Titelaufnahme
- TitelPaul Natorp an Vaihinger, Marburg, 4.1.1920, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 1 b, Nr. 12
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- Entstehung
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- StandortStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 1 b, Nr. 12
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Paul Natorp an Vaihinger, Marburg, 4.1.1920, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 1 b, Nr. 12
Marburg 4.1.20.
Verehrtester Herr Kollege!
Ich danke Ihnen für Ihre so freundlichen Zeilen[1] vom letzten Tage des verflossenen Jahres u. wünsche Ihnen voraus zum neuen Jahr alles Gute, so persönlich wie für Ihr Werk, die Kantgesellschaft u. all das Große u. Ernste das uns allen, man darf schon sagen den Philosophen besonders, in dieser schweren Zeit auf der Seele lastet. Möchte man in einem Jahr doch etwas mehr Licht vor sich sehen.
Fast kommt es mir zu selbstsüchtig vor, in solcher Zeitlage mich um die fast vergessenen Sprößlinge meiner Muse[2] zu bemühen. Aber eigentlich haben ja Sie u. jetzt Herr Dr. Grote die ganze Mühe u. Verantwortung dabei auf sich genommen, so daß ich vor mir selbst die gute Ausrede habe, daß ich ja eigentlich es nur geschehen lasse. | Dr. Grote hat sich in die schon erhaltenen Noten sofort hinein versenkt und mir bereits darüber sehr schön geschrieben. Ungefähr gleichzeitig schrieb mir der feine Mensch und Musiker, Prof. J. Pembaur von Leipzig, daß er mein Trio angesehen hat u. es „mit Begeisterung“ dort seinen Schülern (gewiß nicht den schlechtesten) einstudieren will, aber erst in einigen Wochen, da er jetzt auf mindestens 3 Wochen auf Konzertreisen geht. Das paßt insofern ganz gut, als inzwischen die Noten abgeschrieben u. vielleicht schon hektographiert sein können. Ich sehe sie heute noch einmal durch u. schicke sie morgen an Grote. Über die verfügbaren Kräfte hat er mir auch geschrieben, es fehlt an einem Tenor, der für den ganzen Aufbau, so wie ich ihn mir gedacht hatte, schwer zu entbehren ist. Wird keiner gefunden, der den allerdings grade ihm zugedachten Aufgaben | voll gewachsen ist, so muß das Programm so abgeändert werden, daß dafür der Bariton, Dr. Moser[3], der ja vorzüglich sein soll, eintreten kann. Darüber wird Dr. Gr[ote] mir noch schreiben. Für die vorläufige Ankündigung brauchen ja die Einzelheiten nicht schon festgelegt zu werden. (Betr[effend] Pembaurs haben Sie übrigens mißverstanden[4]: nicht er selbst will in Leipzig[a] den Klavierpart m[einer] Trios spielen sondern seinen Schülern für einen Vortragsabend derselben einstudieren. Es kommt das wohl auch[b] nicht in Frage daß er selbst in Halle mit wirken würde. Es müßte denn sein daß seine „Begeisterung“ für das Werk so weit ginge daß er es gerne täte. Ich habe nicht gewagt ihn darum zu bitten, u. möchte auch nicht daß es von andrer Seite eher geschähe als er sich eingehend (zum besagten Zweck) damit beschäftigt hat. Wenn dies geschieht erfahre ich es ja durch meine Tochter[5].)
Überaus freundlich war es, daß Sie die | letztere zu Sich einluden. Aber jetzt auf der Durchreise ist zu einem Aufenthalt in H[alle] für sie keine Zeit, übrigens würde sie bei einem jetzigen o[der] späteren Besuch dort ein Absteigequartier bei meiner dort verheirateten Schwester haben, der Frau von Joh. Bartels[6], dem Leiter des Hauses des Ver[eines] f[ür] christl[iche] j[unge] Männer in der Geiststraße, oder auch bei Freys[7]. Sie ist daher in Halle auch schon so weit bekannt, daß sie sich, wenn sie einmal dort ist, leicht auch zu Ihnen hinaus finden wird. Sie wird jedenfalls nicht verfehlen Sie einmal gelegentlich aufzusuchen. – Die Spuren Ihres Werks begegnen in der Literatur jetzt vielfältig. Nicht beachtet haben Sie vielleicht Paul Ernsts Bemerkungen[8] in der ganz ausgezeichneten (auch philos[ophisch] beachtlichen) aber wenig bekannten Zeitschrift[c] Die Rheinlande, wo er von seinen frühen philos[ophischen] Studien, wie dem Einfluß von Laas auf ihn, u. dann von der Philos[ophie] des Alsob spricht, aber in seiner oft wunderlichen Art unfreundlich von F. A. Lange. Das alles[d] erinnert mich lebhaft an unsre Anfänge[9] in Straßb[urg]. – Mit nochmaligem herzlichen Dank u. Gruß Ihr sehr ergebener
P. Natorp
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Sprößlinge meiner Muse ] vgl. Natorp an Vaihinger vom 27.12.1919 sowie den Kommentar zu Natorp an Vaihinger vom 17.11.1919.3↑Dr. Moser ] Hans-Joachim Moser (1889–1967), Multiinstrumentalist und Musikwissenschaftler, Sänger, 1910 in Rostock promoviert, u. a. freiberuflicher Musikschriftsteller und Gesangslehrer, Tourneen als Bariton. 1919 in Halle habilitiert, 1923 nichtbeamteter ao. Prof., 1933 zwangsweise pensioniert (https://www.catalogus-professorum-halensis.de/moserhansjoachim.html (25.9.2024)). Im endgültigen Programm war ein Sopran zu hören (vgl. Kommentar zu Natorp an Vaihinger vom 17.11.1919).6↑Joh. Bartels ] vgl. Bernhard Koerner (Hg.): Deutsches Geschlechterbuch (Genealogisches Handbuch Bürgerlicher Familien) Bd. 37. Görlitz: Starke 1922, S. 160: Johannes Bartels, *Gütersloh 5.5.1864, Generalsekretär des Christlichen Vereins Junger Männer […], 1892 dessen Schriftführer zu London, 1898 zu Barmen, 1902 zu Halle a. S; X [verheiratet] 3.4.1894 mit Martha Natorp, *Düsseldorf 28.5.1863 […].8↑Paul Ernsts Bemerkungen ] vgl. Paul Ernst: Idealismus und Positivismus. In: Die Rheinlande 29 (1919), S. 239–246 (digital: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rheinlande1919/0255 (25.9.2024); vgl. Vaihinger an Paul Ernst vom 16.1.1920.▲