Bibliographic Metadata
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- TitleAlbert Einstein an Vaihinger, Berlin, 3.6.1920, abgedruckt und kommentiert in: https://einsteinpapers.press.princeton.edu/vol10-doc/358 (bis 359)
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Albert Einstein an Vaihinger, Berlin, 3.6.1920, abgedruckt und kommentiert in: https://einsteinpapers.press.princeton.edu/vol10-doc/358 (bis 359)
Regest: Antwort auf Vaihinger an Einstein vom 23.5.1920. Entschuldigt nachträglich sein Fernbleiben in Halle[1] („Als-Ob“-Konferenz[2]) mit seiner Ernennung zum Mitglied der Amsterdamer Akademie der Wissenschaften in der Sitzung vom selben Tag (29.5.1920). Lehnt den Gedanken ab, ein ihm persönlich gewidmetes Heft der Annalen der Philosophie etc. zu veranstalten. Regt an, es besser der Relativitätstheorie zu widmen[3]. Hat vom Leidener Vortrag kein Manuskript; empfiehlt Ernst Cassirer als kompetenten philosophischen Referenten[4] über die Relativitätstheorie.
Kommentar der Herausgeber
1↑Fernbleiben in Halle ] vgl. die erfolgreiche Intervention von Max Wertheimer an Einstein vom 15.5.1920: Heut muss ich ein paar Worte zu der – seltsamen – Halle’schen Sache schreiben. Lieber, verehrter Herr Einstein – ja, wie sind denn nur die Leute –?! Und in was haben Sie sich in Ihrer unbegrenzten Gutmütigkeit von diesen Leuten hineinsetzen lassen?! Im April, in Prag, hörte ich von dem „bevorstehenden bedeutenden Congress über Einstein, wo Herrn Prof. Kraus (!) die Hauptrolle zugeteilt sei, der jetzt (endlich) in aller Öffentlichkeit vom philosophischen Richterstuhl die elementaren Absurditäten der Einst. Theorien aufdecken werde, sodass nun klar werde, wie –“. Hier finde ich eine Einladung der Kant-Gesellsch. vor: Herr Einstein wird auch in Halle sein! […] Die möchten sich wohl etwa so stellen: salbungsvoll intressante Ideen, – die aber mit den wahrhaft philosophischen Problemen in nichts kollidieren können (Tendenz etwas furchtsame Abtrennung: „alles in Kant besteht zurecht“ und – wo’s geht – Ausnutzung für sich –) Nun u. a. Vossische Zeitung: „Im Anschluss an die General-Versammlung der Kant-Gesellschaft … lädt eine Anzahl hervorragender deutscher Gelehrter, u. a. Einstein, Abderhalden, Kraus!-Prag, Vaihinger zu einer wissenschaftl. Aussprache über den positivistischen Idealismus in der Richtung der Philosophie des Als-ob (!) nach Halle ein – Prof Einstein wird an den Verhandlungen teilnehmen“. – Und bekomme eine gedruckte Einladung: „Eine Anzahl Mitglieder der K. G., die sich für den positivist[i]schen Idealismus in der Richtung der Philosophie des Alsob intressieren … . Die Unterzeichneten, teils Mitglieder, teils Nichtmitgl. der Kant-Ges. laden hiemit zu dieser Besprechung ein … Auch haben die Mitglieder der Kantg. das Recht an der Als-ob-Konferenz teilzunehmen –“ Unterzeichnet: Abderhalden, Becker, Bergmann, Einstein!, Feldkeller, Fließ, Gocht, Knopf, Koffka, Kowalewski, Kraus-Prag, Müller-Freienfels, R. Schmidt, J. Schultze, Vaihinger, Wichmann, H. Wolff. Herrjemine, in was für Reklametendenzen sind Sie da hineingesetzt?! Würden Physiker von entsprechendem Kaliber so etwas wagen?! Zum größten Teil schwachseeliges, träg