Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Max Weber, Heidelberg, 16.10.1909, 6 S., Ts. mit eigenhändiger Unterschrift, mit hs. Korrekturen von Windelbands Hd., UA Heidelberg, HAW 3
- Creator
- Recipient
- Participants
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationUniversitätsarchiv Heidelberg
- URN
- Social MediaShare
- Archive
- ▼
Windelband an Max Weber, Heidelberg, 16.10.1909, 6 S., Ts. mit eigenhändiger Unterschrift, mit hs. Korrekturen von Windelbands Hd., UA Heidelberg, HAW 3
Heidelberg, den 16.[a] Oktober 1909.
Abschrift.[1]
An Herrn Prof. Dr. Max Weber. hier
Hochgeehrter Herr Kollege!
Ihre freundliche Mitteilung des Schreibens[2], das Sie am 30. Juli an die Akademie gerichtet haben, ist mir leider erst auf meiner Reise in Tirol zugegangen, gleichzeitig mit einer Mitteilung an Herrn Geh[eime] Rat Königsberger, wonach Sie sich im Gefolge einer Unterredung mit ihm weitere Schritte vorbehielten: Als Sie dann Mitte September so gütig waren, mir auch Ihr zweites Schreiben[3] persönlich mitzuteilen, hat leider Ihre Abreise die persönliche Aussprache, die mir erwünscht gewesen wäre, verhindert, und ich muss daher jetzt bitten, auf beide Schreiben zugleich antworten zu dürfen, da Sie für mich sich als ein Ganzes darstellen.
Als ich in die verantwortliche Lage kam, für die zukünftige Gestaltung der Heidelberger Akademie Vorschläge zu machen, habe ich es wohl lebhaft bedauert, dass es mir nicht erlaubt war, dabei als Ratgeber alle die Herren Kollegen heranzuziehen, die nachher ihre Kritik daran üben würden. Aber wenn ich jetzt hinterher erlebe, wie weit diese Meinungen auseinandergehen, und wenn ich mir dabei sagen darf, dass darin kaum etwas vorgebracht wird, was ich nicht schon in meiner Weise selbst in Betracht gezogen hätte, so wird jenes Bedauern wesentlich vermindert.
In der Tat hat auch meine „Menschenkenntnis“[4] soweit gereicht, um die persönlichen Schmerzen vorauszusehen, die mit der Geburt der Akademie verbunden sein würden: und auch das habe ich vorausgesagt, dass die Klagen, die laut werden würden, sich nicht auf eine Verletzung der Persönlichkeiten, sondern auf die Zurücksetzung der von Ihnen vertretenen Wissenschaften beziehen würden. | Es war mir klar, dass derartige Verstimmungen ganz unvermeidlich waren, wie auch die Einrichtungen getroffen werden mochten, und es fragte sich nur, ob man ihnen die Bedeutung zuerkennen sollte, um deshalb die Einrichtung der Akademie überhaupt zu widerraten. Dabei war auch mir bekannt, dass es Ansichten gibt, welche die Akademien in ihrer bisherigen Gestalt für veraltete und überlebte Institute halten. Diese Frage möchte ich hier nicht diskutieren, sondern nur auf den Punkt hinweisen, der für mich maßgebend war. Jenen Ansichten stehen doch tatsächlich auch die entgegengesetzten gegenüber, welche die Verbindung der Akademie mit einer Universität als erstrebenswertes Gut für die letztere betrachten. Seit Jahren ist man in Bonn[5] mit der Begründung einer Akademie beschäftigt, für die man schon die Statuten, aber noch kein Geld hat. In Straßburg haben die Kollegen (die mir persönlich am meisten symphatische Form) eine freie Gesellschaft der Wissenschaften[6] gegründet, die schon beträchtliche Kapitalien an sich gezogen hat. In Freiburg ist man aus Anlaß des neuen Kollegienhauses[7] mit Geldsammlungen größeren Stils beschäftigt, die sachlich auf dasselbe Ziel hinausgehen. In solchem Moment wäre es unverantwortlich gewesen, wenn für Heidelberg diese Möglichkeit mit einem[b] Schlage gegeben war, sie abzulehnen, blos weil vorauszusehen war, dass nicht alle gleichmäßig damit zufrieden sein würden.
