Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Gottfried Meyer, Halle, 17.11.1916, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf (Stempel) Kantgesellschaft | Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., mit 2 Beilagen: 1) Abschrift eines Schreibens Vaihinger an Bruno Bauch vom 6.11.1916 (7 S., Ts.), 2) Abschrift eines Schreibens Bruno Bauch an Vaihinger vom 10.11.1916 (4 S., Ts.), Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, Rep. 6, Nr. 1863, Bl. 294–305 (Universitäts-Kuratorium zu Halle a. S. Spezial-Acten betreffend Kantgesellschaft und Kantstiftung. 1904–1916.)
- Creator
- Recipient
- ParticipantsArthur Hoffmann ; Arthur Liebert ; Artur Buchenau ; Bruno Bauch ; Jacob Sigismund Beck ; Bronislaus Wladislaus Switalski ; Ernst Cassirer ; Hermann Cohen ; Renée Descartes ; Albrecht Dürer ; Elisabeth Förster-Nietzsche ; Johann Gottlieb ; Fritz Medicus ; Johann Wolfgang von Goethe ; Gottfried Meyer ; Hans Hinrich Wendt ; Georg Wilhelm Friedrich Hegel ; Hermann Abert ; Peter Hoffmann ; Joseph von Bach ; Immanuel Kant ; Karl Vorländer ; Friedrich Gottlob ; Leonore Ripke-Kühn ; Martin Luther ; Max Frischeisen-Köhler ; Paul Natorp ; Friedrich Nietzsche ; Otto Willmann ; Richard Wahle ; Heinrich Rickert ; Rudolf Eucken ; Friedrich Schiller ; Carl Stumpf ; Wilhelm II., Deutscher Kaiser ; Wilhelm Windelband
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationUniversitätsarchiv Halle-Wittenberg, Rep. 6, Nr. 1863, Bl. 294–305 (Universitäts-Kuratorium zu Halle a. S. Spezial-Acten betreffend Kantgesellschaft und Kantstiftung. 1904–1916.)
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Vaihinger an Gottfried Meyer, Halle, 17.11.1916, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf (Stempel) Kantgesellschaft | Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., mit 2 Beilagen: 1) Abschrift eines Schreibens Vaihinger an Bruno Bauch vom 6.11.1916 (7 S., Ts.), 2) Abschrift eines Schreibens Bruno Bauch an Vaihinger vom 10.11.1916 (4 S., Ts.), Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, Rep. 6, Nr. 1863, Bl. 294–305 (Universitäts-Kuratorium zu Halle a. S. Spezial-Acten betreffend Kantgesellschaft und Kantstiftung. 1904–1916.)
Halle, den 17. Nov[ember] 1916.
An den Vorsitzenden der Kantgesellschaft, Herrn Geh. Oberreg. Rat Dr. G. Meyer, Kurator der Universität Halle
Ew. Hochwohlgeboren
beehre ich mich ganz ergebenst in der Anlage meinen Brief an Herrn Professor Bauch vom 6. November, sowie die Antwort des Herrn Professor Bauch an mich vom 10. November je in einer Abschrift zu übersenden.
Ich danke Ew. Hochwohlgeboren nachträglich nochmals aufs herzlichste für die guten Ratschläge, die Sie mir am 2. November in dieser schwierigen Angelegenheit[1] gegeben haben. Ihren Winken entsprechend habe ich meinen Brief an Herrn Professor Bauch am 6. November abgefasst. Die Antwort von Herrn Professor Bauch vom 10. November zeigt, dass ich in[a] meinem Brief an ihn den richtigen Ton gefunden habe.
Herr Professor Bauch tritt nun mit dem Ende des Jahres von der Redaktion der Kantstudien zurück. Das ist ausserordentlich zu bedauern, da er sehr schwer zu ersetzen ist und da er 13 Jahre lang die Redaktion der K[ant-]St[udien] vorzüglich geführt hat. Aber es ist verständlich, dass er unter den gegebenen Verhältnissen von der Redaktion der Kantstudien zurücktritt, um die Kantgesellschaft vor Schaden zu bewahren.
Dass er aus der Kantgesellschaft und damit aus dem Verwaltungsausschuss austritt[2], wäre ja an und für sich nicht notwendig gewesen, aber da auch die Herren Geh. Reg. Rat Prof. Dr. Cohen und Prof. Dr. Cassirer aus der Kantgesellschaft ausgetreten sind, so ist es sicher | vorläufig das Richtige, um die erregten Gemüter auf den beiden entgegengesetzten Seiten zu beruhigen.
Gleichzeitig kann ich Ihnen mitteilen, dass ich im Einverständnis mit der Verlagsbuchhandlung, welche den neuen Redakteur vertragsmässig einzusetzen hat, Herrn Professor Dr. Frischeisen-Köhler gebeten habe, die Redaktion zu übernehmen. Er ist nicht abgeneigt, hat sich aber Bedenkzeit ausgebeten. Übrigens hat er sich noch ausbedungen, dass die Redaktion in zwei Teile zerlegt werden soll: den weitaus wichtigeren Teil, die Redaktion der Aufsätze, würde er selbst übernehmen, der weniger wichtige Teil, die Redaktion der Rezensionen, würde dann einem anderen gegeben werden.
Die beiden inliegenden Kopien bitte ich den allgemeinen Akten der Kantgesellschaft beiheften zu lassen.
In aufrichtiger Verehrung Ihr ganz ergebenster
Vaihinger |
[Beilage 1]
Copie
Vaihinger an Bauch
Halle a. S. Reichardtstr. 15. 6.11.16.
Hochgeehrter Herr Kollege und lieber Freund!
Ihr Brief vom 31. Oktober traf gerade zu der Zeit bei mir ein, als ich selbst schon meinerseits einen Brief an Sie zu schreiben begonnen hatte. Ich werde diesen von mir begonnenen Brief nun in der Weise ausführen, wie ich ihn schon begonnen hatte und werde auf Ihren eigenen Brief erst am Schlusse dieses meines Schreibens zurückkommen.
Ich wollte Ihnen also schreiben, dass mir im letzten Heft der Kantstudien Verschiedenes aufgefallen ist, was meine lebhaften Bedenken erweckt.
Erstens. Ihre Besprechung[3] von Wahles Buch ist überscharf. Ich habe von verschiedenen ganz unabhängigen Männern das übereinstimmende Urteil darüber hören müssen, dass der von Ihnen angeschlagene Ton nicht in eine wissenschaftliche Zeitschrift hineinpasse. Ausserdem wird von denselben Männern hervorgehoben, dass die Rezension auch dem Inhalt nach durchaus nicht dem entspricht, was man von einer wissenschaftlichen Rezension erwarten darf: die Rezension gibt nicht die geringste Mitteilung darüber, was der Autor sagt. Anstatt dessen enthält sie beleidigende Worte, ohne dass der Leser eine Begründung der Verurteilung erhält. Gegen solche Vorwürfe kann ich leider nichts entgegnen und muss zugeben, dass diese Rezension ein Muster davon ist, wie eine wissenschaftliche Besprechung eben nicht sein soll.
Ich will nur beiläufig erwähnen, dass Professor Wahle in einem sehr ruhig gehaltenen Briefe[4] gegen diese Behandlung Protest bei mir eingelegt hat. Ebenso will ich auch nur beiläufig darauf aufmerksam machen, dass gerade in jetziger Zeit eine derartige Behandlung eines oesterreichischen Universitätsprofessors in Oesterreich besonderes und berechtigtes Missfallen erregen muss.
