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- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 25.1.1899, 4 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_27
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Windelband an Heinrich Rickert, Straßburg, 25.1.1899, 4 S., hs. (dt. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_27
Strassburg iE 25.1.99.
Lieber Herr College,
Für die freundliche Zusendung Ihrer Rede[1] habe ich Ihnen leider immer noch nicht gedankt. ich thue es um so herzlicher, je mehr ich mich darüber in jedem Betracht gefreut habe – erstens, daß Sie diese Eröffnungsrede des neuen Vereins zu halten hatten und gehalten haben – zweitens wie Sie es gethan haben. Der Fortschritt Ihrer principiellen Untersuchungen zu den entscheidenden Puncten tritt darin deutlich hervor. Die Anknüpfung an den Begriff der allgemeinen Werthe ist, wie Sie wohl denken werden, meiner eignen Auffassung durchaus sympathisch: sehr lustig | ist es mir gewesen, wie Sie damit den Historikern in feinster Form, ohne sie mit den Schreckbildern der Philosophie zu ängstigen, doch die Einsicht eingeflößt haben, daß sie die letzte Begründung auch ihrer sachlichen Nomen von der „kritischen Untersuchung der allgemeingültigen Werthe“ zu erwarten haben.
In dieser Hinsicht ist es nun ein Punct, über den ich mich gern mit Ihnen aus einander setzte. Es scheint mir nämlich hier etwas Aehnliches zu befürchten, wie Sie es hinsichtlich der psychologischen Grundlage der historischen Dicsciplinen – ganz auch meiner Ansicht entsprechend – ausgeführt haben. Der Kulturwissenschaftler braucht | immer Psychologie; aber er kommt ohne die nomothetische Disciplin für seinen Hausgebrauch mit der Psychologie des Tacts und der Menschenkenntniß aus. Er braucht ähnlich immer Werthprincipien für die teleologische Begriffsbildung: wird er nicht hierin darauf pochen, daß er (auch das dürfte gerade für die großen Historiker gelten) bisher erfolgreich mit den Werthungen des Tacts und der Lebenskunde ausgekommen ist, ohne ihrer begrifflichen Formung und Begründung zu bedürfen? Und wenn ihm erwidert wird, daß Logik, Methodologie und Erkenntnißtheorie eben die Aufgabe haben, diese „selbstverständlichen“ Voraussetzungen zu analysiren, zu formen und zu begründen – wird dann nicht dieselbe Anforderung | nach der psychologischen Seite als berechtigt anzuerkennen sein?
Vielleicht haben wir nächster Tage Gelegenheit darüber zu reden. ich soll ja am Samstag den Goethevortrag[2] halten, bleibe auch Sonntag in Freiburg und werde jedenfalls an einem von beiden Tagen, Sonnabend Nachmittag oder Sonntag Vormittag, bei Ihnen vorsprechen.
Mit herzlichstem Gruß von Haus zu Haus Ihr getreuer
Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑Ihrer Rede ] vgl. Rickert: Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft. Ein Vortrag. Freiburg i. B./Leipzig/Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1899. Laut Vorwort von Mitte November 1898 kürzlich in der ersten Sitzung der hiesigen „Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft“ vorgetragen.2↑Goethevortrag ] vgl. Windelband: Aus Goethes Philosophie. In: Straßburger Goethevorträge. Zum Besten des für Straßburg geplanten Denkmals des jungen Goethe. Straßburg: Karl J. Trübner 1899, S. 87–114.▲