Bibliographic Metadata
- TitleCäsar Flaischlen an Vaihinger, Weimar, 1.3.1920, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 8 l, Nr. 4
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 8 l, Nr. 4
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Cäsar Flaischlen an Vaihinger, Weimar, 1.3.1920, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 8 l, Nr. 4
1. März 1920.
W 35. Kurf[ürstenstraße] 51 III
Hochverehrter Herr Geheimrat!
Von wochenlangen Vortragsfahrten zurück finde ich Ihren Brief[1] und Ihre Schrift über Nietzsche als Philosoph[2] und sage Ihnen allerherzlichsten Dank für Ihre große Liebenswürdigkeit. Zu ruhigem Lesen komme ich fürs Erste freilich nicht, angesichts der Berge von Postsachen, die sich während meines Wegseins aufgestapelt haben. Ich will sie mir aber, wie auch Ihr A[ls] O[b]-Werk, mit nach Süddeutschland nehmen, sobald ich von hier wegkomme. |
Nachdem ich nun jahrelang mein dichterisches Schaffen ganz zurückgedrängt habe – zunächst zu Gunsten einer großen Germanistisch-literaturgeschichtlichen Veröffentlichung, die ich vorhatte, die seit August 1914 aber im Schrank liegt und vorderhand nicht durchführbar – und dann, um 2 Jahre lang beim Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht als Freiwilliger Kriegshilfsdienstmann mitzuhelfen – freue ich mich jetzt wie ein Bräutigam auf die Hochzeit, endlich wieder zu mir selbst und zur Sammlung und dichterischem Schaffen zu kommen.
Ich war jetzt in 30 Städten und habe zu meiner großen Freude überall einen | ziemlichen „Ruck zur Vernunft“ feststellen können. Aber der Deutsche ist eben viel zu viel bloßer Theoretiker, wenn ich so sagen soll. Er glaubt, wenn er ein Buch geschrieben hat oder einen Zeitungsartikel, dann sei die Sache getan und er könne sich nun wieder was anderes ausdenken – und die Hauptarbeit, das Gewollte bei sich und anderen zu verwirklichen und zur Tat umzusetzen, beginnt doch eigentlich erst. Ich habe die Empfindung, als ob Sie sich selbst auch schon hierüber geärgert hätten[a]. Es heißt immer, wir Schwaben seien Spintisierer und Träumer, aber ich glaube nachgerade, daß wir – wohl große Zögerer und Überleger – dann aber gesamt tatkräftiger als andere[b]. Erzberger[3] kam auch | nur so hoch weil er sich nicht mit bloßem Reden begnügte. Wir können allerdings verflucht wenig stolz auf ihn sein – pfui Teufel!
Zum Erscheinen der 4. Auflage der Philosophie des Als ob[4] herzlichsten Glückwunsch. Ihr Werk ist wenigstens ein fester Turm[c] in all dem Geschiebe unserer widersinnig gewordenen Welt, und wird es auch bleiben für alle Zeit.
Mit meinen aufrichtigsten Wünschen für Ihr Wohlergehen.
Ihr
Cäsar Flaischlen.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
3↑Erzberger ] die Rede ist von Matthias Erzberger (1875–1921), Zentrumspolitiker, Leiter der Waffenstillstandskommission 1918, 1919–1920 Reichminister der Finanzen. Nach Rücktritt von Attentätern ermordet (NDB).▲