Es tut mir aufrichtig leid, dass mein Name auf einem Heft steht, dass gerade diese Rezension enthält. Jedenfalls könnte ich in Zukunft etwas Derartiges nicht mehr mit meiner Flagge decken. Und würde diese Sache, sowie Fall 3 keine Remedur erfahren, so müsste ich meinerseits meinen Austritt aus dem Redaktionsverband erklären. Auch Reuther & Reichard beschweren sich über den Ton dieser Rezension.
Zweitens. Dasselbe Heft enthält eine ausführliche und motivierte Besprechung des Lexikons der Pädagogik durch Herrn Dr. Arthur Hoffmann. Gegen diese Besprechung hat Herr Universitätsprofessors Switalski folgende Einwendungen gemacht in einer Karte an Liebert: „Wollen Sie es mir nicht verübeln, wenn ich mein Befremden über die nicht nur scharfe, sondern überaus subjektive Kritik des „Lexikons der Pädagogik“ auf S. 296 ff. (XXI, 2 u. 3) ausdrücke. Persönlich bin ich von ihr garnicht betroffen; um so mehr bedaure ich es, dass Ihre sonst so vornehme Zeitschrift Ihre Spalten dieser Besprechung geöffnet hat. Ich bin durchaus für freie und entschiedene Meinungsäusserung, aber das ganze Werk durch Heraushebung und keineswegs leidenschaftslose Zerpflückung eines Artikels herabzusetzen, geht zu weit!“ |
Daraufhin[b] suchte Herr Dr. Liebert Herrn Professor Switalski zu beschwichtigen mit dem Hinweis darauf, „dass es für den Redakteur einer wissenschaftlichen Zeitschrift sehr schwer sei, für jeden einzelnen Fall den richtigen Mitarbeiter und Berichterstatter zu bekommen.“ Herr Professor Switalski spricht in seiner Erwiderung darauf dann wieder von den „unsachlichen Ausfällen gegen das Lexikon der Pädagogik“ und schliesst mit den Worten: „Für mich ist hiermit die Angelegenheit erledigt. Sofern nicht neue Entgleisungen vorkommen, will ich, wie bisher, mit regem Interesse Mitglied der Kantgesellschaft bleiben.“
Ich habe mir nun die Rezension vorlesen lassen und kann leider nicht umhin, die Einwendungen des Herrn Professor Switalski für nicht unberechtigt zu erklären. Gewiss hat Herr Arthur Hoffmann an sich sorgfältig und gründlich gearbeitet, aber einmal hätte er doch nicht blos auf einen Artikel sich beschränken müssen und andererseits hätte er den Ton gegenüber Willmann mässigen müssen.
In diesem Falle nun konnten Sie, hochgeehrter Herr Kollege, eigentlich ganz leicht eingreifen. Herr Arthur Hoffmann lebt in Ihrem Wohnort, ist ein persönlicher Schüler von Ihnen und Ihnen treu ergeben. Sie hätten also wohl keine Schwierigkeiten gehabt, ihn davon zu überzeugen, dass eine Änderung seiner Rezension zweckmässig sei. Wenn auch ein Redakteur seinen Rezensenten die wissenschaftliche Selbstständigkeit garantieren muss, so muss er doch andererseits derartige Versehen nicht durchgehen lassen.
Es ist gerade in der jetzigen Zeit des allgemeinen Burgfriedens durchaus notwendig, den Frieden unter den Konfessionen[5] zu wahren, und so ist es auch jetzt patriotische Pflicht, alles zu vermeiden, was unsere katholischen Mitbürger reizen muss.
Ich bitte Sie, verehrter Freund, mir diese Ausstellungen nicht zu verübeln. Ich würde meine Pflicht versäumen, wenn ich Ihnen gegenüber die Ausstellungen nicht offen aussprechen würde. Sie lieben, wie ich weiss, eine offene ehrliche Aussprache und Sie wissen auch, dass wahre Freundschaft nicht darin besteht, zu allem zu schweigen. Meine aufrichtigen freundschaftlichen Gefühle Ihnen gegenüber werden dadurch nicht geändert. Ich schätze Sie ja, sowohl wissenschaftlich wie persönlich, sehr hoch und habe in den 13 Jahren unserer Bekanntschaft Sie immer mehr schätzen gelernt. Insbesondere habe ich Ihre ebenso mühevolle als erfolgreiche Tätigkeit als Redakteur der Kantstudien mit steigender Dankbarkeit verfolgt und weiss, dass die Kantstudien, Ihnen, Ihrer Person und Ihrer Tätigkeit, sehr viel verdanken.
Aber ich weiss auch, dass Sie ein Gegner der Unfehlbarkeitsidee sind und so werden Sie es mir, der ich in meinem Leben selbst viele Fehler gemacht habe, nicht verübeln, dass ich Ihnen jetzt sagen muss, dass Sie meiner Meinung nach jetzt einige Fehler gemacht haben.
Ich sagte eben: meiner Meinung nach, aber ich muss hinzufügen | dass[c] dies auch die Meinung anderer ist. Ich habe mit verschiedenen verständigen und ruhigen Männern über die obigen Punkte und auch über den folgenden dritten Punkt gesprochen. Alle diese Männer schätzen Sie sehr hoch ebenso wie ich, aber sie sind ebenso wie ich der[d] Meinung, dass Sie in diesen Punkten das Richtige verfehlt haben. Das ist keine Beleidigung für Sie, denn es ist nun einmal eine allgemein menschliche Sache, dass wir Fehler machen und das tun auch die Besten. Niemand kann verlangen, und auch Sie selbst nicht, dass Sie davon ausgenommen seien, also nochmals: nehmen Sie meine offen ausgesprochenen Bedenken in demselben Sinne auf, in welchem ich Sie Ihnen mitteile. Und nun will ich zum dritten Punkte kommen.
Drittens. Als ich im Sommer d[es] J[ahres] Ihre Ausführungen über den „Begriff der Nation“[6] kennen lernte, konnte ich mir damals nur Stichproben daraus vorlesen lassen. Diese zeigten mir die mir bekannten Vorzüge Ihrer anderen Arbeiten: gute Ideen treffend ausgedrückt und viele feine Bemerkungen, aber dabei entgingen mir andere Stellen, die ich erst jetzt kennen gelernt habe, nachdem ich mir nunmehr Ihren Vortrag vollständig habe vorlesen lassen. In diesen Stellen machen Sie einen scharfen Unterschied zwischen der ursprünglichen Volkseinheit und den „Gastvölkern“. Sie machen diesen Unterschied nicht blos sehr scharf, sondern Sie sprechen auch die Meinung aus, dass dieser Unterschied dauernd bleiben müsse und unaufhebbar sei. Darüber ist die Wissenschaft aber selbst in verschiedene Meinungen geteilt. Ganz anders, ja entgegengesetzt, urteilt Ihr Lehrer und Freund Windelband in seiner von Ihnen selbst herausgegebenen „Geschichtsphilosophie“[7]. Er spricht daselbst Seite 59 ff. davon, dass alle Kulturvölker Rassenmischungen enthalten und dass es das Bestreben der Kultur sei, diese Rassenmischung fortzusetzen und er nimmt energische Stellung gegen die „Rassenfexe“, wie er sich derb ausdrückt.