Solche Ungereimtheiten also, die als unvermeidlich in den Kauf genommen werden mußten, habe ich wohl vorausgesehen. Was ich dagegen nicht voraussehen konnte, war, dass Sie sich zum Sprecher jener Klagen machen würden und dass Sie bereit sein würden, durch eine darauf begründete Ablehnung jene Verstimmungen mit Ihrer persönlichen Autorität zu verstärken und in ihrem Bestande zu verlängern, dadurch aber jene Gefahr einer Störung der Einigkeit an unserer Universität, von der Sie selbst schreiben, erheblich zu vergrößern. |
Leider war auf diesen persönlichen Ton, mit dem Ihnen, wie ich Ihren Andeutungen gern glaube, wohl auch „hervorragende Kollegen“ in den Ohren gelegen[8] haben mögen, der Hauptteil Ihres ersten Briefes gestimmt. Er war in dieser Hinsicht gegenstandslos schon als er geschrieben wurde. Fünf Tage vorher hatte die Akademie bei Ihrer Statutenberatung die Zahl der Stellen erweitert. Und gleich nachher hat jener natürliche Lauf der Dinge, der bei der Schaffung (und somit auch bei der Beurteilung) derartiger Institutionen in Betracht gezogen sein will, mit schmerzlicher Geschwindigkeit zwei neue Stellen freigemacht. Platz ist genug da, nur ein wenig Geduld bleibt nötig. Platz zu machen, ist nicht mehr erforderlich.
Ihr zweiter Brief betont denn auch fast nur noch das andere Motiv, das im ersten „überdies“ aufgeführt war, und er steigert demgemäß dies Motiv zu einer scharfen Anklage. Während Sie anfänglich nur geltend machten, dass Sie von der Akademie keine Förderung der von Ihnen vertretenen Wissenschaften, der soziologischen, wie ich sie mit Ihrer Erlaubnis kurz nennen will, zu erwarten hätten, behaupten Sie jetzt, dass diese Disziplinen durch ihre scheinbare, aber sachlich aussichtslose Vertretung in der persönlichen Zusammensetzung der Akademie geradezu geschädigt würde. Diese Ihre Behauptung muß ich im Namen der Philosophisch-historischen Klasse, die ich als ihr Sekretär zu vertreten berufen bin, auf das Entschiedenste zurückweisen. Es liegt nicht der geringste Grund dafür vor, zu befürchten, dass durch die Überzahl philologischer und historischer Mitglieder die Interessen der Soziologischen Disziplinen in ungerechter Weise vernachlässigt werden könnten. Ganz dieselbe Befürchtung könnte ja mit dem gleichen Rechte etwa für die Philosophie oder für die Religionswissenschaft ausgesprochen werden. Denn auch diese sind | unter den 10 ordentlichen Mitgliedern nur durch je eines vertreten, geradeso wie die soziologischen Fächer. Denn dass deren Vertreter zur Zeit noch auch für die Interessen der politischen Geschichte wird in Anspruch genommen werden müssen, ist doch wahrlich kein Hindernis für seine energische Vertretung der soziologischen Interessen. Es ist deshalb ein völlig ungerechtfertigtes Mißtrauen in die wissenschaftliche Unbefangenheit unserer Klasse, wenn ihr, ehe sie überhaupt hat in Tätigkeit treten können, vorgehalten wird, sie werde eine der Wissenschaftsgruppen, die in ihr vertreten sind, nicht in angemessener Weise zu fördern geneigt sein. Wie dieser Vorwurf schon jetzt erhoben werden kann, ist mir völlig unbegreiflich. Die Klasse hat noch nicht einmal ihre Geschäftsordnung entworfen, niemand kann noch sagen, in welcher Weise sie ihre Tätigkeit gliedern, in besonderen Kommissionen organisieren wird, und es ist noch in keiner Weise abzusehen, wie weit es ihr dabei gelingen wird, den formell unerläßlichen (von niemand mehr als von mir peinlicher empfundenen) Unterschied zwischen den geschäftsführenden, sog[enannten] ordentlichen Mitgliedern, und den übrigen in sachlicher Arbeitsgemeinschaft auszugleichen. Dass dazu die besten Absichten, speziell in unserer Klasse, bestehen, dürfen Sie als sicher annehmen: ob aber die Ausführung dieser Ansichten dadurch gefördert wird, dass die anfänglich leider unvermeidlichen Gereiztheiten zum öffentlichen[c] Ausdruck gebracht werden, das überlasse ich Ihnen selbst zu beurteilen.
