Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 2.5.1910, 5 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_80-81
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Heidelberg
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 2.5.1910, 5 S., hs. (lat. Schrift), UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_80-81
Heidelberg, 2.5.10
Lieber Freund,
Mein Besuch bei Ihnen[1] war zwar für mein Gefühl etwas zu kurz und zu eilig, und ich hoffe bei irgend einer Gelegenheit im Sommer das jetzt leider nicht zu Gewinnende an Zeit nachzuholen, damit wir auch einmal über Sachliches wieder reden: aber ich habe doch das gewonnen, dass ich über die Gesinnungen von Mehlis klar geworden zu sein meine. Zu meiner Freude hat er dann mich aufgesucht und dabei den Eindruck verstärkt, den ich durch Sie empfangen hatte. Es ist mir auf diesem Grunde gelungen, Ruge zu überzeugen, dass er über die Absichten von Mehlis im Irrtum gewesen ist. Er ist bereit, das zu erklären; wie andrer|seits Mehlis bereit ist, zuzugestehen, dass der Gang der Verhandlungen geeignet war, bei Ruge eine Vorstellung von der Beeinträchtigung der ihm zustehenden Ansprüche hervorrufen. ich habe eine von beiden zu unterzeichnende Erklärung[2] in diesem Sinne aufgesetzt und sie eben an Mehlis abgeschickt. Beide sind der ganzen persönlichen Verbitterung der Sache herzlich überdrüssig: und dich darf Ihnen sagen, dass auch Ruge nur aus dieser Stimmung heraus, nur leider wieder mit völlig verunglückter Wendung, Sie hat bitten wollen, die Rechtsfrage nicht weiter zu erörtern. Beide werden es als eine Erleichterung fühlen, wenn | die persönliche Differenz formell[a] als erledigt gelten kann. Und das ist unbedingt erforderlich, falls die ganze Sache, wie es scheint, von den Russen[3] im Sommer noch einmal aufgerollt werden soll. Diese sind nach einem Briefe von Hessen an Ruge, den dieser mir zeigte, nicht ganz damit einverstanden, dass Mehlis allein als Herausgeber steht. Hessen bedauert es persönlich für sich sehr lebhaft, dass er als noch nicht 25jährig durch das russische Gesetz von der Herausgabe ausgeschlossen ist. Es scheint, dass wenn die „internationale Kommission“ erst durch den Hinzutritt von Italienern[4] und Franzosen[5] erweitert wird, diese Dinge noch einmal in Fluss kommen. Da ist es gut, wenn ihnen unsrerseits die persönliche Schärfe genommen | ist. Es ist auch in dem Sinne gut, dass von den inneren Spannungen in der Redaction nach aussen nichts zu Tage tritt. Solange Ruge formell in der Redaction steht, und dabei scheint es doch für das erste Jahr wenigstens zu bleiben, kommen an ihn Anfragen redactioneller Art. Einen solchen Fall legte er mir vor, und ich riet ihm, das Anerbieten eines Manuscripts[6] ruhig anzunehmen und nur zu erwidern, dass über die Annahme nicht er, sondern die Gesamtredaction zu befinden habe. Solche Sachen können sich wiederholen, und es scheint mir unerlässlich, dass zwischen Mehlis und Ruge wenigstens ein geschäftlicher Verkehr möglich wird. In diesem Sinne, den Mehlis | selbst durchaus anerkannte, habe ich jene Erklärung aufgesetzt, die keinem von beiden zu viel zumutet. ich denke damit auch in Ihrem Sinn gehandelt zu haben. –
Inzwischen habe ich Ihre neue Auflage von „Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft“[7] mit herzlichem Dank erhalten, leider noch nicht ansehen können: als ich herkam, musste ich zunächst die Akademierede[8] machen und halten, und dann brach das Semester herein. ich habe zum Seminar (Hume, Treatise) schon 40 Anmeldungen[9] und muss wahrscheinlich mich zu einer Teilung, d. h. zu doppelter Abhaltung bequemen. Dazu schon wieder drei Dissertationen[10]! ich wollt’ es wären bald wieder Ferien! Zunächst aber wünsche ich Ihnen ein gutes Semester als Ihr treulich ergebner
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
7↑neue Auflage von „Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft“ ] vgl. Rickert: Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft. 2., umgearbeitete u. vermehrte Aufl. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1910.8↑Akademierede ] vgl. Windelband: Die Erneuerung des Hegelianismus. Festrede in der Sitzung der Gesamtakademie am 25. April 1910. Heidelberg: C. Winter 1910 (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Stiftung Heinrich Lanz. Philosophisch-historische Klasse. Jg. 1910, Abhandlung 10).9↑40 Anmeldungen ] vgl. die Hörergeldabrechnungen für SS 1910 in UA Heidelberg, Akademische Quästur Rep. 27-1470: Seminarübung über Humes Treatise (on human understanding) 34 Hörer.10↑drei Dissertationen ] bei Windelband promovierten 1910: Julius Ebbinghaus (Datum der Promotion: 28.1.1910), Fedor Stepun (3.2.1910), Hans Ehrenberg (23.4.1910), Elisabeth Schmitt (10.5.1910), vgl. Jahres-Verzeichnis der an den Deutschen Universitäten erschienenen Schriften.▲