Sie haben ja nun allerdings in diesem Vortrag die Juden nur zweimal vorübergehend erwähnt, aber was soll man sich denn sonst unter „Gastvölkern“ vorstellen als Juden und höchstens noch Zigeuner. Die letzteren kommen kaum inbetracht[e], also kann man in Ihrem Vortrag überall statt des Ausdruckes „Gastvölker“ einfach den Ausdruck „Juden“ setzen.
Nun wäre es doch vielleicht zweckmässig gewesen, wenn der Redakteur Bauch dem Autor Bauch zu bedenken gegeben hätte, dass ein derartiger Beitrag schon an und für sich sich nicht recht für die Kantstudien eigne. Man kann ja nicht gerade sagen, dass der Gegenstand nicht in die Philosophie in weiterem Sinne gehöre, aber der Philosophie im engeren Sinne liegt dieses Thema doch ferner und der Redakteur Bauch hätte dem Autor Bauch den Rat geben können, seinen Vortrag an anderer Stelle als an[f] den Kantstudien zu veröffentlichen.
Dazu kommt ja noch, dass der Redakteur Bauch daran hätte denken sollen, dass es doch nicht zweckmässig sei, ein solch bedenkliches Thema an einer so prominenten Stelle, wie es die Kantstudien sind, anzuschneiden, gerade zu einer Zeit, in welcher der allgemeine Burgfriede in Deutschland es absolut notwendig macht, alles Trennende zu vermeiden und alle Parteigegensätze in den Hintergrund zu stellen und alles zu vermeiden, was einen beträchtlichen Teil unserer Mitbürger beunruhigen und kränken kann. |
Die[g] Veröffentlichung Ihres Vortrages in den K. St. hätte gleichwohl für sich allein wohl noch keine grössere Bewegung hervorgerufen, wenn er auch diesen und jenen immerhin schwer genug gekränkt hätte, aber unglückseliger Weise haben Sie nun um dieselbe Zeit jenen unglückseligen Brief im „Panther“ veröffentlicht, in welchem Sie sagen, dass Cohen schon durch seine jüdische Eigenart als solche verhindert sei, die höchsten deutschen Kulturwerte und insbesondere die Kantische Philosophie voll und ganz zu verstehen und zu würdigen.
Nun ist ja dieser Ihr Pantherbrief an sich eine rein ausserredaktionelle Sache, wie Sie ganz richtig bemerken. Aber wollen Sie doch bedenken: Sie äussern jene Meinung über Cohen, welcher doch ein Mitglied des Redaktionsausschusses der Kantstudien ist. Sie haben also damit ein Mitglied des Redaktionsausschusses nach aussen hin schwer kompromittiert und aufs tiefste gekränkt. Insofern ist Ihr Pantherbrief allerdings eine die Redaktion betreffende Angelegenheit.
Aber noch mehr: mit Recht haben jüdische Autoren nun aus jener Ihrer Äusserung die Konsequenz gezogen, dass sie durch jene Ihre Äusserung in ein Misstrauen darüber versetzt worden seien, ob Sie denn nun in Zukunft deren Zusendungen, resp. Manuscripte, objektiv nach ihrem rein sachlichen Gehalt prüfen werden, da Sie doch von vornherein den Juden die Fähigkeit absprechen, Kant zu verstehen.
Ja noch mehr: jüdische Autoren werden nun durch Ihre Äusserung überhaupt abgehalten werden, Beiträge für die K. St. einzusenden und darin liegt doch eine Schädigung der Sache.
So ist Ihr Pantherbrief allerdings von grosser Bedeutung für die Redaktion und so muss auch ich eben davon sprechen, und muss Ihnen das leider alles sagen. Ich sage Ihnen das alles ohne jede Schärfe, aber ich darf es nicht verschweigen.
So haben Sie denn, verehrter Freund, einen Sturm gegen sich selbst heraufbeschworen. Sie haben nach dem alten Sprichwort Wind gesät und Sturm geerntet[8]. Dieser Sturm geht nicht blos von den Juden aus, sondern auch christlich-germanische Männer, welche an sich gar nicht etwa philosemitisch sind, missbilligen ernstlich Ihr Vorgehen.
Zunächst ist eingetreten, was zu erwarten war: Cohen hat mir geschrieben, dass er seinen Namen von der Redaktion der Kantstudien zurückziehen muss.
Cohen und Cassirer haben mir mitteilen lassen, dass sie aus der Kantgesellschaft ausgetreten sind, und eine Reihe weiterer Austritte ist schon angekündigt. Ob der Austritt Stumpfs damit zusammenhängt, ist fraglich.
Cassirer hat zwar auf den Abdruck seiner Entgegnung in den K. St. verzichtet, aber mit dem Vorbehalt, die Entgegnung in anderer Weise | zu[h] veröffentlichen. Diese Veröffentlichung würde m. E. ein grosses Unglück sein, ein Unglück für Sie selbst und ein Unglück für die Kantgesellschaft und natürlich auch für die Kantstudien. Ich hoffe aber, dass es noch möglich sein wird, diese Veröffentlichung zu verhindern. Nichts würde ja unseren Feinden im Ausland eine grössere Freude machen, als wenn jetzt gerade die Kantianer sich in die Haare geraten würden und wenn jetzt gerade die Kantgesellschaft durch die Austrittsbewegung gespalten würde. Ich bemerke ausdrücklich noch, dass unter denjenigen, welche den Austritt ernstlich erwägen, nicht blos Juden, sondern auch reine Germanen sind.
Nun komme ich endlich auch auf Ihren Brief vom 31. Oktober[9]. Sie sprechen darin die Meinung aus, dass die Juden seit langem Ihre Stellung haben unterminiren wollen, um einen jüdischen Redakteur an Ihre Stelle zu setzen.
Verehrter Freund! Diese Ihre Meinung ist vollständig irrig. Niemals ist es irgendeinem Juden eingefallen, Sie stürzen zu wollen. Dazu war ja auch nicht der geringste Grund vorhanden. Noch auf der letzten Generalversammlung 1914 haben wir Ihr 10jähriges Jubiläum als Redakteur gefeiert unter allgemeiner Zustimmung[10]. Natürlich mag, wie bei jeder Redaktion, dieser oder jener abgewiesene Autor persönlich mit dem Redakteur unzufrieden sein, aber von diesem Schicksal sind doch nicht blos Juden betroffen worden. Ein jüdischer Redakteur müsste ja doch auch manchen jüdischen Beitrag abweisen. Ihre Meinung, dass Sie schon längst von den Juden verfolgt werden, ist eine ganz unberechtigte Schwarzseherei. Dass aber jetzt, nach dem Pantherbrief, plötzlich die Juden erregt worden sind, ist ja doch natürlich, und psychologisch leicht verständlich.
Sie sprechen nun in Ihrem Briefe weiterhin davon, dass die Möglichkeit eintreten könnte, dass Sie sich bewogen fühlen, die Redaktion der K. St. niederzulegen. Es ist sehr dankenswert von Ihnen, dass Sie mich rechtzeitig auf diese Möglichkeit aufmerksam machen, und ich habe mir natürlich sofort überlegt, welche Hilfskräfte ich bekommen könnte, um vorläufig die Redaktion selbst zu übernehmen, bis sich ein geeigneter Nachfolger findet, sodass ich also einstweilen im Notfall selbst jederzeit einspringen könnte.
Aber ich bin der Meinung, dass ein Rücktritt Ihrerseits vermieden werden sollte. Es wäre doch jammerschade, wenn Ihre 13jährige ebenso mühevolle als erfolgreiche Redaktionstätigkeit mit einem solchen Missklang endigen würde.
