Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Paul Ernst, Halle, 7.11.1916, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf (Stempel) Univ.-Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Wasserzeichen Wappen, Helm mit Flügelzier mit Beischrift Universal, Deutsches Literaturarchiv Marbach, A:Ernst, Paul
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- Physical LocationDeutsches Literaturarchiv Marbach, A:Ernst, Paul
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Vaihinger an Paul Ernst, Halle, 7.11.1916, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf (Stempel) Univ.-Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Wasserzeichen Wappen, Helm mit Flügelzier mit Beischrift Universal, Deutsches Literaturarchiv Marbach, A:Ernst, Paul
Halle a. S. den 7. November 1916.
Herrn Schriftsteller Dr. Paul Ernst, Neustadt (Südharz)
Hochgeehrter Herr Doktor!
Bei meiner Rückreise aus Friedrichroda hierher machte ich, wie schon so oft, Station in Weimar[1], um meine verehrte Freundin Frau Dr. Förster[a]-Nietzsche zu besuchen, da ich im Vorstand des Nietzsche-Archives bin.
Ich wollte nun die Gelegenheit benutzen, um Ihre mir sehr wertvolle Bekanntschaft zu machen und fuhr zunächst an Ihre Wohnung vor, wo mir aber der Bescheid zuteil wurde, dass Sie sich jetzt in Neustadt aufhalten, worauf ich meine[b] und meiner Frau Karte zurückliess.
Erst durch Frau Dr. Förster-Nietzsche erfuhr ich, dass Sie nunmehr ganz nach Neustadt übergesiedelt seien. Dahin werde ich wohl schwerlich einmal kommen und so wird mir Ihre Bekanntschaft vielleicht für immer versagt bleiben, falls Sie vielleicht nicht Ihrerseits einmal durch Halle kommen und mich mit Ihrem Besuch beehren.
So muss ich denn meinen Dank für Ihre gütige Sendung Ihres neusten Buches[2], den ich Ihnen persönlich in warmer Weise aussprechen wollte, auf dem kälteren Wege der Korrespondenz zum Ausdruck bringen. Ich darf Sie versichern, dass Ihr schönes Buch meiner Frau und mir grosse Freude macht und dass wir die eigenartigen, in der von Ihnen selbst geprägten Stilform vorgetragenen Erzählungen in ihrem sinnigen Rahmen mit grossem Genusse lesen, sodass wir Ihnen für diesen prächtigen Lesestoff für die jetzigen langen Abende sehr verbunden sind.
In jenem sinnigen Rahmen habe ich auch das ausführliche philosophische Gespräch[3] entdeckt, Seite 146 bis 158, das mich nach den verschiedensten Seiten hin fesselt: denn Sie haben darin sehr richtig erkannt, dass die religiösen Vorstellungen nur künstliche und künstlerische, nicht logische Ausdrucksmittel des religiösen Gefühles sind und dass darin die Lösung aller derjenigen Probleme liegt, die sich auf das Verhältnis von Glauben und Wissen beziehen und die die Gemüter der Menschen solange gequält haben.
Aber noch mehr, Sie haben darin auch richtig prophezeit, dass die neue Welt, welche sich jetzt vorbereitet, auch eine neue Religionsform braucht und haben Seite 158 auch die Hoffnung ausgesprochen, es möchte den Deutschen gelingen, „zu ihrer Religion zu kommen“.
Es mag recht anmassend klingen, aber ich fühle mich doch innerlich verpflichtet, auszusprechen, dass diese neue und doch uralte germanische Religion auf dem Wege liegen muss, auf dem sich die „Religion des Als Ob“ bewegt, deren Grundzüge ich in der „Philosophie des Als Ob“ zu entwerfen gesucht habe, nicht als erster, sondern im Anschluss an Kant, Forberg[c], Schleiermacher, F. A. Lange, Nietzsche – freilich meinerseits ganz unabhängig von diesen Männern, da ich dabei für mich von neuen Gesichtspunkten ausgegangen bin. |
Das gütige Interesse, das Sie in Ihrem freundlichen Briefe vom 18. Oktober[4] für die Philosophie des Als Ob äusserten, hat mich ebenso sehr überrascht als erfreut. Es macht mich stolz, dass mein Buch schon früher Ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und es liegt für mich darin eine Gewähr, dass das Buch geeignet ist, unabhängig denkende Geister, wie Sie einer sind, anzuziehen oder wenigstens zu beschäftigen.
So darf ich mir erlauben, Ihnen gleichzeitig das Buch, das Sie bisher nur aus einer Bibliothek kennen lernen konnten, zu überreichen, in der Hoffnung, dass Sie gelegentlich einmal Zeit finden werden, das begonnene Studium des Werkes fortzusetzen.
Es würde mich beglücken, wenn es dem Werke gelingen würde, Ihre Aufmerksamkeit dauernd auf sich zu ziehen und einen Bestandteil Ihres eigenen Geisteslebens zu werden.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung Ihr ganz ergebener
Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Ihres neusten Buches ] vgl. Paul Ernst: Die Taufe. Novellen. München: Georg Müller 1916 (Paul Ernst Gesammelte Werke Bd. 7).▲