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- TitleVaihinger an Dekan Gustaf Droysen, Halle, 12.8.1905, 4 S., hs., Briefkopf PROF. DR. HANS VAIHINGER. | Halle a. S., d. … 190 | Reichardtstr. 15., Beilage (2 S.): Abschrift eines Schreibens Vaihinger an Hermann Ebbinghaus vom 9.8.1905, Universitätsarchiv Halle-Wittenberg Rep. 21, Nr. 53
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- Physical LocationUniversitätsarchiv Halle-Wittenberg Rep. 21, Nr. 53
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Vaihinger an Dekan Gustaf Droysen, Halle, 12.8.1905, 4 S., hs., Briefkopf PROF. DR. HANS VAIHINGER. | Halle a. S., d. … 190 | Reichardtstr. 15., Beilage (2 S.): Abschrift eines Schreibens Vaihinger an Hermann Ebbinghaus vom 9.8.1905, Universitätsarchiv Halle-Wittenberg Rep. 21, Nr. 53
12.VIII.1905
Ew. Spectabilität
theile ich ganz ergebenst mit, daß ich verhindert bin, zur Sitzung heute Vormittag 11 Uhr persönlich zu erscheinen. Ich bitte Ew. Spectabilität daher auf diesem Wege, der Hohen Philosophischen Facultät folgende Mittheilungen[1] zu machen.
Ich habe, nachdem Kommission und Fakultät[a] Herrn Professor Ebbinghaus primo loco vorgeschlagen hatten, demselben sofort davon Kenntniß gegeben, und habe in mehreren Schreiben an ihn meine Freude darüber ausgesprochen, daß er voraussichtlich hieher kommen werde, ich habe ihm Halle und die hiesigen Verhältnisse[b] in den günstigsten Farben geschildert, um ihn zu bewegen, diesen Ruf anzunehmen; ich habe ihm einen Führer durch Halle, eine Karte von Halle, einen Wohnungsanzeiger gesendet, und ihm auf seine Anfragen, betr[effend] hiesige Verhältnisse, bereitwilligst, eingehendst Auskunft ertheilt. Ich habe ihn eingeladen, bei der Wohnungssuche nebst seiner Gattin bei mir zu wohnen – kurz, ich bin Herrn Professor Ebbinghaus mit einer Liebenswürdigkeit entgegengekommen, wie sie größer überhaupt nicht mehr gedacht werden kann. Zum Beweis dessen, lege ich drei Briefe von Professor Ebbinghaus[2] bei, um deren Rückgabe ich ersuche. |
Auf meine directe Veranlassung hin – ich hatte ihn telegraphisch direct dazu aufgefordert – ist dann Herr Professor Ebbinghaus persönlich hieher gekommen, um sich das psychophysische Institut anzusehen. Ich hatte ihn am Montag und Dienstag stundenlang in der Stadt, in der Universität und speciell im psychophysischen Institut herumgeführt, und ihn dann zu mir ins Haus zu Tisch eingeladen.
Herr Professor Ebbinghaus hat dies Alles gerne angenommen, hat während[c] der Zeit unseres Beisammenseins aber persönlich einen ganz anderen Ton angeschlagen als brieflich. Er hat über Kant, meine Beschäftigung mit Kant, über die Kantstudien überhaupt sich in einer so taktlosen und uncollegialen Weise geäußert, daß dies mich aufs Äußerste frappiren mußte; er faßte endlich seine ganz unmotivirten Ausfälle in meinem eigenen Hause in den Wunsch zusammen, der ganze Neukantianismus müßte sein baldiges Ende finden.
Daß Herr Professor Ebbinghaus einer andren Richtung huldigt, als Herr College Riehl, den er eventuell ersetzen soll, und als ich – habe ich natürlich vorher gewußt. Was ich aber nicht vorher wußte, war, daß ein College | sich so überaus uncollegial benehmen, sich so durchaus un-objektiv[d], so intolerant äußern könnte.