Ich möchte doch annehmen, dass Sie noch einen anderen Weg finden könnten, um die fatale Situation zu entwirren. So könnten Sie z. B. eine Ehrenerklärung für Cohen ausstellen, in welcher Sie seine angetastete wissenschaftliche Ehre wieder herstellen, denn man darf doch keineswegs sagen, dass die Eigentümlichkeiten seiner Kantauffassung gerade aus seinem spezifischen jüdischen Wesen hervorginge. Dieselbe Kantauffassung wird ja auch von vielen christlich-germanischen Männern geteilt, so von Natorp und Buchenau | und[i] vielen anderen. Und ähnliche Kantauffassungen waren schon zur Zeit Kants vorhanden, z. B. bei Beck.
Eine solche Ehrenerklärung für Cohen und überhaupt eine Erklärung, durch die Sie die entstandenen Missverständnisse klären, müssten Sie aber möglichst bald in meine Hände legen, und sie müsste derart abgefasst sein, dass sie veröffentlicht werden könnte.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch folgendes bemerken: der Vortrag von Cohen, der ihm von den einseitigen Rassevertretern so übel genommen wird, über „Das Eigentümliche des deutschen Geistes“[11] ist von mir aufs schärfste nachgeprüft worden. Cohen hat darin nicht blos für die intellektualistische Seite Kants Worte gefunden, er hat auch dessen Ethik und Ästhetik in ihrer Tiefe gewürdigt, er hat auch Fichte und Hegel anerkannt, er hat auch die Mystiker anerkannt, er hat für Luthers Reformation, für Dürers Werke, für Bachs Musik schöne Worte gefunden. Dasjenige aber, was ihm seine Gegner mehrfach vorwerfen, dass die „Luthersche Psalmenübersetzung die deutsche Lyrik beeinflusst habe“, ist eine ganz bekannte Sache, die ich schon in meiner Jugend bei protestantischen Kirchengeschichtsschreibern und bei protestantischen Literarhistorikern gefunden habe. Die Psalmen haben tatsächlich nicht blos auf Klopstock, sondern auch auf Goethe und Schiller, ja selbst noch auf Nietzsche eingewirkt. Meine Nachprüfung des Cohenschen Vortrages[j] ist um so objektiver zu werten, als ich ja, wie sattsam bekannt ist, der ganzen Cohenschen Richtung diametral gegenüberstehe und auch persönlich ihm gegenüber völlig unabhängig bin und weder zu ihm (noch auch zu Cassirer) irgend welche näheren Beziehungen habe.
Sollten Sie also jene Ehrenerklärung ausstellen können, so würde der Sturm beschwichtigt werden können.
Sollten Sie aber glauben, eine solche formelle Ehrenerklärung nicht ausstellen zu können, und von der Redaktion der Kantstudien zurücktreten wollen, so könnte dies ja doch vielleicht in der milderen Form geschehen, dass Sie eben nur für ein Jahr von den Redaktionsgeschäften Urlaub nehmen, und zwar „aus Gesundheitsrücksichten“, welche ja doch tatsächlich bei Ihnen vorliegen. Denn es ist ja doch allgemein bekannt geworden, dass Sie im Frühjahr eine so schwere Operation[12] durchgemacht haben. Darin läge also durchaus nichts Gravierendes für Sie. Dann könnten Sie nach einem Jahr ruhig wieder die Redaktion übernehmen. Aber natürlich müssten Sie dann unterdessen den Rückweg finden aus der Richtung, welche Sie jetzt eingeschlagen haben. Auch auf diese Weise liesse sich also, wie ich fest überzeugt bin, der Sturm beschwichtigen, welcher sich jetzt erhoben hat, und alles könnte wieder in die gute alte Ordnung kommen. Dies wäre wohl der beste und einfachste Weg.
Auch der einfache und unbedingte Rücktritt von der Redaktion, von dem Sie selbst in Ihren beiden letzten Briefen an mich sprechen, würde ein Weg sein, um alle Wogen zu besänftigen und alles wieder in Ordnung zu bringen. Aber dann müssten natürlich sowohl Sie selbst als Cassirer schweigen. Die Gegensätze würden dann zwar bestehen bleiben, aber sie könnten doch latent bleiben. | Ich[k] resumiere: der neue Kurs, den Sie in dem letzten Hefte eingeschlagen haben, erweist sich durch seine Folgen in allen drei Fällen als ein verhängnisvoller; verhängnisvoll für die Kantstudien, für die Kantgesellschaft als Ganzes und deren einzelne Mitglieder, verhängnisvoll für mich und vor allem auch für Sie selbst und für Ihre ganze Stellung in Wissenschaft und Leben. Sie werden sich, mir, uns allen eine unendliche Menge von Widerwärtigkeiten zuziehen, wenn Sie nicht den richtigen Ausweg einschlagen.
Dass ich selbst durch diese widerwärtigen Dinge unschätzbar viel Zeit und Kraft verloren habe, und dass sie mir unsäglichen Kummer machen, will ich nur beiläufig, aber nicht ohne Nachdruck bemerken. Meine Augenoperation, welche hätte gerade jetzt vorgenommen werden sollen, nach langer, zu diesem Zweck vorgenommenen Erholung in Friedrichroda, muss jetzt, vielleicht auf ein ganzes Jahr, verschoben werden.
Hören Sie auf die Stimme der Freundschaft, die Ihnen 13 Jahre lang immer eine sichere Führerin gewesen ist.
Auf meiner Rückreise von Friedrichroda[13] hierher vor 8 Tagen besuchte ich in Weimar Frau Dr. Förster-Nietzsche[l].
Frau Dr. Förster-Nietzsche kennt Frau Dr. phil. Ripke-Kühn[14] sehr gut und schätzt sie an und für sich sehr hoch, aber sie ist mit der von ihr eingeschlagenen antisemitischen Richtung nicht einverstanden. Sie hat daher Frau Dr. Ripke-Kühn dringend gewarnt, diese Bahn weiterhin zu verfolgen, mit dem Hinweis darauf, dass ein ihr bekanntes Leben durch den Antisemitismus völlig zerbrochen worden sei.
Wer Frau Dr. Förster-Nietzsche kennt, weiss, welches Leben eines bekannten Mannes sie damit meint, nämlich das ihres eigenen Gatten, der ja in der Geschichte des Antisemitismus eine grosse Rolle gespielt hat.
Ich habe zu Frau Dr. Ripke-Kühn keine näheren Beziehungen: ich habe sie nur einmal flüchtig hier bei einer Generalversammlung gesehen; ich habe aber den Wunsch und die Absicht, auf Grund jener Mitteilungen von Frau Dr. Förster-Nietzsche ihr eine Abschrift dieses meines Briefes an Sie zu übersenden. Sie ist Mitglied der Kantgesellschaft und hat ihrerseits dazu beigetragen, die grosse Störung der Kantgesellschaft hervorzurufen, aus welcher leicht eine Zerstörung derselben entstehen kann.
So muss Frau Dr. Ripke-Kühn auch erfahren, wie die Sachen stehen und wie ich selbst zu der Sache stehe.
Ich hoffe dadurch dazu beizutragen, dass die entstandene Störung des Burgfriedens innerhalb der Kantgesellschaft geheilt wird, was durchaus notwendig ist, nicht blos im Interesse der Kantgesellschaft als solcher, sondern im Interesse der durch sie vertretenen Kulturwerte, sowie im Interesse des Ansehens der deutschen Wissenschaft im In- und Auslande, sowohl im feindlichen als im neutralen.
