Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Friedrich Theodor Althoff, Straßburg, 9.4.1883, 4 S., hs. (dt. Schrift), Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, VI. HA Nl Althoff, F. T. Nr. 1020
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- Physical LocationGeheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin
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Windelband an Friedrich Theodor Althoff, Straßburg, 9.4.1883, 4 S., hs. (dt. Schrift), Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, VI. HA Nl Althoff, F. T. Nr. 1020
Strassburg i/E. 9 April 1883
Verehrtester Herr Geheimerath!
Nachdem ich durch Familienverhältnisse einige Tage im Norden festgehalten worden war, bin ich unmittelbar nach meiner Rückkunft weitergereist und habe in Freiburg Gelegenheit zu einer ausführlichen Besprechung mit Weismann[1] gefunden, über welche ich Ihnen leider erst heut Bericht erstatten kann, weil ich, gestern zurückgekommen, gleich weiteren Collegenbesuch hier vorfand.
In Freiburg habe ich nun den Eindruck gewonnen, daß es zwar nicht aussichtslos, aber doch einigermaßen schwierig sein wird, Weismann zur Uebersiedlung nach Bonn zu bestimmen. Es gelang mir zwar, ihn davon zu überzeugen, daß bei Ihnen aus sachlichen und persönlichen Gründen der lebhafteste Wunsch vorhanden sei, ihn zu gewinnen, und ich darf voraussetzen, daß er Ihnen mit dem größten | Vertrauen entgegenkommen wird, und auch der Umstand schien nicht ohne Wirkung auf ihn zu bleiben, daß er unter den Bonner Verhältnissen gerade durch seine Art, die Descendenztheorie zu vertreten, eine werthvolle Aufgabe zu erfüllen haben würde. Aber andrerseits sind mancherlei persönliche Verhältnisse, die ein starkes Gegengewicht ausüben. In materieller Hinsicht freilich ist es ja zweifellos, daß die Anerbietungen, welche man ihm in letzter Instanz in Freiburg machen könnte, hinter denen zurückbleiben müssen, welche Sie für Bonn zur Verfügung haben werden: allein bestimmend würde diese Differenz bei Weismann’s eigenen Verhältnissen nur dann sein, wenn sie groß wäre. Bestimmend wäre für ihn in erster Linie eine bedeutende Erweiterung seiner Lehrthätigkeit. In dieser Hinsicht aber sprach er sich sehr wenig hoffnungsvoll aus: er schien mir namentlich zu befürchten, daß nach den bisherigen Bonner[a] Gewohnheiten und Examenbestimmungen er keine Einwirkung auf die Mediciner gewinnen und das Terrain von dem Vertreter der vergleichenden Anatomie besetzt | finden, resp. mit demselben in ungünstiger Weise zu theilen genöthigt sein würde: ich glaube, daß, wenn ihm in dieser Frage Concessionen gemacht werden könnten, damit eine wesentliche Chance für seine Annahme gegeben wäre. Weiterhin besteht bei Weismann, dem es wesentlich um seine wissenschaftliche Arbeit zu thun ist, die Sorge, es möchte ihm in Bonn dafür weniger Zeit bleiben: er fürchtet namentlich die Cumulation mit der landwirthschaftlichen Akademie, von der Sie zwar bisher Nichts erwähnt haben, die aber bei dem Vorgänger stattfand, und außerdem die Neueinrichtung des Instituts. In letzterer Beziehung sind ihm in Freiburg während der letzten Jahre einige Erweiterungen und Verbesserungen gewährt worden: dennoch glaube ich, daß, wenn er erwarten könnte, für diese Einrichtung seine Wünsche erfüllt zu sehen, die Furcht vor der damit verbundenen zeitraubenden Arbeit zurücktreten würde gegenüber der Aussicht auf die Förderung seiner wissenschaftlichen Thätigkeit.
Bei dem präliminarischen Zustande, in welchem sich die Sache befindet, habe ich mich natürlich darauf | beschränkt, die Vortheile einer Uebersiedlung nach Preußen und des Eintritts in eine flüssige Bewegung lebhaft hervorzuheben: und ich wünsche, den sehr starken persönlichen Gegenwirkungen, welche gegen die Annahme des Rufs bei Weismann ausgeübt werden, möge diese Betrachtung bei ihm energisch entgegentreten. Ihnen gegenüber, verehrtester Herr Geheimerath, schien es mir wünschenswerth, die Puncte hervorzuheben, an denen ein Entgegenkommen Ihrerseits, sofern die Verhältnisse dasselbe gestatten, mir die besten[b] Aussichten zu gewähren schien.
Lindemann[2] war bereits nach Berlin abgereist, und ich zweifle nicht, daß Sie mit ihm schon eine definitives Abkommen getroffen haben; was man auch in Freiburg allgemein voraussetzte. Außerdem hatte ich dort die Freude zu hören, daß einer der wissenschaftlich ausgezeichnetsten[c] dortigen Collegen, der Germanist Paul[3], dem bisher sein Gegensatz gegen eine herrschende Strömung hinderlich gewesen ist, endlich die verdiente Anerkennung gefunden hat, in Kiel primo loco[d] vorgeschlagen zu werden.
In der Hoffnung, Sie bald persönlich wiederzusehen, empfehle ich mich Ihnen inzwischen mit treuer Verehrung als Ihr ergebenster
Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Weismann ] August Weismann (1834–1914), Mediziner u. Zoologe, 1856 in Göttingen promoviert, 1856–1863 Tätigkeiten als Arzt und weiteres Studium in Gießen, 1863 in Freiburg habilitiert, 1865 ao. Prof. für Zoologie in Freiburg, 1868 Gründung des Zoologischen Instituts, 1873 o. Prof., 1909 Verleihung der Darwin-Wallace-Medaille, 1912 emeritiert (leo-bw).2↑Lindemann ] Ferdinand Lindemann (1852–1939), Mathematiker, 1873 in Erlangen promoviert, 1877 in Würzburg habilitiert, 1877 ao. Prof. für Mathematik in Freiburg, 1879 o. Prof., 1883 o. Prof. in Königsberg, 1893 o. Prof. in München, 1904/05 Rektor (NDB).3↑Paul ] Hermann Paul (1846–1921), 1870 in Leipzig promoviert, 1872 habilitiert, 1874 ao. Prof. in Freiburg, 1877 o. Prof., 1893 o. Prof. München, 1916 emeritiert (NDB).▲