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- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 14.1.1901, 4 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_31
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Windelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 14.1.1901, 4 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_31
Strassburg i/E. 14/1 01
Lieber Freund und College,
Die Frage der katholischen Philosophieprofessur[1] ist für uns ja bisher glücklicherweise noch immer nicht aktuell[2] geworden; aber sie kann es jeden Augenblick werden, entweder wenn in irgendwelchem kirchenpolitischen Handel die theologische Fakultät mit ihrem notwendigen Anhang von der Kurie der Regierung als Tauschobject offerirt würde, als welches sie diese leider zu werten scheint (was ich für eine große Täuschung halte), oder wenn ein Personenwechsel eintritt, z. B. wenn uns die Tübinger den Theobald[3] abnehmen. Darum habe ich mir allerdings gelegentlich wohl auch schon Gedanken darüber gemacht, was in solchem Fall zu thun wäre; aber freilich nur sehr unbestimmte oder all|gemeine, und die will ich Ihnen gern mitteilen. Das sachlich allein Richtige wäre in diesem Falle taktisch falsch. Daß es für uns katholische Philosophie nicht giebt, können wir nicht antworten: man würde auf Universitäten wie Breslau und Bonn verweisen, in deren Statut es verlangt ist, oder auf das Wesen der Universität überhaupt, die nicht um der reinen Wissenschaft willen da sei, etc. etc. Man kann sich also m. E. nicht a limine[4] weigern[5], – um so weniger, als man sich dadurch die Ingerenz[6] auf das Weitere abschneidet. Principiell protestiren sollte die philos[ophische] Fakultät (trotz Preußen!) nur gegen einen Priester, – der Disciplinarverhältnisse wegen. Dagegen darf man sich ruhig bereiterklären, einen Laien[a], der wissenschaftlich fauti[7] ist, zu acceptiren.
Die Hauptschwierigkeit beginnt bei den | Vorschlägen, der Personalfrage. Einen Katholiken in dem Sinne, wie man ihn haben will, einen echten Thomisten, den man zugleich als wissenschaftlich competenten Collegen nennen dürfte, kenne ich außer Baeumker[8] nicht. Allerdings verfolge ich diese Litteratur auch nicht consequent; vielleicht fände man bei genauerem Suchen Jemanden, über den sich wenigstens reden ließe. Aber im Moment weiß ich keinen. Das Logische wäre nun in diesem Falle zu sagen: Die philos[ophische] Fak[ultät] hat an einem solchen Manne von sich aus kein Interesse; ja sie wäre unter Umständen nicht einmal in der Lage, zu übersehen, in welchem Maße der eine oder andre Candidat, an den sie denken könnte, die erforderliche Rechtgläubigkeit besitze, zumal sie die Candidaten nicht unter Universitätsdocenten, sondern in andern Lebenskreisen | zu suchen hätte (die mir aus der Litteratur bekannten, „möglichen“ sind freilich alle – Priester!). Wäre es da nicht das Richtigste, wenn die Kreise, die das Interesse haben, Leute namhaft machten, an die sie etwa dächten. Die könne man dann in der philos[ophischen] Fak[ultät] auf ihre wissenschaftliche Brauchbarkeit prüfen. Die Antwort darauf würde freilich, wenn Priester ausgeschlossen sind, so kümmerlich ausfallen, daß deutlich zu Tage träte, es werde hier Unmögliches verlangt. Deshalb müßte das sehr vorsichtig unter ausdrücklicher Betonung der Bereitwilligkeit gesagt werden, damit man nicht unter den Vorwurf der Obstruction fällt. So würde ich es hier bei den persönlichen Verhandlungen mit dem Curator machen: ob sich dasselbe für Sie bei dem bloß schriftlichen Verkehr mit dem Ministerium[9] empfiehlt, ist für mich schwer zu beurtheilen.
Ob es für Sie opportun ist, mich auch nur zu erwähnen, lasse ich dahingestellt: daß ich im Moment Niemanden zu empfehlen wüßte, mögen Sie mitteilen, wem Sie wollen.
In großer Eile nur die Bitte um Entschuldi|gung, daß Ihr Exemplar[10] meiner Gesch[ichte] d[er] Philos[ophie] noch immer nicht abgegangen ist; ich fand keine Zeit zum Schreiben dazu; – und dann meinen herzlichen Glückwunsch an Herrn[b] Lask[11]: es war ja nicht anders zu erwarten.