In alter Freundschaft Ihr ergebener
gez. Vaihinger |
[Beilage 2]
Copie
Bauch an Vaihinger
Jena, den 10. November 1916.
Hochverehrter Herr Geheimer Rat, lieber Freund!
Haben Sie recht herzlichen Dank für Ihren Brief, der mir ebenso sehr wegen seiner Sachlichkeit, wie wegen seiner wahrhaft freundschaftlichen Gesinnung in der für uns beide recht schweren Redaktionslage überaus wohlgetan hat. Sie dürfen überzeugt sein, dass gerade die rückhaltlose Offenheit, mit der Sie zu mir sprechen, mich so wenig verletzt hat, dass sie mir vielmehr nur ein neuer Beweis Ihrer alten, mich nun fast anderthalb Jahrzehnte durchs Leben begleitenden Freundschaft ist.
Um rasch zur Hauptsache zu kommen, werde ich mich bei den beiden ersten Punkten Ihrer Kritik nicht lange aufhalten, sondern dazu nur kurz Folgendes bemerken: ich hielt es geradezu für meine Pflicht, vor dem Wahleschen Buche zu warnen. Auf Gedanken des Autors bin ich in der Tat nicht eingegangen, konnte aber auch nicht eingehen, weil der Autor keine Gedanken hatte. Und wie Sie ablehnende Urteile über meine Rezension, ebenso habe ich durchaus zustimmende (auch aus Oesterreich) vernommen. Was Hoffmanns Rezension anlangt, so möchte ich sie, gerade weil sie nicht meine eigene ist, etwas mehr in Schutz nehmen, als wenn sie von mir selber stammte. Hoffmann konnte doch bei einem Lexikon nicht jeden einzelnen Artikel zum Gegenstand seiner Besprechung machen, sondern musste sich auf das beschränken, was für die ganze Gesamthaltung charakteristisch ist. Dann aber war es ganz unmöglich, an der katholischen Tendenz des Unternehmens achtlos vorbeizugehen. Das wäre eine Pflichtversäumnis gegen die Leser der K. St. gewesen. Dabei ist doch seine Kritik der katholischen Tendenz recht harmlos im Vergleich zu der Kritik[15], die ich früher selber an der contradictio in adjecto einer „katholischen Philosophie“ in den K. St. üben durfte. So kam es mir in der Tat garnicht in den Sinn, die Rezension nach irgend einer Seite zu beschneiden, zumal da ihre Sorgfalt ganz augenscheinlich ist und ihre Objektivität auch vor anderem objektiven Urteil bestehen kann. Rein formal gebe ich allerdings von einem, aber in der Tat nur von einem einzigen Ausdruck (dem Wort: „Maskierung“) zu, das es besser unterblieben wäre, trotzdem er auf den Sachverhalt zutrifft.
Nun komme ich zur Hauptsache, zum letzten und dritten Punkte Ihres Briefes. Ich sehe besonders aus Ihren beiden beiliegenden Briefen an Liebert[16], die, ohne ursprünglich für mich bestimmt zu sein, mir doch ein mich tief bewegendes Zeugnis Ihrer freundschaftlichen Denkungsart sind, wieviel Ihnen an einer friedlichen Beilegung des Konfliktes gelegen gewesen wäre, und dass Sie von mir, wie Sie an Liebert schreiben, Rat und Hilfe erwarteten. Sehr dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie mir vielleicht noch sagen möchten, nach welcher Richtung sich Ihre Erwartungen bewegten. Hätte ich doch alles getan, was ich irgend tun konnte, sie zu erfüllen. Und ich kann Ihnen versichern, dass, hätte ich nicht um der K. St. und der K[ant] G[esellschaft] willen zu einem einigermassen befriedigenden Ergebnis kommen wollen, ich schon um Ihretwillen danach hätte trachten müssen. In diesem Sinne waren auch meine an Liebert gerichteten Vorschläge für Cassirer gemeint, dass dieser erstens seine Angriffe gegen mich allein richte, und dass er sie zweitens rein sachlich und philosophisch halte. Hätte ich mir die Sache leicht machen wollen, dann wäre nichts eben leichter gewesen, als | mich[m] mit Cassirers Entgegnung auseinanderzusetzen, so, wie sie eben war. Ich wünschte also auch die Beschränkung des Angriffs auf mich nicht etwa aus persönlichen Gründen wegen Frau Dr. Ripke-Kühn, die auch ich, und zwar vor vielen Jahren in Freiburg, nur[n] ein einziges Mal gesehen, aber meiner Erinnerung nach, nicht einmal persönlich gesprochen habe. Ich wollte ganz allein um der Sache, der K. St. und der K. G. willen vermeiden, dass der Streit weitere Kreise zieht. Und das erhielt ich auch von Liebert, weil er selbst dies als[o] das Beste und Richtigste erkannte, ausdrücklich zugesagt. Sodann wünschte ich auch nicht aus Bequemlichkeit, dass Cassirer seine Angriffe rein sachlich und wissenschaftlich halte (denn rein sachliche Angriffe sind ja gerade weniger bequem abzuwenden), sondern um überhaupt die Möglichkeit für eine objektive Aussprache und Verständigung zu haben. Dann hätte ich zeigen können, wie durchaus unrichtig es ist, mir einfach den von Cohen so perhorreszierten „Judenhass“ und blinden „Antisemitismus“ unterzuschieben: ich hätte zeigen können, dass ich Deutschtum und Judentum unter nationalen Gesichtspunkten durchaus nicht anders unterscheide, wie Cohen das tut, wenn er in Bezug auf Deutschtum und Judentum von den „beiden Nationalitäten“ (!) und von den „beiden Volkstypen“ (!) (das sind Cohens eigene Worte!) spricht, sodass er doch schon insofern er von beiden spricht, auch beide als „Nationalitäten“[17] genau unterscheidet und auch unterscheiden muss, um weiter von ihrer „Kongenialität“ und ihrer „Verbindung“ zu[p] sprechen als Beziehungsbegriffe, die unterschiedene Beziehungslieder voraussetzen, auf sie anwenden zu können[q]. Ich hätte weiter darauf hinweisen können, dass das völkische Problem mit der Rassenfrage, so eng es damit zusammenhängt, doch nicht einfach identisch ist (wie ich z. B. Ihre Einwände in den Briefen an Liebert als für den Staatsbegriff ohne weiteres richtig, aber nicht den Nationsbegriff berührend anerkenne, also auch Staat und Nation, trotz ihres engen Zusammenhanges, nicht einfach als identisch ansehe) dass man also, wie Windelband geradezu von „Rassenfexen“ reden und dennoch, was ja gerade Windelband[r] auch tut, und zwar in seinem letzten grösseren Werke, der „Einleitung in die Philosophie“ zwischen „Wirtsvölkern“ und „Gastvölkern“[18] genau, scharf und objektiv in einfachem Tatsachenurteil unterscheiden kann. Dass mir eine Kränkung von Cohens persönlicher Ehre, die mir einfach unantastbar ist, und eine Schmälerung seiner Verdienste um Kant, die ich, wie ausser mir vielleicht nur ganz wenige ausserhalb der „Marburger Schule“ jederzeit voll und ganz anerkannt habe und auch stets anerkennen werde, so fern, wie nur überhaupt möglich, gelegen hat, das hätte vielleicht schon ein Hinweis gerade auf den von Cassirer herangezogenen „Panther“-Artikel deutlich machen können. Denn hier bezeichne ich Cohen geradezu als „eine der ehrwürdigsten Gestalten des modernen Judentums“. Damit drücke ich es doch wahrhaftig deutlich genug aus, dass sich die Ehre Cohens als unantastbar und unverletzlich respektiere. Aber auch auf seine Verdienste um Kant weise ich ausdrücklich hin. Und es ist mir niemals eingefallen, so schlechtweg zu sagen, er könne Kant nicht verstehen. Denn es ist ein grosser Unterschied, zu sagen, es könne jemand Kant nicht verstehen oder blos, es seien in seinem Verständnis durch den Unterschied im Volkstypus eben typische Grenzen gezogen. So würde ich es z. B. niemals als eine Kränkung empfinden, wenn man jemand sagte, der französische Volkstypus ziehe meinem Descartes-Verständnis blos volkstypisch bestimmte Grenzen. Ich würde das ohne weiteres zugeben, trotzdem ich glaube, dass ich zu denen gehöre, die auf Grund ihrer Beschäftigung mit Descartes diesen mit am besten verstehen.
