Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Wilhelm Jerusalem, Halle (Saale), 13.7.1913, 7 S., hs. (andere Hd., mit eigenh. Zusätzen und eU), Briefkopf GEH. REG.-RAT | PROF. DR. H. VAIHINGER. | Halle a. S., d. … 19… | Reichardtstr. 15, mit Umschlag von [GEH]. REG.-RAT PROF. DR. VAIHINGER | HALLE A. S. an [He]rrn [R]egirungsrat Prof. Dr Jerusalem | Wien XIII | Auhofstraße 88, Poststempel HALLE | 13.7.13 5-6 N | (SAALE) 2, The National Library of Israel, Wilhelm Jerusalem Archive, Series 1. Correspondence, ARC. Ms. Var. 455 01 54, https://www.nli.org.il/he/archives/NNL_ARCHIVE_AL990037891430205171/
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- Physical LocationThe National Library of Israel, Wilhelm Jerusalem Archive, Series 1. Correspondence, ARC. Ms. Var. 455 01 54,
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Vaihinger an Wilhelm Jerusalem, Halle (Saale), 13.7.1913, 7 S., hs. (andere Hd., mit eigenh. Zusätzen und eU), Briefkopf GEH. REG.-RAT | PROF. DR. H. VAIHINGER.[a] | Halle a. S., d. … 19… | Reichardtstr. 15, mit Umschlag von [GEH].[b] REG.-RAT PROF. DR. VAIHINGER | HALLE A. S. an [He]rrn [R]egirungsrat[c] Prof. Dr Jerusalem | Wien XIII | Auhofstraße 88, Poststempel HALLE | 13.7.13 5-6 N | (SAALE) 2, The National Library of Israel, Wilhelm Jerusalem Archive, Series 1. Correspondence, ARC. Ms. Var. 455 01 54, https://www.nli.org.il/he/archives/NNL_ARCHIVE_AL990037891430205171/
13. Juli 1913.
Hochgeehrter Herr Kollege.
Ihr freundlicher Brief[1] traf eben in dem Augenblick ein, als ich die Widmung in das für Sie bestimmte gebundene Exemplar[2] eintrug. Es wäre schon längst bei Ihnen eingetroffen, wenn mich nicht der Buchbinder hätte so lange warten lassen. Natürlich müssen gerade Sie ein Exemplar der 2. Aufl. erhalten, haben Sie doch in besonders[d] verständnisvoller Weise meinem Buch den Weg geebnet. Es ist ja eine stattliche Anzahl größerer Aufsätze, die über mein Buch erschienen sind. (Vergl[eiche] S. VI) aber[e] Ihr Artikel in der so außerordentlich weit verbreiteten „Zukunft“ hat jedenfalls der Verbreitung | meines Buches außerordentlich genützt.[3]
Der Text der 2. Aufl. ist der Natur der Sache nach durchaus unverändert, aber es sind eine sehr große Anzahl störender Druckfehler beseitigt, und eine Menge stilistischer Unebenheiten entfernt, und so ist auch von diesem Gesichtspunkt aus der Besitz der 2. Aufl. immerhin von Wert. Die Vorrede zur 2. Aufl. ist ganz neu. Die „Vorbemerkungen zur Einführung“ waren schon in der 1. Aufl. als Vorwort des Verfassers enthalten. Hier habe ich auf S. XII den Passus über Sie eingefügt, der schon in dem Abdruck in den Akten des Bologneser Kongresses hinzukam.[4] Hinzugefügt habe ich auch auf S. XI[f] einen kurzen Passus über F. C. S. Schiller[g][5] sowie besonders auf S. XVI[h] einige Sätze[6], durch die ich meinen Positivismus[i] so scharf wie möglich prä|zisiert habe, da mir in dieser Beziehung Mißverständnisse entgegengetreten sind. Ich will meinen radikalen Standpunkt durchaus nicht verschleiern.
