Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Georg Jellinek, Straßburg, 11.1.1897, 7 S., hs. (dt. Schrift), vereinzelte Textverluste durch Aktenheftung, Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/32
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- Physical LocationBundesarchiv Koblenz
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Windelband an Georg Jellinek, Straßburg, 11.1.1897, 7 S., hs. (dt. Schrift), vereinzelte Textverluste durch Aktenheftung, Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Georg Jellinek, N 1136/32
Strassburg iE 11.1.97
Liebster Freund,
Besten Dank für Deinen lieben Brief mit den freundlichen Neujahrswünschen, die ich von Herzen erwidre – und zwar von Haus zu Haus, in der Hoffnung, daß wir Euch in diesem Jahre endlich einmal ergiebig sehen, sei es – das wäre herrlich! – hier, sei es wieder in Baden Baden. Zu der guten Entwicklung Eurer Kinder, insbesondere des jüngsten, wünschen wir herzlich Glück. Auch bei uns steht es im Allgemeinen gut; ich fange an die Folgen der Venen-Entzündung[1] zu verwachsen, mache stundenlange Wege ohne Beschwer und habe schon über 20 Pfund[a] abgenommen! Der Tag in Heidelberg war nach jeder Hinsicht ein sehr wertvol|ler und förderlicher für mich.
Daß wir uns herzlich freuen, Knapp behalten[2] zu haben, ist selbstverständlich: er hatte in Folge der mancherlei Attacken, die man aus Wien etc. an ihn gemacht hat, eine so befestigte Stellung, und er ist mit seinem hiesigen Seminar so fest eingewachsen, daß wir uns von Anfang an einem gewissen Optimismus in dieser Sache hingaben, der uns nicht getäuscht hat.
Zweifelhafter bin ich hinsichtlich eines anderen Optimismus, dem wir uns auch gern hingäben und wegen dessen ich gern Deine Meinung hörte, – nicht nur persönlich, sondern gewissermaßen amtlich als Commissionsmitglied, da Kaibel[3] als Nachfolger von Wilamowitz[4] nach Göttingen – leider! – geht, so wird bei | uns stark an Rohde als seinen Nachfolger[5] gedacht, und es scheint, daß es für uns nicht a priori ausgeschlossen ist, ihn zu bekommen; ich selbst würde selbstverständlich äußerst glücklich sein, den Verfasser der Psyche[6] meinen Collegen zu nennen. Ich mute daher Dir, dessen Wertschätzung für Rohde ich kenne, nichts Kleines zu, wenn ich Dich bitte, mir, sofern es Dir gefällt, über einige Punkte, eventuell zu meiner persönlichen Information oder zu Händen der Commission, der ich als „Unverständiger“ angehöre, einige Fragen zu beantworten.
Für unsern Wunsch, die Hauptprofessur unsrer (engeren) Fakultät durch einen Mann von entschiedenem Gewicht und erstem wissenschaftlichen Range vertreten zu sehen, kann es selbstverständlich keine geeignetere Persönlichkeit geben als eben Rohde; aber wir brauchen zugleich einen Lehrer, der Neigung, Fähigkeit und Geduld besitzt, um auch das minderwertigere Studentenmaterial, das wir ihm hier zu bieten vermögen, erfolgreich heranzuziehen und mit Condesiendenz[b] zu den Einzelnen auszubilden. Es wäre deshalb sehr wünschenswert zu erfahren, ob Rohde, dessen glänzende Lehrtätigkeit und mächtige Persönlichkeit zweifellos die Elite seiner Zuhörer unvergleichlich fördert, auch dem Mittelmaß sein Interesse und seine pflegende Sorgfalt zuwendet. Es wäre uns wertvoll zu hören, welche Erfahrungen man gerade in dieser Hinsicht mit ihm in Heidelberg[7] gemacht hat. Du weißt, daß er im Rufe einer etwas schroffen Persönlichkeit steht: ich fürchte mich davor nicht, ich glaube auch, daß die | Collegen keinen Grund haben das zu tun; aber es wäre wichtig zu wissen, wie er in dieser Hinsicht nach Eurer Erfahrung zu den Studenten steht. Es versteht sich von selbst, daß ich Deine Informationen zunächst für die Bildung meines eignen Urteils verwenden und von ihnen in der Commission nur so weit Gebrauch machen würde, als Du für gut findest mich dazu zu ermächtigen.
Dasselbe gilt erst recht für einen anderen Punkt: die Frage, ob Du glaubst, daß er kommen würde. ich gestehe, daß ich darüber sehr zweifelhaft bin. Ich decke Dir offen meine Karten auf: ich glaube, daß man unter den gegebenen Verhältnissen bei Euch Alles tun wird, ihn zu halten, und daß dies nicht allzu schwer sein | wird. Und angenehm wäre uns ein Korb natürlich nicht. Deshalb ist diese Frage rein persönlicher Natur, nur f[ür] meine Entscheidung maßgebend. We[nn] Du nicht willst, daß Deine Ansicht darüber der Commission mitgeteilt wird, so bitte ich wenigstens sie mir nicht vorzuenthalten. Es liegt ja nun einmal so, daß unsre Interessen in diesem Falle aus einander gehen. Du wirst ebenso wünschen, ihn zu behalten, als ich, ihn zu bekommen. Darum aber kann doch zwischen uns beiden volle Offenheit des Austausches bestehen. Und nur weil Du es bist, wage ich es auch in diesem Falle des Interessengegensatzes mir | bei Dir die Erkundigung, deren die Commission und ich bedarf, zu holen.
Mit herzlich treuem Gruß Dein
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
4↑Nachfolger von Wilamowitz ] Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff war 1897 einem Ruf nach Berlin gefolgt (Wer ist’s 1912, S. 1770).6↑Verfasser der Psyche ] vgl. Erwin Rohde: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg i. B./Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1894.▲