Unter diesen Gesichtspunkten wäre ich sofort zu einer ruhigen, sachlichen und schliesslich zu einem befriedigenden Ergebnis führenden Auseinandersetzung mit Cassirer bereit gewesen, und nach Lieberts Darstellung der Sachlage und seinen ausdrücklichen Zusicherungen über Cassirers | Absichten[s] hatte ich auf ein solches Ergebnis auch bestimmt gerechnet. Cassirer hat das unmöglich gemacht. Und da Sie selber meinen, man würde mir von Seiten der jüdischen Autoren keine objektive Beurteilung der mir von Ihnen eingesandten Manuscripte mehr zutrauen, so halte ich es nicht allein für aussichtslos, dass Sie selbst noch so einen letzten Verständigungsversuch bei Cassirer unternehmen; es wäre aus diesem Grunde vielmehr geradezu gegen das Interesse der K. St., wenn ich noch weiter die Redaktion führte. Mir fällt die Trennung von den K. St. – das gestehe ich offen, auch wenn durch dieses Geständnis der Redaktionssturz für meine jüdischen Gegner zu einem doppelten Triumphe werden mag – wahrhaftig nicht leicht; im Gegenteil, recht schwer. Denn es ist ein Stück eigenen Seins und Lebens, von dem ich mich damit trenne, und das geht nicht ohne ehrliche Schmerzen ab. Aber es muss ja nun wohl sein. Von den drei von Ihnen bezeichneten Wegen ist das der für mich allein gangbare. Der erste, eine Ehrenerklärung für Cohen abzugeben, ist aus einem einfachen Grunde ganz unmöglich. Denn wenn ich eine Ehrenerklärung für Cohen abgeben würde, so würde diese von vielen als Zugeständnis, dass ich eine Ehrenkränkung begangen hätte, gedeutet werden. Aber gerade weil ich eine solche Ehrenkränkung niemals begangen habe, muss ich auch den leisesten Schein eines Eingeständnisses, sie begangen zu haben, vermeiden. Auch würde sich, selbst wenn der mehr öffentliche Sturm sich auf diese Weise beschwichtigen liesse, ja doch dadurch jenes heimliche Misstrauen der Juden, von dem Sie sprechen, das Misstrauen, dass ich arbeiten jüdischer Herkunft nicht objektiv beurteile, nicht beseitigen lassen. Hat ja doch auch Cassirer die meinem ganzen Standpunkt schnurstracks zuwiderlaufende Consequenz gerade aus meinem Standpunkt ziehen zu können vorgegeben, es sei danach das Urteil über eine Leistung von ihrem Ursprung abhängig. Nun das ist genau das Gegenteil von dem, was ich als Philosoph immer und überall vertreten, und wonach im Leben als Mensch immer gehandelt habe. Speziell für die Redaktionsführung wird und kann das ausser mir kein Mensch so gut wissen, wie Sie selbst. Aber es ist ja für den Gegner sehr einfach, mein Denken und Handeln genau in sein Gegenteil umzudeuten. Auch für den zweiten von Ihnen ins Auge gefassten Weg, bloss[t] ein Jahr aus Gesundheitsrücksichten Urlaub zu nehmen, kann ich mich nicht entscheiden. Das widerstrebt mir, weil es als ein verschleierter Rückzug angesehen werden könnte, und weil ich tatsächlich auf meine Gesundheit zwar in körperlicher, aber eben auch blos in körperlicher Beziehung Rücksicht nehmen muss, der Redaktionsarbeit aber durchaus gewachsen bin. Ich finde also nur den dritten von Ihnen bezeichneten Weg gangbar! den des einfachen Rücktritts. Und wenn Cassirer mich nicht anderwärts angreift, habe ich auch keinen Grund, mich wiederum anderwärts zur Wehr zu setzen. Auf diese Weise können Sie, wenn ich einfach zurücktrete, dem Austritt jüdischer Mitglieder aus der K. G., auch noch den von Cohen und Cassirer, wohl in der besten Form, vorbeugen.
Die Redaktionsarbeit für dieses Jahr will ich Ihnen selbstverständlich noch gern abnehmen und zu Ende führen, wie ich Ihnen auch künftig jederzeit gern zur Seite stehen will. Ich möchte Sie nur bitten, dass ich ins letzte Heft dieses Jahrgangs noch zwei längst geschriebene Rezensionen von mir aufnehmen kann. Die eine bezieht sich auf Vorländer und ist in jeder Hinsicht zustimmend; die andere habe ich meinem hiesigen Collegen Wendt[19] sogar direkt zugesandt. Und wenn in dem Hefte[20], durch das mein Rücktritt bekannt wird, noch einmal etwas von mir erscheint, so wird das wohl keinen Schaden tun. Im Gegenteil hat es vielleicht das […][u] zu dokumentieren, dass wir beide in vollem Frieden geschieden sind. | Sollten[v] Sie meinen, dass es dem Interesse der K. St. nicht nur nicht entgegen sei, sondern diene, wenn ich mit der Stellung des Redakteurs nicht auch die des Mitarbeiters aufgebe, so werde ich Ihnen auch in Zukunft stets bereitwillig meine Kräfte zur Verfügung stellen und bei für philosophische Zeitschriften in Frage kommenden Arbeiten sogar in erster Linie an meine lieben alten K. St. denken, wie ja bisher an den K. St. auch nicht allein sachlich, sondern auch persönlich im Gegensatz stehende Männer mitgearbeitet haben. Sollte Ihnen aber auch meine blosse Mitarbeit bedenklich erscheinen, so werde ich auch für diese ausschalten, ohne darum nun gegen Sie persönlich einen Groll oder auch nur eine Verstimmung zu nähren. Glauben Sie mir, dass ich es Ihnen mein Leben lang nicht vergessen werde, was Sie mir in unserer Arbeitsgemeinschaft und durch sie auf Grund Ihrer Sachlichkeit in persönlicher Freundschaft alles Gute für mein ganzes Sein erwiesen haben.