Mit treuem Gruß von Haus zu Haus Ihr
Windelband[c]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑katholischen Philosophieprofessur ] die katholische oder sog. Confessionelle Philosophie-Professur an der Universität Freiburg hat eine Vorgeschichte innerhalb der theologischen Fakultät. Diese hatte am 10.6.1885 die Einrichtung eines Lehrstuhls für propädeutische Theologie, insbesondere für Religionsphilosophie, Geschichte der Religion, Apologetik und verwandte Disziplinen beantragt, der am 26.3.1886 durch die Habilitation von Edmund Hardy (1852–1904) für philosophische Disziplinen (befördert zum Extraordinarius 3.11.1887, entlassen 26.9.1893) vorbereitet wurde, so daß 1893 Carl Braig (1853–1923) berufen werden konnte. Am 17.7.1897 erhielt Braig jedoch eine anderen Lehrauftrag (für Dogmatik), da die philosophische Fakultät gegen ihn als Priester protestiert hatte. Am 22.10.1897 wurde Matthias Baumgartner (1865–1933) aus München berufen (BEdPh). Der Lehrstuhl diente dem philosophischen Unterricht von Theologiestudenten in Erkenntnislehre (Logik), Psychologie, Metaphysik, Geschichte der griechischen, aristotelischen und christlichen Philosophie. Die Belegung dieser Fächer war Bedingung zur Zulassung zum Kirchenamt. 1897 wurde der Antrag eingebracht, diesen Lehrstuhl an die philosophische Fakultät als der eigentlich zuständigen zu transferieren: Bei Beratung des Universitätsbudgets in der II. Kammer der Stände wurde die Frage der Einreihung der Professur für christliche Philosophie an die philosophische Fakultät in Anregung gebracht, welche Maßnahme auch Seitens der theologischen Fakultät als sachgemäß und für die Vertretung des in Frage stehenden Faches zweckmäßiger als die geltende Art der Regelung erklärt wird (Ministerium der Justiz, des Kultur und Unterrichts an philosophische Fakultät vom 26.11.1897), mit der Begründung, das ergäbe die Möglichkeit der Promotion in christlicher bzw. mittelalterlicher Philosophie; es sei bereits an anderen Hochschulen der Fall, in München z. B., ein katholischer Priester sei dort kein Hindernis (vgl. für sämtliche Nachweise UA Freiburg, B 38/131, Angelegenheiten der zweiten philosophischen Professur 1897–1916).2↑nicht aktuell ] vgl. dagegen an der Universität Straßburg (ADBR Strasbourg, 103 AL 863) die Kuratoriumsakte über die Einstellung von 2 mit katholischen Dozenten zu besetzenden Professuren, darin die Abschrift eines Schreibens des Statthalters an Kaiser Wilhelm I. vom März 1901 (dieser bewilligt daraufhin den gewünschten Nachtragshaushalt), Auszug: Geheim! Eilt! | In weiteren Krisen des Reichslandes besteht seit längerer Zeit der lebhafte Wunsch, daß die Kaiser-Wilhelm-Universität Straßburg, die zwei ordentliche Professuren für Philosophie und drei für Geschichte besitzt, mit Rücksicht auf deren bisher nicht unterbrochene Besetzung mit Dozenten protestantischen Bekenntnisses und zur Vermeidung einer einseitigen Vertretung dieser Disciplinen zwei neue Lehrstühle, einen für Philosophie und einen für Geschichte, erhält, welche die von den Fakultätsvorschlägen statutenmäßig in keiner Form abhängige Re|gierung thunlichst und insbesondere bei der ersten Besetzung an Dozenten katholischen Bekenntnisses verleihen würde. Die Erfüllung dieses Wunsches ist für den Fall der Errichtung einer katholisch-theologischen Fakultät […] in Aussicht gestellt worden. | Es scheint angezeigt und für die Verhandlungen wegen Errichtung der theologischen Fakultät fürderlich [so wörtlich], die gewünschte Maßnahme schon jetzt herbeizuführen. Hier deutet sich bereits der Fall Spahn an, s. u.3↑Theobald ] Anspielung auf eine mögliche – nicht zu Stande gekommene – Wegberufung Theobald Zieglers aus Straßburg.5↑nicht