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- TitleJohannes Volkelt an Vaihinger, Leipzig, 29.7.1916, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 8 o
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 8 o
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Johannes Volkelt an Vaihinger, Leipzig, 29.7.1916, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 8 o
Leipzig, den 29. Juli 1916
Verehrter Herr Kollege,
Wenn ich die von Ihnen vertretene Philosophie als zu den „verschiedenen Arten des radikalen Empirismus“ gehörend bezeichnet habe[1], so lag für mich der entscheidende Grund darin, daß Sie kein anderes Erkenntnis-Prinzip als die reine Erfahrung anerkennen. Das von Ihnen aufgestellte Fiktions-Prinzip ist, so wie ich die Sache beurteile, kein „Erkenntnis“-Prinzip, sondern im[a] Gegenteil ein Verfälschungs-Prinzip. Alles, was Sie in Ihrem geschätzten Schreiben[2] über den Unterschied sagen, der Ihre Auffassung vom Positivismus trennt, erkenne ich durchaus an, wie mir denn dieser Unterschied seit dem[b] Erscheinen Ihres Als-Ob-Werkes[3] vollkommen bekannt und geläufig ist. Aber dieser Unterschied läßt das, was ich bei der Frage, ob eine Richtung zum radikalen Empirismus gehört, für das allein Entscheidende ansehe, völlig | unberührt: nämlich daß Ihre Philosophie abgesehen von der reinen Erfahrung kein anderes Prinzip des „Erkennens“ anerkennt.
Mit dem, was Ihrem Standpunkt eigentümlich ist, setze ich mich in dem erkenntnistheoretischen Buche, an dem ich seit längerer Zeit arbeite, an verschiedenen Stellen auseinander.[4] Auch der Aufsatz[5], von dem zu Ihnen Herr Kollege Bauch gesprochen hat, kommt auf die Als-Ob-Philosophie zu sprechen. Für den Separatdruck[6], den Sie mir zu übermitteln die Güte hatten (wie auch für den Falckenbergischen Bericht[7]) sage ich Ihnen herzlichen Dank.
Ebenso bin ich Ihnen für Ihre freundlichen und interessanten Mitteilungen über die Schopenhauer-Tagung[8] aufrichtig dankbar.
Es tut mir leid, daß Ihnen die Hinzurechnung zum „radikalen Empirismus“ unangenehme Empfindungen verursacht hat. Sie dürfen mir glauben, daß ich das Eigentümliche, das Sie von Laas, [R.] Avenarius u. s. w.[9] trennt, vollauf kenne und würdige. Und so wird | denn auch das Unterscheidende anderswo, wo ich mich mit Ihnen auseinander setze, ausdrücklich zur Geltung kommen.
Mit kollegialem Gruße Ihr ganz ergebener
Johannes Volkelt
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Wenn ich … bezeichnet habe ] vgl. Volkelt: Der Weg zur Erkenntnistheorie. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 157 (1915), S. 129–178, hier S. 140.3↑Ihres Als-Ob-Werkes ] vgl. Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant und Nietzsche. Herausgegeben von H. V. Berlin: Reuther & Reichard 1911 (2. Aufl. 1913).4↑Mit dem … auseinander. ] vgl. Volkelt: Gewissheit und Wahrheit. Untersuchung der Geltungsfragen als Grundlegung der Erkenntnistheorie. München: Beck 1918. Digitalisat: https://archive.org/details/gewissheitundwah00volkuoft/ (14.3.2024), S. 13 (die o. g. Passage aus dem Aufsatz Volkelts), S. 127, S. 271, S. 288, S. 291–292, S. 306–308, S. 372–382 (Siebentes Kapitel. Die Lehre vom Denken als willkürlichem Annehmen, insbesondere S. 375–376, S. 381).7↑Falckenbergischen Bericht ] meint vermutlich Falckenberg: Bericht über das fünfte Preisausschreiben der Kantgesellschaft, erstattet zu Halle am 20. April 1914. In: Kant-Studien 19(1914), S. 458–463. Volkelt war vermutlich zur Mitarbeit als Preisrichter angefragt worden, vgl. Vaihinger an Volkelt (ermittelt) vom 24.5.1910 sowie Volkelt an Vaihinger vom 30.5.1910.8↑Schopenhauer-Tagung ] meint vermutlich die 5. Generalversammlung der Schopenhauer-Gesellschaft (13.–17.6.1916, Dresden), anlässlich derer Vaihinger als Vorsitzender der Kantgesellschaft ein Grußwort gesprochen hatte, vgl. den Bericht Paul Deussens in: Ders. (Hg.): Sechtes Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft. Kiel: Verlag der Schopenhauer-Gesellschaft 1917, S. 301–311, hier S. 303.▲