Da in nächster Zeit doch wohl noch Rezensionsexemplare, wie Manuscripte, bei mir einlaufen werden, dürfte es sich empfehlen, dass ich Ihnen die Ms.[w]-Bestände in den Weihnachtsferien persönlich überbringe und die im Laufe der Jahre angesammelten und unbesprochen gebliebenen Rezensionsexemplare als Frachtgut übersende. Auch dürfte es zweckdienlich sein, den Verlagshandlungen eine besondere Mitteilung zugehen zu lassen, dass, da ich von der Redaktion zurückgetreten sei, die Rezensenda künftig nicht mehr an mich, sondern, vielleicht bis auf weiteres, an Reuter & Reichard zu senden seien.
Wahrscheinlich besuche ich gegen Ende der nächsten Woche meinen Freund Abert[21]. Vielleicht darf ich dann einmal (natürlich nur kurz, da ich im Ganzen nur kurze Zeit in Halle wäre) bei Ihnen vorsprechen[22], falls das Ihnen passt und Ihnen mein Besuch keine Aufregung verursacht, die ich auf jeden Fall im Interesse Ihrer Gesundheit vermeiden möchte. Ich bedaure es auf das Lebhafteste, dass die Aufregungen in dieser ganzen Redaktionskrisis ohnehin Ihre Gesundheit geschädigt haben. Auf meiner Seite dürfen Sie aber der grössten Ruhe versichert sein. Ich habe in der ganzen Angelegenheit, so viel Kränkendes auch für mich mit ihr gegeben sein mochte, eine gänzlich leidenschaftslose Ruhe bewahrt.
Nun leben Sie wohl! Seien Sie versichert, dass der ganze Streit auch auf mein persönliches Verhältnis zu Ihnen keinen Einfluss hat, dass ich nach wie vor nur in Dankbarkeit und Freundschaft zu Ihnen stehen werde und dass ich auch den Kant-Studien immer meinen Dank bewahren werde.
In alter Freundschaft Ihr herzlich ergebener
gez. Bruno Bauch
Die Briefe an Liebert lege ich wieder bei[x].
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑schwierigen Angelegenheit ] vgl. Akten des Kuratoriums der Universität Halle-Wittenberg, hier: Akten, die Kantgesellschaft und die Kantstiftung betreffend. UA Halle Rep. 6 Nr. 1863: Königliches Universitäts-Kuratorium zu Halle a. S. Spezial-Acten betreffend Kantgesellschaft und Kantstiftung. 1904–1916, Bl. 294–312 zum Skandal um Bruno Bauch: Der Redakteur der Kant-Studien, hatte sich 1916 mit der Leitung sowie mit Mitgliedern der Kantgesellschaft überworfen, die jüdischer Abstammung waren. Vaihinger teilte Kurator Gottfried Meyer am 17.11.1916 mit, dass Bauch als Redakteur der Kantstudien zurücktrete, sowie die Kantgesellschaft verlasse; Ernst Cassirer und Hermann Cohen traten schließlich aus der Kantgesellschaft aus. Hintergrund war, dass Bauch einen Vortrag „Vom Begriff der Nation“ separat und in Kant-Studien veröffentlicht hatte, in welchem er den Ausdruck „Gastvölker“ für „Juden“ gebrauchte; vgl. Vaihinger an Bauch vom 6.11.1916 sowie Bauch an Vaihinger vom 10.11.1916. Der Akte beigeheftet ab Bl. 310 ist: Der Panther. Deutsche Monatsschrift für Politik und Volkstum. Hg. v. Axel Ripke. 4. Jahrgang. Heft 6. Juni 1916. Darin, S. 741–746 Bauch: Nochmals „Ein Briefwechsel“. Mit Verweis auf den bei Reuther & Reichard 1916 erschienenen Vortrag „Vom Begriff der Nation“. – Zum Kontext vgl. außerdem die Korrespondenz Vaihingers mit Cassirer, Rickert und Rudolf Eucken von 1916/1917 in der vorliegenden Edition sowie die Korrespondenz Natorps, Cohens und Cassirers von 1916–1918 in Holzhey: Cohen und Natorp Bd. 2, S. 449–493 sowie: Ernst Cassirer Nachgelassene Manuskripte und Texte Bd. 9, ferner Sven Schlotter: Die Totalität der Kultur. Philosophisches Denken und politisches Handeln bei Bruno Bauch. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004 (Studien und Materialien zum Neukantianismus Bd. 22), S. 61–75.2↑austritt ] vgl. Bruno Bauch an Gottfried Meyer vom 16.11.1916 (in derselben Akte Bl. 306–307; das Zeichen / signalisiert Absatz): Eurer Hochwohlgeboren / Teile ich ergebenst mit, dass ich mich entschlossen habe, aus dem Verwaltungsausschuß der Kant-Gesellschaft auszutreten. Mich nötigen dazu leider Anfeindungen von jüdischen Mitgliedern der Kant-Gesellschaft, durch die ich mich auch bereits aus der Redaktion der Kant-Studien hinausgedrängt sehe, ohne daß es offenbar der Kant-Gesellschaft möglich war, mich als Redakteur gegen jene Anfeindungen zu decken. Mit den Kant-Studien, mit denen ich durch mehr, als | dreizehnjährige Arbeit eng verbunden war, will ich gern in weiterer Mitarbeiterschaftsbeziehung bleiben, zumal da Herr Geh. Rat Vaihinger Wert darauf legt. Aber der Kant-Gesellschaft mit Ihrem Verwaltungsausschuß kann ich unter den obwaltenden Umständen leider nicht länger angehören. Wenn ich mich nun bei Ihnen, hochverehrter Herr Geh. Ober-Regierungsrat, verabschiede, so tue ich das zugleich mit dem Ausdruck meines herzlichsten Dankes für alles Gute, das ich einst von der Kant-Gesellschaft, insbesondere auch durch Sie persönlich erfahren habe. Das wird mir auch in Zukunft unvergessen bleiben. / Ich begrüße Ew. Hochwohlgeboren in ausgezeichneter Hochachtung ganz ergebenst Bruno Bauch. Dazu Bl. 317 Meyer an Bauch vom 25.11.1916: Sehr geehrter Herr Professor, / Ihren mir von Ihnen mitgeteilten Austritt aus der Kantgesellschaft bedaure ich in hohem Maße und zwar umsomehr, als die Veröffentlichungen, welche in ihrem Zusammenwirken dazu führen mußten, nach meinem Gefühl auch ohne ein Opfer wissenschaftlicher Überzeugungstreue – ganz besonders in heutiger Zeit – vermeidlich gewesen wären. Daß die hervorragenden Dienste, welche Sie der Kantgesellschaft in treuer Hingabe während Ihrer 13jährigen Tätigkeit geleistet haben, Ihnen unvergessen bleiben werden, davon wollen Sie versichert sein. / Mit ausgezeichneter Hochschätzung Ihr ergebenster / gez. Meyer Vorsitzender des Verwaltungsausschusses. / Herrn Professor Doktor Bauch Hochwohlgeboren Jena.4↑sehr ruhig gehaltenen Briefe ] nicht überliefert; das Schreiben Richard Wahle an Vaihinger vom 18.5.1917 (Staats- und Universitätsbibliothek Bremen) ist dem Wortlaut nach nicht gemeint. Dort heißt es lediglich zu Beginn: Aus Ihrem Briefe spricht eine erfreuliche Leutseligkeit und ich bin Ihnen für Ihre Libenswürdigkeit