wiederkauendes, keifendes Mittelmaß und teils wie Kraus: frech; und in solcher Reklamesüchtigkeit […] aber, Sie, Guter, wissen Sie nicht, wie diese Leute sind und wohin sie wollen–?! […] Mit Menschen, die ernsthaftes wollen, – zum Beispiel Cassirer – wärs schon möglich, aber auch mit solchen besser nicht mitten in solcher Corona –! Und wie kann sich die „Konferenz“ gestalten? Die Leute werden ihr Zeugs in ihrem characteristischen psychischen Habitus vortragen und Disputierkunststücke machen – und Sie werden ein paar gütige Worte sagen, und dann ein bisschen lächeln und schweigen – und die Leute – brrrr. […] So stehts mit diesen Philosophen – Nu kommt mal einer wie Sie – und was fangen die Leute damit an –! Herrjemine! (https://einsteinpapers.press.princeton.edu/vol10-doc/330 bis 331). Paul Ehrenfest sekundierte Wertheimer gegen diesen Hexensabbat der Als-obologie durch eine geschickt herbeigeführte Terminkollision: am Halle-Tag wird Einstein sich (vor allen Als-Oboisten sicher bewahrt) im Schoße der Amsterdamer Akademie befinden (zitiert nach Klaus Hentschel: Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie durch Zeitgenossen Albert Einsteins. Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser 1990, S. 170; vgl. Einstein an Vaihinger vom 3.6.1920). Einstein antwortete Wertheimer vom 21.5.1920 (https://einsteinpapers.press.princeton.edu/vol10-doc/338). Joseph Petzoldt, der in Halle Einstein verteidigt hatte, schrieb an Einstein am 6.7.1920: Schon seit langer Zeit hege ich den sehnlichen Wunsch, doch öfter einmal mit Ihnen über die erkenntnistheoretische Seite der Relativitätstheorie, die mir außerordentlich am Herzen liegt, diskutieren zu können. Ich habe nur nicht gewagt, das auszusprechen, weil ich fürchtete, Sie, an dessen Zeit doch wahrscheinlich von sehr vielen Seiten her hohe Anforderungen gestellt werden, damit zu belästigen. Nun werden aber die erkenntnistheoretischen Fragen immer dringender und bedürfen der Klärung immer mehr. Das konnte ich bei der Tagung der Kant-Gesellschaft in Halle sehen, zu der ich auf Vaihingers und Kraus’ Einladung ging. Die dortigen Philosophen waren sich noch gar nicht einmal über die experimentellen Grundlagen der Theorie klar (https://einsteinpapers.press.princeton.edu/vol10-doc/402). Von Einsteins Seite war die Zustimmung zu der Hallenser Konferenz offenbar von vornherein nicht besonders stark. Bereits am 4.5.1920 hatte Einstein an Ehrenfest geschrieben: Dumm ist nur, dass ich am 29. Mai in Halle zu sein versprochen habe, wo ein relativistisch-philosophisches Konzil stattfindet, für das die Gebeine des Heiligen verlangt werden (https://einsteinpapers.press.princeton.edu/vol10-doc/316). Die Propaganda für die „Als Ob“-Konferenz lief unter der suggestiven Voraussetzung, dass Einstein persönlich anwesend sein würde. Moritz Schlick berichtete von der Mitteilung Vaihingers an Schlick vom 18.5.1920 am 5.6.1920 an Einstein: Vaihinger teilte mir mit, daß Sie den Wunsch ausgesprochen hatten, ich möchte doch, wenn möglich daran teilnehmen, um in der Diskussion über die Relativitätstheorie das Wort zu ergreifen (zitiert nach Hentschel: Interpretationen und Fehlinterpretationen (1990), S. 