Bibliographic Metadata
- TitleWindelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 29.6.1909, 3 S., hs. (lat. Schrift), Wasserzeichen R. DIEFFENBACHER | HEIDELBERG, UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_65
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Windelband an Heinrich Rickert, Heidelberg, 29.6.1909, 3 S., hs. (lat. Schrift), Wasserzeichen R. DIEFFENBACHER | HEIDELBERG, UB Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/heidhs2740IIIA-224_65
Heidelberg, 29.6.09.
Lieber Freund,
Aufrichtigen Dank für Ihre Briefe[1]; sie haben mich sehr gefreut, insbesondre auch der letzte mit seiner Zustimmung zu unsrer Akademie[2]. Dass mir deren Installation viel Mühe und Arbeit gemacht hat und macht, können Sie denken. Wie sehr ich in solchen Aussendingen und in den unerwartet umfangreichen repräsentativen Pflichten meines Prorectorats befangen bin, sehen Sie daraus, dass ich auch Ihre Abhandlung[3] in den K[ant-] St[udien] bisher nicht studiert, sondern nur flüchtig angelesen habe; daher auch Ihnen heute nur den allgemeinsten Dank dafür sagen kann. Herrn[a] Steppuhn, der mich gestern besuchte, sollte Ihnen diese meine Zeitnöte und auch meine Stellung zu dem „Logos“ berichten, dem ich grosses, für später auch tätiges Interesse zuwenden will, wenn ich auch zwei nicht leichte Bedenken[4], die er Ihnen berichten will, ein sachliches und ein persönliches, dabei zu überwinden habe. Für heute kann ich leider nicht näher darauf eingehen, weil ich noch sehr viel zu tun habe.
Nur einen Punkt möchte ich kurz berühren: ich deute den Wunsch nach Besitz meines „Büchleins“, den Sie sehr berechtigt aussprechen, auf die | Frankfurter Vorlesungen[5] über Phil[osophie] d[es] 19. Jahrh[underts]. Diese aber habe ich Ihnen ganz bestimmt geschickt, entweder, wie ich glaube, durch Siebeck oder direct von hier. Jedenfalls stehen Sie als Adressat auf meiner Liste der Empfänger[6]. Sollte das Ding nicht in Ihre Hände gelangt sein? Da müsste irgendein Missgeschick passiert sein. Wenn es so ist, bitte ich dringend, es mir zu schreiben; ich hole es dann nach. Denn Einiges darin wird Ihnen vielleicht nicht ganz alltäglich vorkommen, so populär das Ganze gehalten ist. Es fällt mir jetzt auf, dass Ihr vorletzter Brief[7], den ich darauf nachsehe, von dem Büchlein nichts erwähnt.
Dagegen wird der Separatabdruck[8] aus der Kult[ur] d[er] Gegenw[art], den ich in den letzten Tage an Sie expedierte, für Sie nicht viel andres enthalten als etwa das Interesse daran, | wie ich mich mit der wenig angenehmen Lage abgefunden habe, mich selbst abzuschreiben.
Doch nun für heut genug. Dass Sie nicht zum Samstag[9] kommen, begreife ich vollkommen, so herzlich leid es mir tut.
Mit den besten Grüssen von Haus zu Haus getreulich der Ihrige
W Windelband
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Zustimmung zu unsrer Akademie ] Rickert gehörte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften als ausserordentliches (= auswärtiges) Mitglied an.4↑Steppuhn … Bedenken ] vgl. Windelband an Rickert vom 16.11.1909. Der Freundeskreis um Richard Kroner, in dem auch die Konzeption einer Zeitschrift mit dem Titel Logos zum ersten Mal diskutiert wurde, bestehend aus Nicolai von Bubnoff, Georg Mehlis, Sergius Hessen und Fedor Stepun hatte 1909 erscheinen lassen: Vom Messias. Kulturphilosophische Essays. Leipzig: Engelmann 1909. Windelbands Reaktion auf die religiöse Konnotation war zumindest ambivalent, vgl. Fedor Stepun: Vergangenes und Unvergängliches. Aus meinem Leben. Erster Teil 1884–1914. München: Kösel 1947, S. 201–202: Als ich ihm das Sammelheft unseres Kreises zeigte, richtete er seine durchbohrenden klugen Augen auf mich und bemerkte mit seinem bezaubernden Lächeln sarkastisch: „Sie haben Ihr Heftchen ‚Vom Messias‘ genannt, jetzt wollen Sie die Zeitschrift ‚Logos‘ betiteln. Passen Sie auf, Sie landen noch bei den Schwarzen.“ Windelband scherzte natürlich; in seinem Scherz lag aber doch eine gewisse Befürchtung, wir, seine Schüler, könnten dem Kantischen Kritizismus untreu werden und, uns selber unbewußt, am Ufer katholisierender Metaphysik landen. Will man es nicht als bloßen Zufall ansehen, daß von fünf Mitarbeitern unseres Schriftchens nur ein einziger dem Kritizismus treu geblieben ist, so muß man Windelband einen tiefen Scharfblick zuerkennen. Zum Kontext vgl. die weiteren sich auf das Vorhaben Logos und den Streit um Arnold Ruge innerhalb der Redaktion beziehenden Schreiben Windelbands, Rickerts und Paul Siebecks vom Frühjahr 1910; sowie Harald Homann: Die „Philosophie der Kultur“. Zum Programm des ‚Logos‘. In: E. W. Orth/H. Holzhey (Hg.): Neukantianismus. Perspektiven und Probleme. Würzburg: Königshausen & Neumann 1994, S. 88–112; Rüdiger Kramme: Philosophische Kultur als Programm. Die Konstituierungsphase des LOGOS. In: H. Treiber, K. Sauerland (Hg.): Heidelberg im Schnittpunkt intellektueller Kreise. Opladen: Westdeutscher Vlg. 1995, S. 119–149; ders.: LOGOS 1933/34. Das Ende der „Internationalen Zeitschrift für Philosophie der Kultur“. In: Rechtstheorie 27 (1996), S. 92–116; ders.: „Kulturphilosophie“ und „Internationalität“ des „Logos“ im Spiegel seiner Selbstbeschreibungen. In: G. Hübinger, R. v. Bruch, F. W. Graf (Hg.): Kultur und Kulturwissenschaften um 1900 Bd. 2. Idealismus und Positivismus. Stuttgart: Steiner 1997, S. 122–134.5↑Frankfurter Vorlesungen ] vgl. Windelband: Die Philosophie im deutschen Geistesleben des XIX. Jahrhunderts. Fünf Vorlesungen. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1909.6↑Liste der Empfänger ] in Windelbands Liste an Paul Siebeck vom 30.3.1909 (siehe dort) ist Rickerts Name nicht aufgeführt.8↑Separatabdruck ] von Windelband: Die neuere Philosophie. In: Allgemeine Geschichte der Philosophie. Leipzig: Teubner 1909 (Die Kultur der Gegenwart, ihre Entwicklung und ihre Ziele. Hg. v. P. Hinneberg. Teil I, Abt. 5, Bd. 7), S. 382–541.9↑zum Samstag ] den 3.7.1909, Tag der Eröffnungssitzung der Akademie um 10:00 Uhr in der Aula der Universität, vgl. den Bericht in: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Stiftung Heinrich Lanz. Jahresheft Juni 1909 bis Juni 1910. Heidelberg: C. Winter 1910, S. IX–XXIX.▲