Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Paul Natorp, Halle, 18.4.1920, 2 S., Ts., keine eU, Universitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1112
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1112
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Vaihinger an Paul Natorp, Halle, 18.4.1920, 2 S., Ts., keine eU, Universitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1112
Halle den 18. April 1920.
Verehrter Herr College!
Habe Ihre beiden Karten[1] erhalten. Auch ich hatte schon den Gedanken gehabt, unsere N. A. einen roten Zettel beizukleben[a], und hatte ihn auch schon Liebert geschrieben, aber Letzterer hatte mir schon mitgeteilt, dass es aus technischen Gründen nicht mehr möglich[b] sei. Irgend ein Schaden entsteht dadurch nicht, wir werden die definitive Einladung[2] bald ergehen lassen.
Am Sonntag den 30. soll 9 Uhr vorm[ittags] die geschäftliche Sitzung sein, die etwa bis 11 Uhr dauern wird, Mittagessen ist um 2 Uhr. In der Zwischenzeit soll Ihr Vortrag[3] stattfinden, so wäre also zu einer Debatte Zeit genug, und gerne werden wir von Ihrer Erlaubnis Gebrauch machen.
Sonntag Nachmittag soll nur noch Ein Vortrag stattfinden, wahrscheinlich von Gym[nasial] Direktor Goldbeck[c] in Berlin[d] über die neueren Bestrebungen in der Philos[ophischen] Propäd[eutik], ein Thema das ja auch Sie sehr[e] interessieren wird, sodass Sie vielleicht auch an der Debatte teilnehmen, falls eine solche von G[oldbeck] gewünscht wird. Sie treffen übrigens G[oldbeck] auch auf der Reichsschulkonf[erenz][4], dort treffen Sie auch Frischeisen-Köhler.
Auf derselben kommt ja auch die Frage der Reform der Rechtschreibung aufs Tapet. Der Börsenverein der D[eutschen] Buchhändler hat sich dagegen erklärt und verschiedene gelehrte Gesellschaften um Äusserung[f] ersucht, so auch die K[ant] G[esellschaft]. Der Verwaltungsausschuss der K[ant] G[esellschaft] hat | beschlossen[g] korporativ sich dazu zu äussern[5] und hat sich den drei Leitsätzen des Leipziger Börsenvereins angeschlossen: 1. Die Jetztzeit sei nicht geeignet dazu diese Frage zu lösen, 2. geht nicht blos die Schule sondern das ganze Volk an, 3. Die [Reichs] Sch[ul] Konferenz sei gar nicht zuständig in dieser Sache.
Natürlich ist diese Erklärung des Ver[waltungs] Aussch[usses] der K[ant] G[esellschaft] nicht für die einzelnen Mitglieder bindend, es würde uns aber freuen, wenn wir hierin auch Ihre Meinung getroffen hätten.
Übrigens kommen am Sonnabend den 29. Mai auch Interessenten der von mir vertretenen Richtung hier in einer Anschlussversammlung[6] zusammen, die als eine Art Vorversammlung privater Natur zu betrachten ist, zu der aber alle Mitglieder der K[ant] G[esellschaft] Zutritt haben. Dabei auch ein pädagogischer Vortrag von Kowalewski, Königsberg, Bedeutung des Als Ob in der Pädagogik. Vor allem aber ein Vortrag von Prof. Oskar Kraus in Prag über Fiktion und Hypothese in der Einsteinschen Relativitätslehre, mit grosser Debatte, an der sich Einstein persönlich beteiligen[7] wird. Diese ganze Mitteilung[h] betreffend diese Vorversammlung ist einstweilen streng vertraulich, ich gebe sie Ihnen nur, damit sie sich eventuell[i] darauf vorbereiten können, falls Sie daran teilnehmen wollen.
Soeben kommt auch die Nachricht, dass in der Versammlung der „Deutschen Philos[ophischen] Gesellschaft“ Prof. Max Wundt den Vortrag[8] halten wird über „die Deutsche Philosophie und ihr Schicksal“. So war also meine Vermutung, in Bezug[j] auf Max Wundt richtig, und ich verstehe auch nunmehr Ihr Stillschweigen auf meine ausführliche Anfrage[9] betreffend M[ax] W[undt].
In Eile mit bestem Gruss Ihr V.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑definitive Einladung ] zur Versammlung der Kantgesellschaft Ende Mai 1920, vgl. Kommentar zu Natorp an Vaihinger vom 17.11.1919.4↑Reichsschulkonf. ] vgl.: Die Reichsschulkonferenz 1920. Ihre Vorgeschichte und Vorbereitung und ihre Verhandlungen. Amtlicher Bericht erstattet vom Reichsministerium des Innern. Leipzig: Quelle & Meyer 1921; mit Beiträgen bzw. Teilnahme von Natorp, Max Frischeisen-Köhler und Ernst Goldbeck.5↑dazu zu äussern ] nicht ermittelt. Nach 1901 ist es erst 1996 wieder zu einer umfassenden Reform der Deutschen Rechtschreibung gekommen.6↑Anschlussversammlung ] der sog. Als-Ob-Konferenz, vgl. Kommentar zu Natorp an Vaihinger vom 17.11.1919.7↑Einstein persönlich beteiligen ] dies traf nicht zu, vgl. Albert Einstein an Vaihinger vom 3.6.1920.8↑den Vortrag ] vgl. Max Wundt: Die deutsche Philosophie und ihr Schicksal. Erfurt: Keysersche Buchhandlung 1920 (Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus. Veröffentlichungen der Deutschen Philosophischen Gesellschaft. Hg. v. Arthur Hoffmann. Folge der Beihefte, 3). – Die Deutsche Philosophische Gesellschaft war 1917/1918 unter maßgeblicher Beiteiligung von Bruno Bauch gegründet worden.▲