Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Hans Driesch, Halle, 21.4.1927, 1 S., Ts. mit eU, Briefkopf (Stempel) Prof. Dr. Hans Vaihinger | Geh. Reg.-Rat | Dr. rer. techn. h. c. Dr. med. h. c. | Halle a. d. S., den … 192 …, Universitätsbibliothek Leipzig, NL 250, 4/2, I–V, 81
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Leipzig, NL 250, 4/2, I–V, 81
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Vaihinger an Hans Driesch, Halle, 21.4.1927, 1 S., Ts. mit eU, Briefkopf (Stempel) Prof. Dr. Hans Vaihinger | Geh. Reg.-Rat | Dr. rer. techn. h. c. Dr. med. h. c. | Halle a. d. S., den … 192 …, Universitätsbibliothek Leipzig, NL 250, 4/2, I–V, 81
21. April 1927
Verehrter Herr Kollege Driesch!
Indem ich Ihnen zu Ihrer glücklichen Rückkehr aus Nordamerika[1] meine besten Glückwünsche sage, möchte ich Ihnen gleichzeitig eine Mitteilung machen, die Ihnen als dem Inhaber der Karl Schurz-Professur in Madison ein ganz besonderes Interesse einflössen könnte.
Mit besonderer Vorliebe lasse ich mir interessante Lebenserinnerungen vorlesen und so machte mich im vorigen Sommer in meinem längeren Kuraufenthalt in Eisenach ein dortiger Bekannter, ein Arzt, auf die „Lebenserinnerungen von Karl Schurz[2]“ aufmerksam (Verlag von Georg Reimer in Berlin 1907 ff). Nach meiner Rückkehr nach Halle liess ich mir das Buch von der hiesigen Universitätsbibliothek kommen (Signatur: Ne 2624 g). Es sind drei starke Bände. Seit Ende vorigen Jahres habe ich mir, besonders während einer langen schweren Krankheit, diese drei Bände vorlesen lassen. Darin fand sich nun im II. Bande Kap[itel] 16, S. 409–411 eine sehr merkwürdige Mitteilung über eine spiritistische Sitzung, in welcher durch Tischrücken die Geister von Schiller und von Lincoln durch Karl Schurz zu höchst seltsamen Mitteilungen veranlasst wurden.
Ich selbst freilich, in der Schule des vorigen Jahrhunderts aufgewachsen und jetzt im 75. Lebensjahre stehend, kann mich nicht mehr dazu zwingen der modernen okkultistischen Auffassung mich anzuschliessen und[a] suche eine natürliche und rein naturwissenschaftliche, resp. psychologische Erklärung solcher Phänomene[3]. Aber Sie als der Führer einer neuen Zeit[4] werden gewiss diese Erzählung mit grösstem Interesse verfolgen, und die Ihnen kongenialen Schlüsse daraus ziehen.
Eine interessante Ergänzung zu jener spiritistischen Sitzung bildet eine Erzählung von Karl Schurz im I. Bande, S. 364–367, über die auffallenden Leistungen einer Hellseherin in Paris. Auch diese Erzählung suche ich mir selbst psychologisch zurechtzulegen, aber Sie werden wahrscheinlich diese Erzählung in anderer Weise auffassen, zumal sie gewisse neueste Leistungen von Hellsehern zu bestätigen scheint.
Noch eine weitere Stelle aus dem II. Bande, S. 357–359 wird Sie wohl noch besonders interessieren: es handelt sich dabei um eine auffallende Todesahnung von Karl Schurz, die allerdings zum Glück nicht eingetroffen ist, die aber dem Psychologen höchst interessantes Material darbietet.
Der Zufall hat mir diese Stellen in den Schoss geworfen, und da ich selbst nichts damit anfangen kann, so halte ich es für meine innere Pflicht, Ihnen dieses Material zuzuführen.
Übrigens bieten die drei Bände eine überaus wertvolle Sammlung von kulturhistorischem Material aus der Zeit von 1840–1900, zuerst im alten Preussen, dann im jungen Nordamerika, sodass ich Ihnen dieses Buch ganz besonders empfehle, das ja wohl auch auf der Leipziger Universitätsbibliothek vorhanden ist. Sollte es sich nicht dort befinden, so rate ich Ihnen das Exemplar der Hallenser Universitätsbibliothek sich kommen zu lassen; die Leipziger Universitätsbibliothek übernimmt natürlich mit Vergnügen diesen Tauschverkehr, der der ja jetzt an den Deutschen Bibliotheken sehr üblich ist.
Mit kollegialen Gruss und mit besten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin, Ihr ergebener
Vaihinger[b]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Lebenserinnerungen von Karl Schurz ] vgl. Carl Schurz: Lebenserinnerungen. 3 Bde. Berlin: Georg Reimer 1906, 1907, 1912.4↑Führer einer neuen Zeit ] Driesch fungierte 1926/1927 als Präsident der Londoner Society for Psychical Research (Mitglied seit 1913), die sich der Erforschung parapsychologischer Phänomene widmete. Vgl. Driesch: Presidential Address. Psychical Research and Established Science. In: Proceedings of the Society for Psychical Research 36 (1926), S. 171–186; sowie die Meldung in: Hallische Nachrichten, Nr. 28 vom 3.2.1926, S. 3, ferner Heather Wolffram: The Stepchildren of Science. Psychical Research and Parapsychology in Germany, c. 1870–1939. Amsterdam: Rodopi 2009.▲