Für die Philosophisch-historische Klasse muß ich also als ihr Vertreter das Vertrauen in Anspruch nehmen, dass sie bemüht sein wird, die große Mannigfaltigkeit wissenschaftlicher Interessen, die in ihr vereinigt sind, in gerechter Weise anzuwägen. Dabei wird allerdings, wie es bei einer „Akademie der Wissenschaften“ erforderlich ist, jede einzelne Disciplin[d] sich bescheiden müssen, an den immerhin beschränkten | Mitteln eben nur ihren Anteil durchschnittlich zu beanspruchen. Aufgaben so umfassenden Charakters, wie Sie sie für die demographische Forschung[9] skizzieren, scheinen mir etwa die Mittel unserer ganzen Akademie für sich allein in Anspruch zu nehmen, oder zum mindesten so viel, wie wenn die Soziologischen Diszplinen eine eigene Klasse neben den beiden andern bildeten. In der Tat scheinen mir Ihre Wünsche darauf hinauszulaufen. Auch dieser Gedanke überrascht mich keineswegs: ich habe die Möglichkeit einer dritten, soziologischen Klasse sehr ernst in Erwägung gezogen. Viele Vorteile sah ich dabei voraus. Das Lob der Modernität wäre uns sicher gewesen, ein Secretarius hätte sich ja wohl gefunden, und in der andern Klasse wäre so viel erwünschter Platz geworden! Aber die Ausführung des Gedankens erwies sich als unmöglich, nicht etwa wegen des Widerstandes, den er allerdings wegen der Schmälerung erfahren hätte, die den anderen Klassen an ihren Mitteln und an ihrem Stimmgewicht erwachsen wäre, sondern hauptsächlich deshalb, weil der Versuch, diese dritte Klasse in einer analogen Weise zu konstutieren, völlig mißlang. Selbst wenn man (was ich genau erwog) Philosophie und Religionswissenschaft mit dazu nahm und wenn man auch die sonst so schwer unterzubringende Geographie ihr einfügte, so war eine solche[e] dritte Klasse nicht voll zu besetzen, wenn man nicht zu schreienden Ungleichmäßigkeiten greifen wollte.
Gerade hieraus aber bestätigt sich mir, dass auch die soziologischen Fächer neben dem Anteil, den sie, wie alle übrigen, an der Arbeit der Akademie in Anspruch zu nehmen haben, für weitergehende Bedürfnisse auf besondere Zuwendungen rechnen müssen, wie es bei allen übrigen Disziplinen der Fall ist. Derartiges geschieht bei allen Akademien durch Nachstiftungen für spezielle wissenschaftliche Zwecke. Wir haben in unserer Klasse schon jetzt die | Freude, zwei solche Zustiftungen[10] empfangen zu haben; ich sollte denken, dass den Herren von den wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen es vielleicht am ehesten beschieden wäre, für ihre Fächer Ähnliches zu erreichen. Derartige Nachstiftungen können aber nicht sicherer verhindert werden, als wenn in einer weithin sichtbaren Weise die Meinung verbreitet wird, diese Akademie werde, wie alle übrigen, unfähig sein, den soziologischen Interessen die ihnen gebührende Pflege angedeihen zu lassen.
