt hat. Als Beleg für seine Behauptungen führte er an, dass 45% von den im deutschen Reich im Hauptfach Chemie zum Doktor Promovirten Immaturi sind, eine Behauptung, die nicht widerlegt worden ist. | Da die Klagen des Dr. Böttinger von den Vertretern der Chemie an den Hochschulen als theilweise berechtigt anerkannt wurden, gründeten dieselben im September 1897 in Braunschweig den Verband van Laboratoriumsvorständen an deutschen Hochschulen, welcher durch Einführung einer Zwischenprüfung – der Verbandsprüfung – zu verhindern sucht, dass Studirende der Chemie ihre Studien ohne hinreichende Kenntniss der unorganischen Chemie abschliessen. | Der zweite Theil der Forderungen des Dr. Böttinger – die Beseitigung der Promotion der Immaturi – war schwerer zu erfüllen, da die grosse Frequenz mancher Universitäten seitens der Chemiker gerade von der Zulassung zur Doktorpromotion ohne Reifezeugniss abhängt und es Universitäten gibt, wo die Promotion eines im Besitze eines Reifezeugnisses befindlichen Chemikers zu den seltenen Ausnahmefällen gehört. Bei den Vorberathungen, welche in Folge davon stattgefunden haben, stellte es sich als unzweckmässig heraus, besondere Promotionsbedingungen für ein einzelnes Fach zu formuliren und es wurden daher Mindestforderungen für die philosophischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten vorläufig zusammengestellt. | Diese sind dann von der Delegirten-Conferenz in Wiesbaden in die vorliegende Form gebracht worden. | Unser Gesammturtheil über die Wiesbadener Mindestforderungen geht nun aus den oben dargelegten Gründen dahin, dass dadurch so gut wie gar nichts erreicht und sogar vieles verschlechtert werden | würde. Die Absicht der Veranlasser dieser Bewegung ging einzig und allein dahin, die Promotion der Immaturi abzuschaffen. Wir billigen dieses vollkommen, halten aber für das einzig richtige Mittel zur Erreichung dieses Zweckes die Anschaffung aller Dispense von der Beibringung eines Reifezeugnisses mit einziger Ausnahme der Apotheker mit Note I. Der Riegel, den die Mindestforderungen vorschieben wollen – die Genehmigung seitens der Aufsichtsbehörden –, wird nur da seine Dienste thun, wo jetzt schon geordnete Verhältnisse herrschen, z. B. auch an unserer Universität.▲