Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Fritz Mauthner, Halle, 6.10.1920, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf PROF. DR. HANS VAIHINGER | GEH. REG-RAT. | Halle a. S., den … 192… | Reichardtstr. 15., Leo Baeck Institute New York, Fritz Mauthner Collection, https://archive.org/details/fritzmauthner_08_reel08/page/n688/mode/1up (S. 689–725)
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- Physical LocationLeo Baeck Institute New York, Fritz Mauthner Collection
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Vaihinger an Fritz Mauthner, Halle, 6.10.1920, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf PROF. DR. HANS VAIHINGER | GEH. REG-RAT. | Halle a. S., den … 192… | Reichardtstr. 15., Leo Baeck Institute New York, Fritz Mauthner Collection, https://archive.org/details/fritzmauthner_08_reel08/page/n688/mode/1up (S. 689–725)
6.10.1920.
Hochgeehrter Herr Dr. Mauthner!
Die Absendung der Sammlung der Broschüren zum Fichteschen Atheismusstreit[1] hat sich bis heute verzögert, ist nun aber erfolgt. Ich musste erst mit dem Antiquariat Liebisch in Leipzig[2] verhandeln, welches auf den Ankauf von meiner ganzen Bibliothek[3] reflektiert. Nach seiner Schätzung ist die Sammlung der 35 Broschüren ein tausend Mark wert, die ich daher auf dem Paket angegeben habe.
Diese Sammlung ist eine sehr seltene Kollektion, keine öffentliche Bibliothek in Deutschland besitzt etwas derartiges. Es ist diese Sammlung daher ein einzigartiges Monument jener denkwürdigen Bewegung und daher eigentlich dem Liebhaberwert nach noch viel höher anzusetzen als ein tausend Mark. Wenn ich z. B. heute als Interessent eine solche Sammlung neu kaufen würde, wäre ich bereit eine viel höhere Summe dafür anzulegen, eben weil diese Sammlung überhaupt nicht mehr zusammen zubringen ist.
Ich muss Sie daher bitten, diese Sammlung mit allergrösster Sorgfalt zu behandeln, und besonders bei der Rücksendung die Verpackung selbst zu überwachen. Der Pappkasten muss zuerst durch einen Bindfaden fest zusammengehalten werden, und dann muss darüber ein gutes Packpapier gelegt werden, das wiederum gut verschnürt sein muss. Die Post verlangt bei solchen Wertpaketen ausserdem sorgfältige Versigelung[a] und nimmt Pakete, welche den Anforderungen nicht entsprechen überhaupt nicht an.
Da mir in letzter Zeit sogar ein eingeschriebenes Paket verloren gegangen ist, so mache ich nach eingezogenen genauen Erkundigungen bei der Post darauf aufmerksam, dass nur Wertpakete mit einem Wert über 500 Mark relativ sicher sind. Gewöhnliche Pakete, eingeschriebene Pakete, Pakete mit Wert bis 500 Mark sind durchaus nicht sicher.
Die Versicherungsgebühr bei Wertpaketen ist gering und beträgt bei 1000 Mark nur 2 Mark. |
Die Sammlung besteht aus 4 Gruppen resp. 4 Päckchen, und ich bitte diese 4 Gruppen bei einander zu lassen:
1. Schriften von Fichte und Forberg … 6 Stück
2. Schriften von genannten Autoren … 13 "[b]
3. Anonyma deren Verfasser bekannt sind … 11 "
4. Anonyma deren Verfasser unbekannt sind … 5 "
35 Stück
Natürlich habe ich von den 35 Broschüren (wie überhaupt von meiner Bibliothek) einen[c] genauen Zettelkatalog[4].
Die Rücksendung erbitte ich bis zum 1. Dezember. Unter besonderen Umständen kann der Termin auf Wunsch verlängert werden.
Die Sammlung gibt ein teils farbiges teils graues Bild der damaligen Zustände und Meinungen. Jedenfalls beweist die enorme Anzahl derartiger Broschüren (denn es gibt ausser jenen 35 noch weitere und auch mehrere[d] Aufsätze in Zeitschriften) eine überaus lebhafte Beteiligung weitester Kreise an dem Streit, bei dem freilich die eigentliche Ursache und Hauptsache, die Als Ob Betrachtung von Forberg fast ganz in den Hintergrund[e] trat. Nur Forbergs Lehre ist Atheismus, dagegen Fichtes Lehre ist eine Art moralischer Pantheismus mit theistischer Spitze.