a limine weigern ] im Gegensatz z. B. zum Verhalten der philosophischen Fakultät Straßburg im Falle Martin Spahn, d. h. des katholisch besetzten historischen Lehrstuhls nach dem Weggang Conrad Varrentrapps nach Marburg, was die Fakultät als Maßregel empfand, vgl. die Eingabe an die höchste Stelle, ADBR Strasbourg, 103 AL 863 (Kuratoriumsakte: betrifft Einstellung von 2 mit katholischen Dozenten zu besetzenden Professuren), Nr. 22a: Abschrift. | Straßburg, den 9. September 1901. | Allerdurchlauchtigster Kaiser, | Allerdurchlauchtigster Kaiser und Herr! | Durch ein Schreiben des Herrn Kurators vom 19. August ist der philosophischen Fakultät der Kaiser-Wilhelms-Universität zu Straßburg mitgeteilt worden, daß es die Absicht der Landesregierung von Elsaß-Lothringen sei, neben der eben jetzt mit dem Archivar Dr. Meinecke zu besetzenden ordentlichen Professur für neuere Geschichte eine zweite gleiche zu errichten und diese durch den außerordentlichen Professor Dr. Spahn zu übertragen. [so wörtlich] Die Fakultät […] hält es für ihre Pflicht Eure Kaiserliche Majestät alleruntertänigst zu bitten, der Berufung des Professors Spahn zu dieser Stellung ihre Allerhöchste Zustimmung nicht zu erteilen. | Da die Errichtung dieser neuen Professur aus den Lehrbedürfnissen der Fakultät nicht erklärt werden kann, so unterliegt es keinem Zweifel, daß sie bestimmt ist, dem wiederholt ausgesprochenen Verlangen der ultramontanen Partei nach einem Parteimäßig | konfessionell gefärbten Geschichtsunterricht an unserer Universität Genüge zu thun. Weiter heißt es sinngemäß: wenn es nur um Spahns zweifelhafte Qualifikation ginge, würde sich die Fakultät nicht an den Kaiser gewendet haben, und dann wieder wörtlich: Konfessionelle Professuren für Geschichte und Philosophie bestehen an deutschen Universitäten nur da, wo eine katholisch-theologische Fakultät errichtet ist und können nur mit dem Bedürfniß der Ausbildung katholischer Priester, wenn nicht gerechtfertigt, so doch erklärt werden. Die Schaffung einer solchen Professur an einer Universität, die einer solchen Fakultät entbehrt, würde eine der bisherigen Auffassung von deutscher Wissenschaft durchaus widersprechende Neuerung bedeuten […]. Und weiter: Die Fakultät erblickt darin bei den hierzulande bestehenden konfessionellen und nationalen Spaltungen eine schwere Gefahr für die Erziehung des Volkes zu religiöser Duldsamkeit und nationaler Gesinnung. Diese Eingabe sei einstimmiger Beschluß der Fakultät; gezeichnet Nöldeke d. z. Dekan. In der Akte außerdem (Nr. 27): Zeitungsausschnitt mit Telegramm des Kaisers vom 16.10.1901 an den Statthalter von Elsaß-Lothringen, abgedruckt in: Straßburger Correspondenz, Nr. 108 vom Donnerstag, 17.10.1901: Neues Palais. Patent für Dr. Spahn von Mir heute vollzogen. Er wird gewiß eine vortreffliche Lehrkraft für die Universität werden. Freue Mich, einen langgehegten Wunsch Meiner Elsaß-Lothringer habe erfüllen zu können und ihnen sowohl, als Meinen katholischen Unterthanen überhaupt bewiesen zu haben, daß anerkannte wissenschaftliche Tüchtigkeit auf der Basis von Vaterlandsliebe und Treue zum Reich immer zu Nutz und Frommen des Vaterlandes von Mir verwendet wird. Wilhelm I. R.; sowie die Drucksachen (jeweils ganzes Heft in der Akte enthalten): Adolf Michaelis: Das Verhalten der Straßburger philosophischen Fakultät im Falle Spahn. In: Der Lotse vom 23.11.1901 (2. Jg., 3. Heft), S. 225–231; Gegenartikel aus Berlin: Wilhelm Foerster: Zur Anklage gegen die preußischen Universitätszustände. In: Der Lotse vom 7.12.1901 (2. Jg., 10. Heft), S. 289–293. Vgl. außerdem das Schreiben Theodor Nöldekes an Martin Spahn von September 1901, indem er diesen darüber aufklärt, daß