So möchte ich Sie bitten, das Exemplar, welches gleichzeitig als Zollpaket an Sie abgeht, gütig aufzunehmen und auch fernerhin ihm und seinem Verfasser Ihr überaus schätzenswertes Wohlwollen zu bewahren. Das Thema „Weiterentwicklung des Pragmatismus“[7] ist ein überaus dankenswerter Gegenstand. Es ist recht gut, wenn den deutschen Philosophen insbesondere aber den Kantianern der verschiedenen Richtungen, aber auch den Psychologen immer wieder aufs neue gesagt wird, daß neue Gesichtspunkte[j] in die Erkenntnis-Theorie eingetreten sind[k], durch welche die bisher einseitige, formalistische | oder absolutistische Behandlung der erkenntnistheoretischen Fragen, in ein anderes Fahrwasser gedrängt worden sind. Die zünftigen Philosophen, welche bisher in Deutschland die Herrschaft hatten, (Windelband, Rickert, Riehl, die Marburger Schule[l], Husserl) glauben, sich dadurch helfen zu können, daß sie diese neuen Gedanken, die ja auch gerade von Ihnen mit so großer Energie und Klarheit vertreten werden, einfach ignorieren.[m] Die Leute denken, der Sturm wird schon vorbeigehen, und dann sei wieder gut’ Wetter für sie, aber es ist eben deshalb notwendig, immer aufs neue zu sagen, daß die biologische Auffassung dazu nötigt, die alte Erkenntnis-Theorie zu reformieren. Wenn Sie in diesem Zusammenhang auch meines Buches[n] wiederum gedenken wollen[8], so wird | mir das natürlich außerordentlich lieb und[o] wert sein. Wie sehr die Vertreter der anderen Richtungen bestrebt sind, die biologische Erkenntnistheorie einfach unter den Tisch fallen zu lassen, zeigt der Umstand, daß der „Logos[p]“ bis jetzt, soviel mir bekannt ist noch nicht ein Wort über mein Buch gebracht hat[9]. Ich werde natürlich nun, nachdem die 2. Aufl. erschienen ist, bei der Redaktion einmal energisch reklamieren[10], bei welcher die 1. Aufl. schon seit 2 Jahren liegt! –[q]
Die Aussicht, Sie im Oktober hier in Halle[r] sehen zu können, ist mir überaus angenehm. Ich werde um diese Zeit voraussichtlich hier sein. Möglicherweise mache ich den Kongreß in Berlin[s] auch selbst | mit.[11] Indessen werden mich wohl familiäre Verhältnisse doch daran hindern. Daß Sie das Kant-Manuskript[12] mitbringen wollen, ist sehr erfreulich. Ebenso ist es ein sehr guter Gedanke, in den Kant-Studien über das Kant-Manuskript zu referieren. Sicher wird auch eine Bemerkung in diesem Referat, daß das Manuskript auch käuflich sei, dazu beitragen, daß sich Käufer melden[13], denn ich glaube nicht, daß die Berl[iner] Akademie bereit sein wird, viel dafür zu geben. Diese will natürlich die Manuskripte wissenschaftlich benützen, aber nicht erwerben, soviel mir bekannt ist.
Also in der Hoffnung, Sie im Oktober hier begrüßen zu können, sowie mit der Bitte, mich rechtzeitig vorher | von Ihrer Ankunft womöglich zu benachrichtigen, mit[t] den herzlichsten Grüßen und Wünschen Ihr aufrichtig ergebener
Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
o↑mir das … lieb und ] am Anfang des neuen Bogens oben auf der Seite: II. Halle (Saale) | d. 13. Juli 13.Kommentar der Herausgeber
2↑das für Sie bestimmte gebundene Exemplar ] von Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant und Nietzsche. 2., durchgesehene Aufl. Berlin: Reuther & Reichard 1913.3↑stattliche Anzahl … außerordentlich genützt. ] Vaihinger listet in der Vorrede zur zweiten Auflage Aufsätze zur 1. Aufl. seiner Philosophie des Als Ob auf, darunter auch Jerusalem: Die Logik des Unlogischen. In: Die Zukunft 79 (1912), Hg. Maximilian Harden, Heft vom 25.5.1912, S. 239–250; vgl. Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant und Nietzsche. 2., durchgesehene Aufl. Berlin: Reuther & Reichard 1913, S. VI–VII.4↑Hier habe ich … hinzukam. ] vgl. Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant und Nietzsche. 2., durchgesehene Aufl. Berlin: Reuther & Reichard 1913, S. XII: Verwandtes [zur Philosophie des Als Ob] findet sich ferner in Meinong’s Theorie der „Annahmen“, in […], in den verschiedenen Schriften des hochverdienten Wiener Philosophen Jerusalem, […]. Die Auflistung ist (ohne Erwähnung Jerusalems) bereits Teil der 1. Aufl. (Berlin: Reuther & Reichard 1911, S. XI). Jerusalem und seine Schriften werden neben der 2. Aufl. auch erwähnt in Vaihinger: Mitteilungen über das dem Kongress überreichte Werk „Die Philosophie des Als Ob“. In: Atti del IV Congresso Internazionale di Filosofia. Vol. 1. Genova [Genua]: Formiggini 1911, S. 297–309 (https://doi.org/10.5840/wcp41911124 (15.12.2023)), hier S. 302; letztere Mitteilungen übernehmen weite Teile des Vorworts des Verfassers der 1. Aufl.5↑Passus über Schiller ] der hinzugefügte Passus lautet: Das Wertvolle des kritischen Pragmatismus, das besonders von Schiller-Oxford weitergebildet worden ist, liegt in dem Kampf gegen einen einseitigen Intellektualismus und Rationalismus, der das logische Denken von seinem Mutterboden loslöst und diesem isolierten Denken allein Wert und Wahrheit zuschreibt. (Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob. System der theoretischen, praktischen und religiösen Fiktionen der Menschheit auf Grund eines idealistischen Positivismus. Mit einem Anhang über Kant und Nietzsche. Berlin: Reuther & Reichard 1913, S. XI).6↑einige Sätze ] in der 1. Aufl. von Vaihingers Philosophie des Als Ob (Berlin: Reuther & Reichard 1911, S. XV–XVII) hatte Vaihinger geschrieben: [Die Philosophie des Als Ob] zieht den ihrer Entstehung mehr entsprechenden Namen eines „idealistischen Positivismus“ vor, in welchem ja auch die beiden Richtungen vertreten sind, welche Kant in seinem Kritizismus vereinigen wollte. Hier treten diese aber in einer etwas anderen Kombination auf […]. Diese Passage lautet in der 2. Aufl. (Berlin: Reuther & Reichard 1913, S. XVI): [Die Philosophie des Als Ob] zieht den ihrer Entstehung mehr entsprechenden Namen eines „idealistischen Positivismus“ vor: sie ist Positivismus, indem sie mit aller Entschiedenheit und Offenheit einzig und allein im Gegebenen fusst, in den empirischen Empfindungsinhalten, und bewusst und bestimmt alles nicht etwa bezweifelt (sie ist darum auch nicht Skeptizismus), sondern direkt leugnet, was darüber hinaus noch etwa auf Grund angeblicher intellektueller oder etischer Bedürfnisse als „real“ angenommen werden mag; aber die „Philosophie des Als Ob“ ist andererseits doch Idealismus, indem sie die aus jenen intellektuellen und ethischen Bedürfnissen entstandenen „Ideen“ anerkennt und herübernimmt als nützliche, wertvolle Fiktionen der Menschheit, ohne deren „Annahme“ das menschliche Denken, Fühlen und Handeln verdorren müsste; in diesem Sinne ist sie eine „Phänomenologie“ des ideenbildenden, fingierenden Bewusstseins. In solchem „idealistischen Positivismus“ sind ja auch die beiden Richtungen vertreten, welche Kant in seinem Krizitismus vereinigen wollte. Hier treten diese aber in einer etwas anderen Kombination auf […].7↑„Weiterentwicklung des Pragmatismus“ ] Jerusalem veröffentlichte zu diesem Thema u. d. T.: Zur Weiterentwicklung des Pragmatismus. In: Deutsche Literaturzeitung 34 (1913), Heft 51, S. 3205–3226.8↑die biologische Auffassung … gedenken wollen ] vgl. Jerusalem: Zur Weiterentwicklung des Pragmatismus. In: Deutsche Literaturzeitung 34 (1913), Heft 51, S. 3205–3226, hier S. 3224.9↑der „Logos“ … gebracht hat ] die Zeitschrift Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. Unter Mitwirkung von Rudolf Eucken, Otto von Gierke, Edmund Husserl, Friedrich Meinecke, Heinrich Rickert, Georg Simmel, Ernst Troeltsch, Max Weber, Wilhelm Windelband, Heinrich Wölfflin, Jg. 1 (1910/1911) hg. v. Georg Mehlis. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), seit Jg. 3 (1912) hg. v. Richard Kroner u. Georg Mehlis, hat im fraglichen Zeitraum keine Rezension zu Vaihingers Philosophie des Als Ob veröffentlicht. Der Bericht zum 4. internationalen Kongress für Philosophie (Bologna, 5.–12. April 1911), dem Vaihinger das Werk in Abwesenheit übergeben hatte, erwähnt Vaihinger und sein Werk nicht, vgl. H., S.: Der 4. internationale Kongreß für Philosophie zu Bologna. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur 2 (1911/1912), S. 125–128.10↑bei der Redaktion … reklamieren ] ein entsprechendes Schreiben Vaihingers ist weder an die Herausgeber der Zeitschrift Logos, Richard Kroner u. Georg Mehlis, noch an einen der auf dem Titelblatt genannten Mitwirkenden ermittelt.11↑Die Aussicht … selbst mit. ] vgl. Vaihinger an Hans Prager vom 26.8.1913 sowie Jerusalem an Vaihinger vom 6.6.191313↑Daß Sie das … Käufer melden ] vgl. Jerusalem an Vaihinger vom 6.6.1913; ein Schreiben Jerusalems, in dem dieser ankündigt, das Manuskript mitbringen oder darüber für die Kant-Studien schreiben zu wollen, ist nicht ermittelt. Vor der Veröffentlichung der Mitteilung Jerusalems hatte sich bereits ein Käufer gefunden, vgl. Jerusalem: Ein Kollegienheft von Kants Vorlesungen über Logik. Vorläufige Mitteilung. In: Kant-Studien 18 (1913), S. 538–542, hier S. 541.▲