172). Darauf erwiderte Einstein am 7.6.1920: Mit der Einladung zum Philosophen-Kongress steht es doch wesentlich anders als der geriebene Vaihinger glauben machen wollte. Er wollte wissen, wen er von Kennern der Theorie noch einladen könnte; da nannte ich natürlich Ihren Namen. Aber davon, dass ich Ihre oder sonst jemands Anwesenheit in Halle gewünscht hätte, kann gar keine Rede sein. Mir war die ganze Sache wenig reizvoll, und ich war froh, eine triftige Ausrede zu haben, um der ganzen Rederei dort zu entgehen (https://einsteinpapers.press.princeton.edu/vol10-doc/369 (alle Links abgerufen am 25.9.2024); beide Schreiben sind auch abgedruckt in: Albert Einstein – Moritz Schlick Briefwechsel. Eingeleitet, kommentiert u. hg. v. Fynn Ole Engler, Mathias Iven u. Jürgen Renn. Hamburg: Meiner 2022, S. 34–39). – Zum Kontext vgl. ferner Klaus Hentschel: Zur Rezeption von Vaihingers Philosophie des Als Ob in der Physik. In: Matthias Neuber (Hg.): Fiktion und Fiktionalismus. Beiträge zu Hans Vaihingers „Philosophie des Als Ob“. Würzburg: Königshausen & Neumann 2014 (Studien und Materialien zum Neukantianismus Bd. 33), S. 161–184.2↑„Als-Ob“-Konferenz ] vgl. den ungezeichneten Kommentar in: Grazer Tagblatt, Nr. 367 vom 2.6.1920, S. 4: Als ob. In Halle findet derzeit ein Als-Ob-Kongreß statt. Unkundige Leser dürften fragen, was für ein Bewandtnis es mit diesem „Als ob“ habe. Der Ausdruck entstammt dem vor einigen Jahren erschienenen großen Werke des deutschen Philosophen Hans Vaihinger, das den Titel „Die Philosophie des Als Ob“ führt. Das Wesen dieser Lehre besteht darin, daß als Grundlage des forschenden Denkens nicht die unerkennbare „objektive Wahrheit“, sondern die „Fiktion“ gewählt wird. Man geht von einer gegebenen erkannten Voraussetzung aus, „als ob“ sie ein Grundsatz wäre und läßt sich auf dem Wege des Denkens von ihr leiten, wobei sich die Annahme, in Ermangelung eines Besseren, als fruchtbar für die Erkenntnis erweist. Diesen Gedanken hat Vaihinger in aller Tiefe und Weite durchdacht und daraus ein Lehrgebäude gezimmert, an dem eine ganze Schar von Anhängern dieser Lehre mitarbeitet. So ist ein neues philosophisches System entstanden, dessen inzwischen in der wissenschaftlichen Welt eingebürgerter [!] Name „Alsobismus“ bequemer als schön ist.3↑Relativitätstheorie zu widmen ] vgl. das im Anschluss an die Tagung in Halle konzipierte Heft 3 der Zeitschrift Annalen der Philosophie etc. 2 (1921), Heft 3: Raymund Schmidt: Vorbemerkung (datiert auf November 1920), S. 333–334; Oskar Kraus: Fiktion und Hypothese in der Einsteinschen Relativitätstheorie. Erkenntnistheoretische Betrachtungen, S. 335–396; Paul F. Linke: Relativitätstheorie und Relativismus. Betrachtungen über Relativitätstheorie, Logik und Phänomenologie, S. 397–438; Friedrich Lipsius: Die logischen Grundlagen der speziellen Relativitätstheorie, S. 439–446; Joseph Petzoldt: Mechanistische Naturauffassung und Relativitätstheorie, S. 447–462; Oskar Kraus: Schlußwort, S. 463–465.4↑philosophischen Referenten ] vgl. Ernst Cassirer: Zur Einsteinschen Relativitätstheorie. Erkenntnistheoretische Betrachtungen. Berlin: Bruno Cassirer 1921.▲
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