Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Julius Bab, Halle, 27.11.1916, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf als Stempel Univ.-Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Akademie der Künste, Archiv Darstellende Kunst, Julius-Bab-Archiv 703/Leo Baeck Institute, Julius Bab Collection: https://ia600903.us.archive.org/29/items/juliusbabcollect03babj/juliusbabcollect03babj.pdf (S. 377–378)
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- Place and Date of Creation
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- Physical LocationAkademie der Künste, Archiv Darstellende Kunst, Julius-Bab-Archiv 703/Leo Baeck Institute, Julius Bab Collection: https://ia600903.us.archive.org/29/items/juliusbabcollect03babj/juliusbabcollect03babj.pdf (S. 377–378)
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Vaihinger an Julius Bab, Halle, 27.11.1916, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf als Stempel Univ.-Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Akademie der Künste, Archiv Darstellende Kunst, Julius-Bab-Archiv 703/Leo Baeck Institute, Julius Bab Collection: https://ia600903.us.archive.org/29/items/juliusbabcollect03babj/juliusbabcollect03babj.pdf (S. 377–378)
Halle a. S. den 27. Nov[ember] 1916.
Herrn Julius Bab, Dramaturg
Königsberg i. Pr.
Hochgeehrter Herr!
Stürmische und überaus schwierige Verhandlungen und Vorgänge[1] in der von mir gegründeten und geleiteten Kantgesellschaft haben meine Zeit und Kraft in diesem Monat so sehr in Anspruch genommen, dass ich erst heute die Musse finde, Ihnen für Brief und Buch[2], die Sie mir anfangs des Monats zusendeten, verbindlichst zu danken.
Durch ein Augenleiden schwer behindert, muss ich mir alles vorlesen lassen, aber ich habe trotzdem schon einen grossen Teil Ihres „Fortinbras“, den Sie mir gütigst nebst handschriftlicher Dedikation übersandten, mir zugeführt und freue mich über die klare, scharfe Diktion und die übersichtliche Disposition des Buches. Sie haben in der Figur des „Fortinbras“ im Gegensatz zu Hamlet ein bisher ganz übersehenes Element bei Shakespeare entdeckt und es gleichzeitig dazu benutzt, auf den Geist unserer Zeit dadurch scharfe und erhellende Lichter zu werfen. Sehr feinsinnig haben Sie auch in der Gestalt des Fortinbras das „mutige Als Ob“ entdeckt, indem Sie mit Recht von ihm sagen, „er handle, ‚als ob‘ er das Leben verstünde“.
Sehr fruchtbar kann für mich auch der Wink sein, den Sie mir noch in Ihrem Briefe geben: der Hinweis auf das Buch von Shaw: „Die Illusion des Socialismus“. Ich werde diese Spur weiter verfolgen.
Ich habe mir noch ein Exemplar Ihres Aufsatzes über Nietzsche aus der „Hilfe“ vom 31. Dezember 1914 kommen lassen und habe dieses | dem Nietzsche-Archiv, zu dessen Vorstandsmitgliedern[3] ich zähle, dediciert, da dieser Aufsatz in der Bibliothek des Archivs[4] noch fehlte. Frau Dr. Förster-Nietzsche, welche über Ihren Aufsatz schon früher von anderer Seite viel Gutes gehört hatte, hat ihn mit grösstem Interesse gelesen. Sie ist, wohl unter dem Einfluss des Krieges, geneigt, die nationale Seite bei Nietzsche etwas stärker zu betonen.
Was den Krieg betrifft, so ist Ihr „Fortinbras“ ja ein überaus merkwürdiges Dokument einer klaren Vorahnung des Weltkrieges, da ihre sechs Reden ja wohl längst vor dem Ausbruch des Krieges ausgearbeitet waren.
Grüssen Sie den vor Ihren Fenstern in eherner Unsterblichkeit stehenden alten Kant, der die Wichtigkeit der Als Ob-Betrachtung schon in so umfassender Weise erkannte.
