Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Gustav Freytag, Straßburg, 12.7.1886, 2 S., hs. (dt. Schrift), Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, Nachlass Freytag acc. Darmst. 1920.332
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- Physical LocationStaatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße
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Windelband an Gustav Freytag, Straßburg, 12.7.1886, 2 S., hs. (dt. Schrift), Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, Nachlass Freytag acc. Darmst. 1920.332
Strassburg iE. 12 Juli 1886
Sehr verehrter Herr,
Mitten in der Semesterarbeit und in politisch-communalem Kampfe – wir wählen eben den Gemeinderath[1] von Neustraßburg[2]! – erinnert mich die Zeitung, daß Sie morgen Ihren siebenzigsten Geburtstag begehen; und wenn ich nur ein wenig hoffen darf, daß Ihnen noch von Tagen[3], die mir sehr werthvoll waren, eine kleine Erinnerung an mich geblieben ist, so möchte ich doch unter denen nicht fehlen, die Ihnen dazu einen Gruß senden – mag auch dieser schließlich mit starkem akademischen Viertel[4] anlangen.
Zu bieten hab’ ich Ihnen außer dem Ausdruck meiner Treue und Verehrung Nichts als eine Nachricht, die nämlich, welche mich selbst augenblicklich tief bewegt. Trotz aller Fehler und Querköpfigkeiten haben wir Deutschen gestern doch so viel Disciplin bewiesen, daß wir heut vor uns selber staunen! In Metz sind 13 unsrer Kandidaten gewählt, kein „Einheimischer“, und für die 19. Stichwahlen ist mancherlei Hoffnung. Hier haben wir acht Sitze gewonnen, Nachwahlen stehen | bevor, und unter den andern Gewählten überwiegt die Zahl derer, denen wir als den Versöhnlichen unsre Stimmen zugewendet. Der „Protest“ ist todt.
Wenn wir so manchmal uns darüber freuen dürfen, wie anders es mit uns Deutschen geworden ist, an wen richtet sich unser Dank, wenn nicht an die, welche in schwereren Tagen die Fahne getragen haben? und deshalb dachte ich, daß diese Nachricht – ganz aus der Wahlaufregung heraus – auf den Tisch passe, der für Ihren 70. Geburtstag gedeckt wird – gedeckt von einer dankbaren Nation!
In Treue und Verehrung der Ihrige
Windelband
Kommentar der Herausgeber
1↑Gemeinderath ] der Gemeinderat von Straßburg war, da er sich offen gegen die deutsche Verwaltung gewendet hatte, 1873 aufgelöst worden. Die Neuwahlen im Juli 1886 standen unter dem Eindruck des Wahlkampfes der nach Frankreich orientierten Protestpartei, die jedoch gegen die „Altdeutschen“ (der Partei der Zuwanderer aus dem Deutschen Reich seit 1871) eine empfindliche Wahlniederlage erlitt, vgl. Sophie Charlotte Preibusch: Verfassungsentwicklungen im Reichsland Elsaß-Lothringen 1871–1918. Integration durch Verfassungsrecht? Berlin: Wissenschafts-Vlg. 2006, S. 275–285; Meyers Konversations-Lexikon 1888, Lemma Elsaß-Lothringen (http://www.peter-hug.ch/elsa%C3%9F-lothringen/17_0291); Wilhelm Müller: Politische Geschichte der Gegenwart. XX. Das Jahr 1886. Berlin: Springer 1887; ferner Trude Maurer: „… und wir gehören auch dazu“. Universität und Volksgemeinschaft im Ersten Weltkrieg Bd. 1. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, S. 38 über die Verbindung vom deutschen Prinzip der Selbstverwaltung mit dem französischen Prinzip des allgemeinen Wahlrechts in Straßburg.2↑Neustraßburg ] die nach 1871 erbauten Teile Straßburgs, nördlich der Altstadt, mit repräsentativen Verwaltungs- und Universitätsgebäuden.4↑akademischen Viertel ] meint die Verzögerung durch die Postlaufzeiten, die das Schreiben nicht rechtzeitig zu Freytags 70. anlangen lassen würden; in Anspielung auf die akademische Sitte, universitäre Lehrveranstaltungen nicht genau zur angegebenen Stunde, sondern eine Viertelstunde später zu beginnen.▲