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- TitleVaihinger an Paul Natorp, Halle, 16.10.1907, 4 S., hs., Briefkopf KANTGESELLSCHAFT. Halle a. S., d. … 190 | Reichardtstr. 15. | GESCHÄFTSFÜHRER: PROF. DR. H. VAIHINGER., Universitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1089
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1089
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Vaihinger an Paul Natorp, Halle, 16.10.1907, 4 S., hs., Briefkopf KANTGESELLSCHAFT. Halle a. S., d. … 190 | Reichardtstr. 15. | GESCHÄFTSFÜHRER: PROF. DR. H. VAIHINGER., Universitätsbibliothek Marburg, Ms. 831/1089
16.X.1907
Verehrtester Herr College!
Ich mache Ihnen die streng vertrauliche Mittheilung, daß Sie von unserer Facultät wiederum, wie im vorigen Jahre, für die erledigte Professur in Vorschlag gebracht worden sind[1]; an erster Stelle zwischen Adickes und Barth[2].
Vielleicht sind die Hindernisse, welche im Vorjahr Ihrer Berufung im Wege standen, gewichen, und vielleicht kommt diesmal der Ruf an Sie. Damit würde die Kantische Philosophie, welche vor wenigen Jahren noch durch Riehl | systematisch, und durch mich historisch vertreten war, wiederum einen Ordinarius als Vertreter hier[a] haben, was ja der Richtung nur nützen könnte. Auch den „Kantstudien“ und der „Kantgesellschaft“ würde das sehr zum Vortheil dienen.
Sollte der Ruf an Sie gelangen, so setzen Sie es hoffentlich bei dieser Gelegenheit auch durch, daß das schon ihrem Vorgänger gegebene Versprechen eines Philosophischen Seminars[3] hier zur Ausführung kommt, und hoffentlich geht man in Berlin auch auf diese Bedingung ein.
Ich hatte schon in den letzten Jahren meiner Amtirung den Plan gefaßt, auf meine Kosten ein Philo|sophisches Privatseminar einzurichten: es ist hier auch der richtige Boden dafür bei den vielen Studirenden, die wir hier haben.
Die „Kantstudien“ soll das Neue Philosoph[ische] Seminar dann sogleich erhalten! –
Zu meiner Freude erfahre ich von Dr Bauch, der im Augenblick noch in Breslau weilt, daß Sie uns eine „sehr tüchtige“ Arbeit über Kants Lehre vom inneren Sinn[4] zugewiesen haben. Ich begrüße dies sehr freudig und habe in diesem Sinne auch an Dr Bauch geschrieben, und ihn gebeten, dem betr[effenden] Verfasser möglichst weit entgegenzukommen, damit wir die schöne Arbeit wirklich zum Abdruck | bringen können, in dieser oder jener Form. Da sie nicht groß ist, nach der Mitteilung von Herrn Dr Bauch, so werden wir sie so oder so einschieben können.
Von Ihren Freunden ist neuerdings Herr Dr Johannes Paulsen unser Mitglied geworden[5].
Mit verbindlichem Gruß Ihr ergebenster
H. Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Vorschlag gebracht worden sind ] Vaihinger war 1906 wegen seiner Sehbehinderung vom Lehramt zurückgetreten, als sein Nachfolger wurde Ludwig Busse ernannt, obwohl Natorp auf dem ersten Platz der Berufungsliste gestanden hatte. Als Busse kurz nach Antritt der Professur im Herbst 1907 verstarb, wurde Natorp erneut nominiert, jedoch, nachdem Hans Cornelius (aus München, vgl. Vaihinger an Hermann Paul vom 24.9.1907 sowie an Natorp vom 5.5.1908) den Ruf nicht angenommen hatte, zu Gunsten Paul Menzers (bis dahin ao. Prof. in Marburg) abermals übergangen. Im Hintergrund standen die Verdächtigungen Natorps als ein dem Sozialismus nahestehender Hochschullehrer (vgl. Ulrich Sieg: Aufstieg und Niedergang des Marburger Neukantianismus. Die Geschichte einer philosophischen Schulgemeinschaft. Würzburg: Königshausen & Neumann 1994, S. 296) sowie Vaihinger an Natorp vom 11.8.1908.2↑Barth ] d. i. Paul Barth (1858–1922), seit 1897 ao. Prof. in Leipzig, 1918 Honorarprofessor (BEdPh).3↑Philosophischen Seminars ] in Halle 1910 gegründet, vgl. Regina Meyer: 100 Jahre Philosophisches Seminar an der Universität Halle. In: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 17 (2010), S. 140–149.4↑Kants Lehre vom inneren Sinn ] vgl. Franz Rademaker: Kants Lehre vom innern Sinn in der „Kritik der reinen Vernunft“. Berlin: Reuther & Reichard 1908 (Kant-Studien Ergänzungshefte Nr. 9), d. i. Rademakers Marburger Dissertation.5↑Mitglied geworden ] Johannes Paulsen (1884–1917), seit 1903 Student in Marburg, hatte 1907 mit einer Arbeit über: Der Begriff der Empfindung bei Fechner promoviert (vgl. Holzhey: Cohen und Natorp Bd. 2, S. 371). Mitglied der Kant-Gesellschaft seit 1908, vgl. Kant-Studien 14 (1909), S. 154.▲