Die Philosophie des Als Ob hat wohl auch sonst in Königsberg jetzt manchen Freund. Eine sehr ausführliche und günstige Besprechung des Buches schrieb Professor an der Universität Dr. Kowalewski[5][a], welcher freilich im Prinzip auf anderem Boden steht.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung und mit wiederholtem herzlichen Dank Ihr ganz ergebener
Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑überaus schwierige Verhandlungen und Vorgänge ] Anspielung auf den Skandal um Bruno Bauch, vgl. Vaihingers Korrespondenzen von Ende 1916/Anfang 1917.3↑Nietzsche-Archiv, zu dessen Vorstandsmitgliedern ] vgl. David Marc Hoffmann: Zur Geschichte des Nietzsche-Archivs. Elisabeth Förster-Nietzsche, Fritz Koegel, Rudolf Steiner, Gustav Naumann, Josef Hofmiller. Chronik, Studien und Dokumente. Berlin/New York: de Gruyter 1991, S. 80–81, Chronik 1908: 6. Mai EFN [Elisabeth Förster-Nietzsche] gründet mit einer Stiftungsurkunde die Stiftung „Nietzsche-Archiv“. „Die Stiftung dient ausschließlich wissenschaftlichen und gemeinnützigen Zwecken; sie hat insbesondere die Aufgabe, das Nietzsche-Archiv als Zentrum für die gesamte Nietzsche-Forschung und als Sammelpunkt für alle geistig-schöpferischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Bestrebungen im Sinne meines Bruders Friedrich Nietzsche dauernd zu erhalten und jungen Männern aus den Berufskreisen der Juristen, Offiziere, Schriftsteller, Künstler und Gelehrten Stipendien zu gewähren.“ Damit gehen das Bestimmungsrecht über die Autor- und Verlagsrechte an den Werken Friedrich Nietzsches, die Oberleitung des Archivs, die Einstellung des Archivars und der Herausgeber usw. de jure aus den Händen der EFN über an den Vorstand der Stiftung. De facto behält aber EFN in allen Archivangelegenheiten bis zu ihrem Tod die Oberhand. Mitglieder des Vorstandes sind […]: Adalbert Oehler (1909–1923 u. seit 1930), Hermann Gocht (1909–1938, verstorben), Max Heinze (1909, verstorben), Harry Graf Kessler (seit 1909), Raoul Richter (1909–1912, verstorben), Hans Vaihinger (seit 1909), Max Oehler (1909), Richard M. Meyer (1910–1913, ausgetreten), Eberhard von Bodenhausen (1914–1918, verstorben), Karl Koetschau (1914–1937, ausgetreten), Max Dreger (1919–1929, verstorben), Arnold Paulssen (seit 1923), Oswald Spengler (1923–1935, ausgetreten), Fritz Rutishauser (1924–1935, ausgetreten), Hans Pilder (seit 1928), Richard Oehler (seit 1930), Richard Leutheusser (seit 1931), Walter Jesinghaus (seit 1931), Friedrich Stier (seit 1931), Carl August Emge (1932–1935, ausgetreten), Walter F. Otto (seit 1933); „auf Wunsch des Herrn Reichsstatthalters Sauckel“ wird 1937 der Vorstand um folgende drei Herren erweitert: Ministerpräsident Marschler, Staatsrat Eberhardt, Oberregierungsrat Buchmann; Günther Lutz (seit 1942), Gerhard Scholz (bis 1949), E. Braemer (bis 1949), Ministerialdirektor Senff (bis 1949), Prof. Altheim (bis 1949), Prof. Buchwald (bis 1949), Ernst Bloch (bis 1949), Prof. Steiniger (bis 1949). Vorsitzende: 1908–1923 Adalbert Oehler; 1923–1931 Arnold Paulssen; 1931–1945 Richard Leutheusser.4↑Aufsatz in der Bibliothek des Archivs ] vgl. Julius Bab: Friedrich Nietzsche und die deutsche Gegenwart. In: Die Hilfe, Nr. 53 vom 31.12.1914. Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar, Bestand Weimar, Nietzsche-Archiv, Zeitungsausschnittsammlung, Signatur GSA 165/7337.5↑Kowalewski ] Arnold Kowalewski (1873–1945), 1897 in Greifswald promoviert, 1899 in Königsberg habilitiert, Lehrstuhlvertretungen Breslau 1906/1907 u. Königsberg 1907/1908, Titularprofessor Königsberg 1908, Lehrauftrag für Religionsphilosophie ebenda 1920, nichtbeamteter ao. Prof. Königsberg 1921, 1934 ebenda Lehrauftrag für ostpreußische Geistesgeschichte (auf Initiative Vaihingers erteilt; vgl. Protokollbuch der Philosophischen Fakultät der Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr. 1916–1944. Hg. v. Christian Tilitzki. Osnabrück: fibre 2014, S. 154, Anm. 707; WBIS). Vgl. Kowalewskis Rezension über Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob (1911). In: Theologischer Literaturbericht 37 (1914), S. 1–11 und S. 121–124.▲