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- TitleClemens Baeumker an Vaihinger, München, 7.2.1913, 3 S., hs., Briefkopf Philosophisches Seminar | der K. Universität München | München, …, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 2 d, Nr. 2
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 2 d, Nr. 2
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Clemens Baeumker an Vaihinger, München, 7.2.1913, 3 S., hs., Briefkopf Philosophisches Seminar | der K. Universität München | München, …, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 2 d, Nr. 2
7.II.13
Sehr geehrter Herr College!
Ergänzungshefte, Vorträge und Neudrucke[1] sind gestern eingetroffen; verbindlichen Dank für das liebenswürdige Entgegenkommen der Kantgesellschaft hinsichtlich des Preises sowie für das große Geschenk, das Sie mit den[a] Bänden I–XVII der Kantstudien uns machen wollen. Ich fand so gut wie nichts vor; da sind die immerhin bescheidenen Mittel, die ich mir bei meiner Berufung[2] ausbedungen hatte, so bald erschöpft.
Ein Mitglied der Kantgesellschaft[3] hatte mein Straßburger Seminar schon an Fräulein Hellin[4], die mir | hieher gefolgt ist und demnächst mit einer Arbeit über Renouviers Entwicklung promovieren wird.[b]
Auch sonst werde ich nicht verfehlen, auf die Kantgesellschaft aufmerksam zu machen. Mit dem jetzigen Seminar ist es freilich noch trostlos. Pfändersche Phänomenologie[5] ist clou und man blickte so gut wie gar nicht über den Zaun, einen katholischen Geistlichen abgerechnet. Aber es fängt schon an, anders zu werden.
Die Nachfolgerfrage für Lipps[6] ist noch nicht erledigt. Külpe hat den offiziellen Ruf; hoffentlich macht die Universitätsverwaltung die Mittel flüssig, ohne die das zum scandalum gewordene psychologische Institut nicht arbeiten kann und die Külpe verlangen muß. |
Einen Etatsantrag auf eine dritte Professur hat unsere Fakultät schon früher gestellt. Jetzt kam die uns geschenkte pädagogische Professur[7] dazwischen; aber noch vor wenigen Wochen haben wir den Antrag einstimmig erneuert.
Die Straßburger Angelegenheit[8] ist auf einem toten Punkt. Die Hatz gegen mich beruhte in allem[c] auf den lügenhaftesten Unterstellungen, die mir seit langem vorgekommen sind. Aber ein Zeitungskrieg hätte natürlich zu nichts geführt; ich kann diesen Burschen und seinen Hintermann[9] nur verachten, die so feige aus dem Hinterhalt verleumden.
Mit kollegialem Gruß Ihr ganz ergebener
Baeumker.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
3↑Mitglied der Kantgesellschaft ] Baeumker war Gründungsmitglied der Kantgesellschaft seit 1904 (vgl. Kant-Studien 9 (1904), S. 349).4↑Fräulein Hellin ] vgl. die Liste: Neueingetretene Mitglieder für das Jahr 1910. In: Kant-Studien 51 (1910), S. 393: Fräulein M. Hellin, Wisch (Vogesen). D. i. Marguerite Hellin, Herausgeberin von: Festschrift zur V. General-Versammlung des Katholischen Frauenbundes vom 13.–17. Oktober 1912 zu Strassburg i. Els. Straßburg: Zweigverein Elsass 1912. Näheres nicht ermittelt, Dissertation unter diesem Namen nicht nachgewiesen.5↑Pfändersche Phänomenologie ] Alexander Pfänder (1870–1912), der u. a. bei Theodor Lipps studiert hatte, wurde 1908 ao. Prof. in München, 1921 in Königsberg, 1930–1935 o. Prof. in München. Seit 1913 Mitherausgeber von: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung (BEdPh).6↑Nachfolgerfrage für Lipps ] Theodor Lipps (1851–1914), seit 1894 o. Prof. in München, war seit 1909 schwer erkrankt und wurde 1912 emeritiert (BEdPh; NDB). Sein Nachfolger wurde 1914 Oswald Külpe (1862–1915).7↑geschenkte pädagogische Professur ] 1913 an der Universität München eingerichtet, als erste vollständig der Pädagogik gewidmete o. Prof., 1914 besetzt mit Friedrich Wilhelm Foerster (1869–1966; https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008230/2003-07-14/ (17.9.2024); WBIS).8↑Straßburger Angelegenheit ] im Nachgang der Berufung Baeumkers nach München wurden die Abmachungen, die das Deutsche Reich mit dem Vatikan bezüglich der Besetzung Straßburger Lehrstühle für Geschichte