Deshalb sehe ich in Ihrem Vorgehen, verehrter Herr Kollege, nicht nur eine Schädigung der Universität, deren Einigkeit dadurch in erhöhter Weise gefährdet wird, und nicht nur eine Schädigung der Akademie, deren Tätigkeit nach einer besonders wertvollen Richtung hin dadurch beeinträchtigt wird, sondern auch eine Schädigung der sozialen Wissenschaften selbst, in deren Interesse Sie zu handeln glauben. Selbstverständlich bin ich überzeugt, dass Sie alle diese Folgen nicht nur nicht beabsichtigen, sondern auch selbst im höchsten Grade beklagen würden: und deshalb halte ich mich für verpflichtet, Ihnen mit der Offenheit, die ich Ihnen zur Erwiderung schulde, auszusprechen, dass ich diese Folgen für durchaus unausbleiblich erachte. Ich würde es auf das Lebhafteste bedauern, wenn die sachlichen Meinungsverschiedenheiten, die ja bei Ihnen selbst allein massgebend sind, die Akademie Ihrer Mitwirkung berauben[11] sollten: und indem ich Sie bitte, von dieser meiner Gesinnung überzeugt zu sein, verbleibe ich in vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster
Windelband[f]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Abschrift. ] unterstrichen. Vgl. den Teilabdruck des an Max Weber gegangenen und von diesem mit Randbemerkungen versehenen Exemplars in: Max Weber Gesamtausgabe Abt. II, Bd. 6, S. 295–297.3↑zweites Schreiben ] vgl. Weber an Windelband vom 20. u. 24.9.1909 (Max Weber Gesamtausgabe Abt. II, Bd. 6, S. 206–209, S. 273–274 u. S. 278–279); ferner Weber an Windelband vom 13.10.1909.6↑Gesellschaft der Wissenschaften ] Wissenschaftliche Gesellschaft Straßburg, mit Windelband als korrespondierendem Mitglied seit 1910.7↑neuen Kollegienhauses ] vgl. Eröffnungsfeier des Kollegienhauses der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. am 28. Oktober 1911. Freiburg i. Br.: C. A. Wagner 1912.8↑den Ohren gelegen ] Anspielung auf Formulierungen Webers, vgl. Max Weber an Windelband vom 27.10.1909: Bemerken möchte ich nur noch: 1. daß keineswegs speziell Jellinek mir „in den Ohren gelegen ist“, wie Sie vielleicht annehmen, – daß ferner ich ihm mein Exposé s. Z. – ohne Schweigeverpflichtung gegeben habe, da er sich in ähnlicher Lage befand wie ich, und nicht glaube, daß er es andren außer ganz zufällig mit ihm zusammengetroffenen Collegen gezeigt hat. 2. Zu aller Sicherheit bemerke ich noch, daß ich mit meinem Bruder [Alfred Weber] über Angelegenheiten der Akademie ein Mal […] geredet habe, nämlich nachdem er von dritter Seite von meinem ersten Brief gehört hatte […] 3. Ich höre bestimmt, daß es trotz Allem Herren giebt, welche glauben, im Fall der künftigen Gründung einer „soziologischen Klasse“ […] ich darum ambierte, nun dort „ordentliches Mitglied“ oder so etwas zu werden. […] Sicher wird die akademische Eitelkeit auch bei mir irgendwo sitzen – aber da sitzt sie nicht (Max Weber Gesamtausgabe Abt. II, Bd. 6, S. 302–303).9↑demographische Forschung ] vgl. die späteren Anträge von Weber an die Heidelberger Akademie, eine von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie geplante Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens zu finanzieren (Weber an Windelband vom 9.5., 29.5., 10.6., 9.7. u. 27.10.1910).11↑Ihrer Mitwirkung berauben ] Weber hat seinen Verzicht auf die Mitgliedschaft schließlich mit Schreiben an Koenigsberger vom 27.10.1909 zurückgezogen, vgl. Max Weber Gesamtausgabe Abt. II, Bd. 6, S. 298.▲