dankbarst verbunden. Ich wünsche innigst, daß die Operation Ihnen wieder Freiheit und Freuden eröffne. / Die veränderte Schriftleitung wird mir hoffentlich Gewogenheit entgegenbringen. Die Schreiben Vaihingers an Wahle sind nicht ermittelt.5↑Zeit … Konfessionen ] Schlagworte nach der Thronrede von Kaiser Wilhelm II. vom 4.8.1914, vgl. Friedrich Thimme (Hg.): Vom inneren Frieden des deutschen Volkes. Ein Buch gegenseitigen Verstehens und Vertrauens. Leipzig: S. Hirzel 1916, Abschnitt II: Friede unter den Konfessionen und kirchlichen Parteien – sowie Abschnitt V: Friede unter den Nationalitäten, darin (!) S. 547–562: Hermann Cohen: Deutschtum und Judentum.7↑„Geschichtsphilosophie“ ] Untertitel: Eine Kriegsvorlesung. Erschien 1915 als Ergänzungsheft zu Kant-Studien, hg. von Bauch.8↑Wind gesät und Sturm geerntet ] vgl. Hosea 8,7: Denn sie säen Wind, und werden Ungewitter einernten (Luther).9↑Brief vom 31. Oktober ] nicht überliefert; vgl. das oben zitierte Schreiben Bauch an Gottfried Meyer vom 16.11.1916.10↑unter allgemeiner Zustimmung ] dokumentiert z. B. im Bericht der Frankfurter Zeitung, Nr. 117 vom 28.4.1914, Abendblatt, S. 1–2 (https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/periodical/pageview/6636942 (19.9.2024)), unterzeichnet F. M. (d. i. vermutlich Fritz Medicus) – sowie in: Arthur Liebert: Bericht über die Allgemeine Mitgliederversammlung (Generalversammlung) von Sonnabend, den 18. bis Montag, den 20. April 1914. (Zehnjähriges Stiftungsfest der Kantgesellschaft.) In: Kant-Studien 19 (1914), S. 447–455.11↑„Das Eigentümliche des deutschen Geistes“ ] vgl. Hermann Cohen: Über das Eigentümliche des deutschen Geistes. Berlin: Reuther & Reichard 1914 (Philosophische Vorträge. Veröffentlicht von der Kantgesellschaft Nr. 8).12↑schwere Operation ] vgl. Bauch: Mein Rücktritt von den „Kant-Studien“. Eine Antwort auf viele Fragen. In: Der Panther 5 (1917), Heft 1 von Januar 1917, S. 148–154 (abgedruckt in Ernst Cassirer Nachgelassene Manuskripte und Texte Bd. 9, S. 285–291).13↑Auf meiner Rückreise von Friedrichroda ] vgl. Vaihinger an Julius Bab von Oktober/November 1916 sowie Vaihinger an Paul Ernst vom 7.11.1916.14↑kennt Frau Dr. phil. Ripke-Kühn ] vgl. Vaihinger an Elisabeth Förster-Nietzsche vom 30.10. u. 23.11.1916 sowie Förster-Nietzsche an Vaihinger vom 25.11.1916.15↑der Kritik ] vgl. Bauch: Kant in neuer ultramontan- und liberal-katholischer Beleuchtung. In: Kant-Studien 13 (1908), S. 32–56.17↑als „Nationalitäten“ ] vgl. Hermann Cohen: Betrachtungen über Schmollers Angriff. In: Neue Jüdische Monatshefte, Heft 8 vom 25.1.1917, S. 222–230 u. Heft 9 vom 10.2.1917, S. 246–260, hier zitiert nach: Bruno Strauß (Hg.): Hermann Cohens jüdische Schriften Bd. 2. Zur jüdischen Zeitgeschichte. Berlin: Schwetschke 1924, S. 387: In demselben Heft seines Jahrbuchs, das die Fehde enthält, berichtet er über das Buch „Vom inneren Frieden“ (von Friedrich Thimme), und während er über die allermeisten dieser Aufsätze ein urteilendes Wort oder größere Bemerkungen der Anführung des Beitrags hinzufügt, schweigt er bei meinem Beitrag in einer Beredsamkeit, welche um so bedeutsamer ist, als mein Beitrag über „Deutschtum und Judentum“ der einzige ist in diesem Friedensbuche, in welchem der Jude überhaupt erwähnt wird. Und auch hier steht mein Beitrag leider nur unter der Rubrik der Nationalitäten, während die der Religion nur die beiden christlichen Konfessionen kennt.18↑„Wirtsvölkern“ und „Gastvölkern“ ] als Zitat nicht nachgewiesen; bei Wilhelm Windelband: Einleitung in die Philosophie (1914, 2. Aufl. 1920) heißt es in § 15 z. B.: Alle Völker nehmen im Verlauf ihrer Entwicklung unterjochte Stämme in sich auf, während andererseits von ihnen einzelne Teile abgeschnürt werden. Deshalb ist ein Volk niemals bloß eine physische Gemeinschaft, sondern eine seelische, die in historischer Bewegung erzeugt ist, eine Gemeinschaft des Vorstellens, des Fühlens und des Wollens. Denn auch das Land ist trotz aller Bedeutung, die im Volksbewußtsein die Heimat besitzt, kein unerläßliches Merkmal der Volksgemeinschaft: das zeigen die wandernden Völker oder die, welche ihre Gemeinschaft unabhängig von jedem besonderen Lande bewahren.19↑Collegen Wendt ] Hans Hinrich Wendt (1853–1928), evangelischer Theologe, seit 1893 Prof. in Jena (WBIS).20↑in dem Hefte ] Kant-Studien 21 ([1916]/1917) enthält neben Bauchs Rezension über Wahle: Die Tragikomödie der Weisheit noch dessen Rezensionen über Wendt: Die sittliche Pflicht und über Vorländer: Kant, Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie. Auf die letzte Registerseite am Ende des Jahrgangs ist eingeschoben (S. 492): Mitteilung betr. Wechsel in der Redaktion der „Kantstudien“. Mit diesem Hefte scheidet Herr Professor Dr. Bruno Bauch aus der Redaktion dieser Zeitschrift aus. Da in der Presse die Notiz verbreitet wurde, der Rücktritt des Herrn Professor Dr. Bauch sei „aus Gesundheitsrücksichten“ erfolgt, so bemerken wir hiermit ausdrücklich, dass diese Mitteilung absolut unzutreffend ist. Für Herrn Professor Dr. Bauch treten die Herren Dr. Max Frischeisen-Köhler, a. o. Professor an der Universität Halle, und Dr. Arthur Liebert, Dozent an der Handelshochschule Berlin, in die Redaktion ein. Herr Professor Dr. Frischeisen-Köhler, Halle, Mozartstr. 24, übernimmt die Schriftleitung für die Aufsätze in den „Kantstudien“, sowie für die Abhandlungen in den Ergänzungsheften. […] Herr Dr. A. Liebert, Berlin W. 15, Fasanenstr. 48, übernimmt die Schriftleitung für die Mitteilungen, Bücherbesprechungen und Selbstanzeigen. […] [Professor Dr. Vaihinger] bleibt wie bisher im Redaktionsverband, hat aber, wie das auch in den letzten 13 Jahren der Fall war, in Redaktionsangelegenheiten sich nur eine beratende Stimme vorbehalten […]. Bauch veröffentlichte fortan nicht mehr in Kant-Studien.21↑Freund Abert ] meint vermutlich der Musikwissenschaftler Hermann Abert (1871–1927; https://www.catalogus-professorum-halensis.de/aberthermann.html (19.9.2024)).▲