und Philosophie mit einem katholischen Wissenschaftler getroffen hatte, publik. Der bereits emeritierte Theobald Ziegler trat daraufhin anonym eine Pressedebatte mit der Insinuation los, bei der Berufung Baeumkers als Nachfolger Wilhelm Windelbands 1903 sei mehr die Konfession als die Qualifikation ausschlaggebend gewesen und habe die Universität sich einem konfessionellen Zwang beugen müssen. Dahinter stand immer noch die Erinnerung an den sog. Fall Spahn (vgl. Lujo Brentano an Vaihinger vom 19.6.1908). Als Herausgeber der Münchener Hochschul-Nachrichten griff im Dezember Paul Salvisberg in die Debatte ein, vgl. Hochschul-Nachrichten (Paul von Salvisberg) 13 (1912), Heft 267 = Nr. 3 von Dezember 1912, S. 85: Die Neubesetzung des zweiten philosophischen Lehrstuhls in Strassburg scheint Anlass zur Auffrischung alten Streits geben zu wollen. Allerdings unter eigenartigen Umständen: Diese Lehrkanzel hatte bislang tatsächlich ein katholischer Gelehrter, Prof. Bäumker, inne, der sie nur deshalb verliess, um die allzu lang unbesetzte Professur Hertlings in München zu übernehmen. Seine Berufung nach Straßburg kam seinerzeit in der üblichen Weise […] zustande, an dem u. A. auch Theobald Ziegler beteiligt war. Die Fakultät hatte somit damals die Berufung eines katholischen Gelehrten bewirkt, der selbstredend von Universitäts wegen auf kein bestimmtes System verpflichtet oder an dasselbe gebunden war, dessen Berufung aber immerhin […] der Besorgnis den Boden entzog, das für gewisse Bildungsbedürfnisse katholischer Studierender an der Universität kein Raum sei. […] Niemand nahm Anstoss daran, bis jetzt nach dem Weggange Bäumkers der mit Ersatzvorschlägen betrauten Fakultätskommission von der Statthalterei in ziemlich unvermittelter Weise die Auflage gemacht wird, wiederum einen Katholiken zu präsentieren. Diese nicht gerade diplomatische Mache hat selbstredend in erster Linie die Fakultät stark berührt und zu weiteren Massnahmen geführt, denen hier nicht vorgegriffen werden soll. Man scheint – vielleicht gerade mit Rücksicht auf den früheren recht unerquicklichen und durch die nachmalige Entwicklung der Dinge keineswegs gerechtfertigten Streit um die zweite Geschichtsprofessur – in weiteren und besonneneren publizistischen Kreisen solcher Zurückhaltung erfreulicher Weise ebenfalls zuzuneigen. Was natürlich nicht ausschliesst, dass Vertreter extremer Anschauungen in ihren Leibblättern frühzeitiger und voreiliger das Wort ergreifen und dass namentlich in München, wo bekanntlich auch die Bewegung gegen die Professur Spahn eingeleitet wurde, die Angelegenheit zu einem zeitlich willkommenen „Fall Hertling“ aufgebauscht werden soll. Dazu weiter Heft 268 = Nr. 4 von Januar 1913, S. 132–133: Die Strassburger Berufungsangelegenheit wird ausgerechnet in München zu einem Skandal oder zu einem academischen Panama aufzubauschen versucht. Selbstredend mit Baron Hertling als Prügelknaben. […] Hierzu Stellung zu nehmen ist Sache der in erster Linie durch diese Angelegenheit berührten Fakultät bzw. Universität. Das bleibt abzuwarten. Wenn trotzdem von gewisser Seite alles versucht und aufgeboten wird, die Universität zu alarmieren und aufzuwiegeln, so besteht für ruhiger Denkende immer noch kein Anlass, den Massnahmen dieser zumeist Interessierten vorzugreifen oder sie unstatthaft zu präjudizieren. Ebenso bedenklich wie zweifelhaft erscheint es deshalb, wenn ein offensichtlich dem Strassburger Universitäts-Lehrkörper angehörender Mitarbeiter der „Münch[ner] Neuest[en] Nachrichten“ in diesem Blatt schreibt, dass die Öffentlichkeit einen entschiedenen Protest der Universität gegen die an ihr verübte Täuschung und Vergewaltigung erwartet. […] Es kann aber als begreifliche Folgeerscheinung bezeichnet werden, dass der Anonymität dieser Hetzerei gegenüber die Frage nach ihrem Urheber laut wird […] von dem man noch nicht einmal weiss, ob er dazu auch qualifiziert ist. Er tut zwar riesig geschwollen, […] wird aber von anderer Seite öffentlich als „ein in Fachkreisen wohlbekannter verbitterter Gelehrter“ desavouiert […]. Dieser Anonymus hat die Hochschul-Nachrichten direkt angegriffen, es folgt eine Gegendarstellung von Salvisbergs. Weiter Heft 270 = Nr. 6 von März 1913, S. 293–294: Die Auseinandersetzungen über die konfessionelle Professur würden niemals den unangenehmen Charakter einer Presspolemik mit solch sensationellen Allüren angenommen haben, wenn nicht jene als ebenso zweckwidrig wie lästig empfundenen Bevormundungsversuche gewisser Amateurjournalisten eingesetzt hätten. […] Durch die Veröffentlichung des „Geheimvertrags“ [mit der Kurie] wurde übrigens eine Tatsache ersichtlich, die geeignet ist, auch diese sensationell aufgebauschte Angelegenheit in ein anderes Licht zu rücken. Aus dem Datum jenes Abkommens geht nämlich hervor, dass es zeitlich hinter die Berufung Bäumkers fällt. Letztere war aber, wie allerseits zugegeben wird, rite und ohne konfessionelle Rücksichten zustande gekommen […], dagegen hätte eine unmittelbar darauf erfolgte Veröffentlichung des Abkommens auf sie nicht nur ein falsches Licht geworfen, sondern auch für den Berufenen selbst, der gar keinen gebundenen Lehrauftrag angestrebt hat, äusserst peinlich sein müssen. Wenn aber aus diesem plausiblen Grunde die Veröffentlichung bezw. Bekanntgabe damals unterblieb, so musste sie wohl oder übel bis zum Zeitpunkte des Wegganges Bäumkers zurückgestellt werden. Weiter Heft 271 = Nr. 7 von April 1913, S. 314: Die Strassburger Berufungsangelegenheit ist nun auch im Elsass-Lothringischen Landtag verhandelt worden. […] Interessant war in der Debatte die übrigens schon anderweitig aufgestellte und unseres Wissens immer noch unwidersprochen gebliebene Behauptung, dass der Hauptrufer im Streite, Prof. Theobald Ziegler sich bei der Lehrstuhlvakanz von Windelband selbst für die Berufung eines Katholiken ausgesprochen hat. Wenn das zutrifft, so wird das Verhalten dieses viel redenden und schreibenden Herren immer unverständlicher. Vor kurzem soll er auch auf einem Burschenschafter-Kommers in Frankfurt geredet und sich dabei einen wohlbetrampelten Kathederabgang durch folgende Tirade gesichert haben: […] Dieser ganz allgemein gehaltene Hinweis auf die Strassburger Universität, „deren Professoren jetzt gezwungen werden sollen, nach konventionellen Rücksichten – – zu lehren“, involviert eine offenkundige Unwahrheit. Weiter Heft 273 = Nr. 9 von Juni 1913, S. 390–391: Die Neubesetzung von Bäumkers Lehrstuhl für Philosophie ist nun erfolgt und zwar wurde darauf der Ordinarius der Universität Freiburg Prof. Arthur Schneider berufen. Er ist ein Schüler Bäumkers […]. Er war mit Bäumker als Nachfolger Hertlings in München vorgeschlagen. Er ist Katholik und im Rufe eines hervorragenden akademischen Lehrers und Gelehrten. Damit wäre also der Universität wie dem Abkommen mit dem Vatikan genüge getan. Erstere hat übrigens in Hinsicht auf Letzteres ihre Stellung in nicht misszuverstehender Weise gewahrt […]. Sowie abschließend Heft 274 = Nr. 10 von Juli 1913, S. 464: Die Angelegenheit der Strassburger konfessionellen Professur kommt jetzt besten Falls genau auf das hinaus, was die HN […] vorgeschlagen haben […]. Deshalb hat uns damals Herr Prof. Theobald Ziegler, der wie ein publizistischer Verwandlungskünstler bald unter der Wucht seines Namens, bald pseudonym, bald anonym sich stetsfort weiter produziert, in durchaus leichtfertiger Weise Offiziosentum vorgeworfen und der Regierung die Absicht unterschoben, drei Philosophen und drei Historiker mit je einem Katholiken in die philosophische Fakultät einstellen zu wollen. Heute verlangt tatsächlich die Universität die dritte Philosophie-Professur […]. Vgl. außerdem die mit X gezeichnete lose Artikelserie zur Frage einer konfessionellen Philosophieprofessur in: Münchner Neueste Nachrichten seit Nr. 656 vom 24.12.1912 (Digitalisate erreichbar via https://www.digitale-sammlungen.de/ (18.9.2024)).9↑diesen Burschen und seinen Hintermann ] darunter wie oben dargestellt Theobald Ziegler (1846–1918), seit 1886 o. Prof. in Straßburg (Rektor 1899/1900), 1911 emeritiert (BEdPh).▲