Bibliographic Metadata
- TitleGötz Martius an Vaihinger, Kiel, 22.5.1918, 4 S., hs., Briefkopf Professor Dr Götz Martius | Geheimer Regierungsrat | Kiel | Hohenbergstrasse 4, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 8 f, Nr. 2
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 8 f, Nr. 2
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Götz Martius an Vaihinger, Kiel, 22.5.1918, 4 S., hs., Briefkopf Professor Dr Götz Martius | Geheimer Regierungsrat | Kiel | Hohenbergstrasse 4, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 8 f, Nr. 2
22. Mai 18
Hochverehrter Herr Kollege!
Ihrem Wunsche[1] habe ich gern Folge geleistet u. habe die Schopenhauer-Ges[ellschaft] heute mit den anbei in Abschrift[a] folgenden Worten begrüßt[2]. Einige Abweichungen sind vorgekommen, ich hatte aber meine Notizen für die wichtigsten Stellen neben mir und habe mich danach gerichtet.
Der Vorsitzende dankte auch in der ihm stets eigenen verbindlichen Weise. Dann kam eine Diskussion über die Frage „Anschauung und Begriff“. Dabei trat sogleich eine Dame auf und sagte, sie müsse auf die gewiß freundlich gemeinten Worte der | Begrüßung durch den Vertreter der Kantgesellschaft zurückkommen. Als die Kantges[ellschaft] sie das erste Mal begrüßt hätte, habe man sich in der Sch[openhauer] Ges[ellschaft] darüber sehr gefreut, das zweite Mal sei dies schon weniger der Fall gewesen. Und so müsse es diesmal ausgesprochen werden, es sei doch nicht genug, wenn freundliche Worte gesprochen würden, diesen aber nicht die Tat folge. So z. B. bei der jetzt vorliegenden Frage „Anschauung u. Begriff“, wobei sie gleich von Raum u. Zeit sprach. Die Ausführungen ihres Vorsitzenden (Deussen) darüber seien doch klar und deutlich; sie hätte sich aber vergebens bemüht, in den Kantstudien darauf eine Antwort zu finden; da sei über diese Dinge überhaupt | nichts zu finden. Und das müsse man doch verlangen. Also die Kantges[ellschaft] müsse Rede und Antwort stehen!
Darauf habe ich dann doch geantwortet, möglichst höflich, aber doch klar und bestimmt, daß in den Kantstudien diese wie andere Fragen stets behandelt sind u. behandelt werden, und daß nicht verlangt werden kann, daß die Behandlung auf die Form zugeschnitten wird, welche die Frage gerade in einem Vortrag auf der Tagung der Schop[enhauer] Ges[ellschaft] genommen hat. Die Dame, übrigens eine Frau Groener[3] u. Verf[asserin] einer fragwürdigen Preisschrift über Kuno Fischers Behandlung des Lebens Schopenhauers, gab sich noch[b] nicht zufrieden, wurde aber | schließlich von der Versammlung durch Schlußrufe zum Schweigen gebracht.
So die Scene, die ich Ihnen nicht vorenthalten wollte u. die weniger schmerzlich, als im Grunde belustigend war. Es ist aber ein Elend, in welch dogmatisch-priesterlicher Weise die Schopenhauerges[ellschaft] von dem verehrten Kollegen Deussen geleitet wird.
In vorzüglicher Hochachtung Ihr s[ehr] ergebner
G Martius
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑begrüßt ] d. h. im Namen der Kantgesellschaft, vgl. Deussen an Vaihinger vom 25.3.1918. Martius, seit 1898 o. Prof. in Kiel, gehörte zu den Gründungsmitgliedern und Zustiftern der Kantgesellschaft, vgl. Kant-Studien 9 (1904), S. 348.3↑Frau Groener ] d. i. Maria Groener aus Brixen, zwischen August und Dezember 1917 in die Kantgesellschaft eingetreten (vgl. Kant-Studien 22 (1918), S. 506), Verfasserin von: Wie ist die Darstellung von Schopenhauers Leben, Charakter und Lehre durch Kuno Fischer im neunten Bande seiner Geschichte der neueren Philosophie zu beurteilen? In: Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft 7 (1918), S. 13–85.▲