Wenn Sie in Ihrem grossen Werke über die Geschichte des Atheismus nun die Bewegung von 1799 behandeln, so bitte ich dabei anzugeben[5], dass Sie die Sammlung der 35 Broschüren von mir zur Einsicht bekommen haben.
Mit hochachtungsvollem Grusse
Vaihinger
P. S. Das Einladungsformular zur Tagung der Kantgesellschaft, das ich Ihnen in meinem letzten Briefe[6] sandte, gehört in das Archiv der Kantgesellschaft und ich erbitte es daher bei nächster Gelegenheit zurück, vielleicht am besten in dem Briefe, in welchem Sie mir die gute und richtige Ankunft der 35 Broschüren mitteilen. Um eine solche Empfangsbestätigung[7] bitte ich dringend.
Kommentar zum Textbefund
a↑Versigelung ] so wörtlich; danach Fußnotenzeichen und -text (hs. von anderer Hd.): die Sigel müssen Buchstaben sein, (nicht Wappen), die Buchstaben können aber beliebige sein, so benütze ich z. B. das Sigel eines Verwandten.Kommentar der Herausgeber
2↑Antiquariat Liebisch in Leipzig ] Bernhard Liebisch, Antiquariats- und Sortiments-Buchhandlung, Kurprinzstr. 6, Leipzig (vgl. z. B. https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/liebisch1923_238 (25.9.2024)).3↑Ankauf von meiner ganzen Bibliothek ] der Verkauf wurde abweichend über die Firma Fock in Leipzig abgewickelt, vgl. Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 203 vom 3.5.1922, Morgenausgabe, S. 4 (online via https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper (25.9.2024)): Antiquariat und Wissenschaft. Der Antiquariatsbuchhandel hat in Leipzig, und zumal in der Buchhandlung Gustav Fock, eine Zentralstelle, die Leistung und Umfang nach in der Welt kaum ihresgleichen hat. Mit dem außerordentlichen Anwachsen des wissenschaftlichen Betriebes in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts faßte die Buchhandlung Fock den Plan, eine „Zentralstelle für Dissertationen und Programme“ zu schaffen, die der wissenschaftlichen Kleinliteratur eine besondere wissenschaftliche Pflege widmen sollte. Die Zentralstelle wies 1888 1 500 000 Nummern auf und wird gegenwärtig auf eineinhalb Millionen geschätzt. Aus dieser ungeheuren Ansammlung wissenschaftlicher Kleinliteratur hat sich das Antiquariat Gustav Fock herausgelöst, das bis jetzt insgesamt 500 Kataloge aller wissenschaftlichen Sondergebiete herausgegeben hat. Diese Kataloge an sich bilden schon ein Nachschlagewerk von außerordentlichem Wert. Eine besondere Spezialität der Firma ist der Ankauf großer, ungeteilter Bibliotheken bedeutender Gelehrter. So wurden in den letzten Jahren u. a. Bibliotheken der Juristen Jhering und Gneis, der Physiologen Du Bois Reymond, des Astronomen Wilhelm Förster, des Mathematikers Studniczka, des Philologen Mommsen, des berühmten Strafrechtslehrers Carl Binding und des Philosophen Hans Vaihinger erworben. Leider ist das Schicksal der Gelehrtenbibliotheken, die in den Handel kommen, im allgemeinen die Wiederauflösung. Der größte Teil der Bibliotheken geht über den Atlantischen oder den Stillen Ozean, an die Universitäten Amerikas und Asiens. Einen gewaltigen Wert repräsentieren die lückenlosen Jahrgänge der naturwissenschaftlichen Zeitschriften, in denen sich der Fortschritt der naturwissenschaftlichen Forschung spiegelt. – Vgl. ferner das Verzeichnis der 1921 verkauften und dann 1923 nach Japan weiterverkauften Privatbibliothek Vaihingers: https://chssl.lib.hit-u.ac.jp/images/2020/02/Catalog_Hitotsubashi_Soda.pdf (26.2.2020); sowie zu dem Verkauf nach Japan: Silke Knappenberger-Jans: Verlagspolitik und Wissenschaft. Der Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) im frühen 20. Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz 2001, S. 398. Die Privatbibliothek ist demnach 1923 durch Ankauf eingegangen in die Bibliothek des japanischen Philosophen und Bankiers Kiichiro Soda. Diese Sammlung wurde 1929 von der Bibliothek der Hitotsubashi Universität, Tokio (Center for Historical Social Science Literature) übernommen, vgl. http://chssl.lib.hit-u.ac.jp./collection/soda/index_e.html (26.2.2020)): This collection of works on the history of philosophy, assembled by Professor Kiichiro Soda (1881–1927), economic philosopher and bank president, was acquired in 1929. It contains approximately 8,100 books and bound periodicals, and is particularly strong in materials relating to Immanuel Kant. Dazu das oben genannte Verzeichnis: Katalog der Soda Kiichiro-Bibliothek in der Handels-Universität Tokio. Tokio: Bibliothek der Handels-Universität Tokio 1942; ohne Nachweis der Sammlung der Broschüren zum Atheismusstreit. – Zu früheren Versuchen, Vaihingers Buchbesitz für die Universität Halle zu sichern, vgl. Paul Menzer an Gottfried Meyer vom 22.7.1917 (4 S., hs.; UA Halle, Rep. 6, Nr. 1864; das Zeichen / signalisiert Absatz): Hochgeehrter Herr Geheimrat! / Verzeihen Sie, wenn ich in einer Zeit, da Ihre Gedanken anders und leider so traurig bestimmt sind, Ihre Aufmerksamkeit für eine Angelegenheit der Kantgesellschaft in Anspruch zu nehmen mir erlaube. Es handelt sich um die Sicherung der Vaihinger’schen Bibliothek für die Kantgesellschaft und damit für unsere Universität. Ich habe die Bibliothek in früheren Jahren benutzt und | bei dieser Gelegenheit ihren Wert feststellen können. Sie enthält die meisten, jetzt sehr seltenen, Originaldrucke der Kantischen Schriften und vor allem die Kantlitteratur seit 1781 in einer Vollständigkeit wie kaum eine andere Bibliothek. Es wäre ein Verlust für die Wissenschaft, wenn sie in alle Winde zerstreut oder etwa nach Amerika verkauft würde. / In diesen Tagen war nun Dr. Liebert hier und er hat gewisse Vorbesprechungen mit V. gehabt, die ein günstiges Resultat erwarten lassen. Auf eine einfache Schenkung kann nicht gerechnet werden, wohl aber auf eine testa|mentarische Bestimmung, die der Kantgesellschaft den Ankauf für einen bestimmte Summe zusichert. Wie hoch sie sein wird, steht augenblicklich noch nicht fest. Auf 10 000 M. muss aber gerechnet werden. Das Geld soll durch die Mitglieder der Kantgesellschaft aufgebracht werden, an die ein Aufruf ergehen soll, sobald die Verhandlungen mit V. zu einem vorläufigen Abschluss geführt haben. Dieser Aufruf soll allgemein den Plan einer „Bibliothek der Kantgesellschaft“ entwickeln und auf die Notwenigkeit verweisen schon jetzt Geld bereit zu stellen für ausserordentliche Gelegenheiten. Wir denken uns diese Bibliothek als | für sich bestehende Einrichtung unter Verwaltung eines wissenschaftlichen Bibliothekars mit Ausleihbedingungen, die für die Mitglieder der Kantgesellschaft gewisse Vorrechte sichern. Nicht unwichtig wird ja auch die Raumfrage sein, da auf unsere Universitätsbibliothek in absehbarer Zeit wohl kaum zu rechnen ist. / Ich bemerke noch, dass ich bei diesem Plane nicht etwa an eine Unterstützung für meine Seminarbibliothek denke. Diese hat nach meiner Auffassung nur ganz bescheidene Ziele. / Es ist anzunehmen, dass Geh. V. mit Ihnen in nächster Zeit über die Angelegenheit sprechen wird. Ich wollte Sie vorher von diesem Plane benachrichtigen und stehe natürlich zu weiterer Auskunft gern zu Ihrer Verfügung. / In grösster Ergebenheit der Ihrige / P. M.▲