er gegen den Wunsch und ohne Vorschlag der Fakultät berufen sei (ADBR Strasbourg, 62 AL 22 (Dekanat Theodor Nöldeke 1901/02), Nr. 73.)9↑schriftlichen Verkehr mit dem Ministerium ] vgl. Windelband an Rickert vom 17.3.1901. Gegen den Plan, die Professur für philosophische Propädeutik aus der theologischen an die philosophische Fakultät der Universität Freiburg zu transferieren, richtete sich bereits das Fakultätsgutachten von Alfred Dove, Franz Himsted, Gottfried Baist und Heinrich Rickert (der Entwurf stammt von dessen Hand) vom 30.12.1897 (geschrieben laut Poststempel vor 21.12.; vgl. das Protokollbuch der Fakultät Bl. 97 über die Sitzung vom 14.12.1897, dort ein Auszug des Gutachtens im selben Wortlaut wie das Ms. Rickerts), das in seinen vier Punkten die von Windelband gegebenen Anregungen bereits vorwegnimmt: Die von der theolog[ischen] Facultät gewünschte Einrichtung einer sog[enannten] „Professur für christliche Philosophie“ in unsere Facultät können wir aus folgenden Gründen weder für sachgemäß, noch für zweckmäßiger als die bestehende Regelung erachten, wie das die theologische Fakultät zuvor behauptet hatte. Denn 1.: Welches Fach soll den eigentlich gemeint sein? Sei die Philosophie, die bereits gelehrt werde, etwa nicht christlich, was immer das heißen solle? Philosophie der Väter – wäre das für die theologische Fakultät nicht ein Problem, da Patristik im Gegensatz zur katholischen Scholastik stehe? Mittelalterliche Philosophie sei doch ohnehin ein, aber eben nur ein Teilgebiet der Philosophiegeschichte. Und 2.: Die Erörterung der Fragen erübrige sich allein deswegen, weil der vorgeschlagene Kandidat (seitens der theologischen Fakultät) Priester sei; folglich keine Philosophie werde lehren können: Denn ein katholischer Priester, der dem Papste Gehorsam schuldet, kein Buch ohne Genehmigung seiner vorgesetzten kirchlichen Behörde veröffentlichen darf, ist seit der Thomas-Encyclica des Papstes Leo XIII vom 4. August 1879 gar nicht mehr in der Lage, irgend etwas als Philosophie zu lehren, was nicht mit den Lehren des Thomas genau übereinstimmt. Diese Lehren seien wissenschaftlich jedoch völlig veraltet, und für eine philosophische Fakultät deshalb indiskutabel: Er hat nicht, wie die Mitglieder einer philosophischen Facultät die Wahrheit zu suchen, sondern lediglich Dogmen zu überliefern – also keine philosophische Wissenschaft katholischer Richtung zu vertreten, sondern eine rein theologische Disziplin der katholischen Kirche, die in die theologische Fakultät gehörte. 3. seien alle bestehenden katholischen Professuren für Philosophie in Deutschland auschließlich an theologischen Fakultäten angesiedelt (Bonn, Breslau, München, Würzburg). 4. würde es sich bei einem Doktorthema z. B. um eine Arbeit über Thomas von Aquin handeln, so sei gegen theologische Beteiligung an der Prüfung nichts einzuwenden. Schließlich: wir bitten die Regierung dringend, davon – im später gestrichenen Satz von Rickert heißt es noch: von dieser Maßregel – gänzlich & für alle Zeiten abzusehen (vgl. für sämtliche Nachweise UA Freiburg, B 38/131, Angelegenheiten der zweiten philosophischen Professur 1897–1916). Die Frage war 1901 mit dem Weggang Baumgartners wieder virulent geworden und mündete in der Oktroyierung des Lehrstuhls an der philosophischen Fakultät durch das Ministerium, vorgeblich aus Haushaltsgründen, vgl. Windelband an Rickert vom 17.3.1901.10↑Exemplar ] von Windelband: Geschichte der Philosophie. 2., durchgesehene u. erweiterte Aufl. Tübingen/Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1900.11↑Glückwunsch an Herrn Lask ] zur bei Rickert vollzogenen Promotion über Fichtes Idealismus und die Geschichte (1902 gedruckt).▲