Unter solchen Umständen hielt ich und halte noch jetzt ein collegiales Zusammenwirken mit einem solchen Manne für ganz ausgeschlossen. Es liegt nicht im Interesse der Facultät, daß Männer, welche dasselbe Fach vertreten sollen, durch solch unerträgliche Intoleranz des Einen in dauernder Disharmonie leben. Daß ich persönlich conciliant und tolerant bin, weiß jeder, der mich kennt; aber gegen solche Intoleranz muß selbst der Geduldigste intolerant werden.
Ich habe daher Herrn Professor Ebbinghaus mitgetheilt, daß ich nach dem Vorgefallenen keine Möglichkeit einsah, mit ihm zusammenzuwirken, und ich selbst habe ihm die Mittheilung gemacht, daß ich von dem Vorgefallenen auch Herrn Geh. Ober-Reg. Rath Elster in Kenntniß setzen werde. Ich lege eine Abschrift meines Briefes an Herrn Professor Ebbinghaus bei, in welchem dieser Passus ausdrücklich steht.
Ich wußte, daß Herr Professor Ebbinghaus | mit Kollege Wilcken persönlich befreundet ist, und nahm deßhalb als selbstverständlich an, daß er ihm das Vorgefallene auch mittheilen werde. Ich habe mein Vorgehen gegen Ebbinghaus auch gar nicht als Geheimnis behandelt, und man kann daher nicht sagen, daß ich die Berufung von Ebbinghaus „hintertreiben“ wolle, da ich vielmehr ganz offen gegen dieselbe aufgetreten bin. Ich bemerke noch ausdrücklich, daß Professor Ebbinghaus noch keineswegs zur Annahme des Rufs entschieden war, sondern im Gegenteil dazu zu neigen schien, denselben wegen der Kleinheit des psychophysischen Instituts abzulehnen.
Ew. Spectabilität ganz ergebenster
Vaihinger |
Abschrift[e] des Briefes an Professor Ebbinghaus
Halle a. S. 9. Aug[ust] 1905
Geehrter Herr College!
Sie haben während Ihrer kurzen Anwesenheit hier über Kant und das Kantstudium verschiedentliche despectirliche Äußerungen gethan, und diese Ausfälle gestern in meinem Hause in den Wunsch zusammengefaßt, der ganze Neukantianismus möge sein baldiges Ende finden – der Neukantianismus, dem nicht nur Riehl, sondern auch ich selbst – wenn auch beide in verschiedenen Nuancen – angehören. Sie haben mich dadurch revelatorisch in so beleidigender Weise brüskirt, daß Sie mir ein gedeihliches Zusammenwirken mit Ihnen unmöglich gemacht haben, um so mehr, als ich annehmen muß, daß Sie diese schroffe Stellung später noch steigern werden. |
Auch haben Sie den Eintritt in den Verwaltungsausschuß der Kantgesellschaft, welche durch Ministerialerlaß der hiesigen Universität angegliedert ist, und in welchem statutengemäß[3] die Beteiligung aller Ordinarien der Philosophie vorgesehen ist, in unzweideutiger Weise abgelehnt. Auch nach dieser Seite hin haben Sie ein Zusammenwirken ausgeschlossen[f], obgleich Ihnen dies ja durchaus kein Opfer an Überzeugung auferlegt hätte.
Da Sie nun andrerseits constatirt haben, daß das hiesige psychophysische Institut kaum für Demonstrationszwecke, geschweige für Forschungszwecke hinreichend ist, und somit Ihren Bedürfnissen nicht genügt, so wird Ihnen der Verzicht auf Halle nicht schwer fallen.
Ich sehe wenigstens nach dem Vorgefallenen keine Möglichkeit mehr, mit Ihnen hier zusammenzuwirken, und habe dies auch in einem Brief an Herrn Geh. Ob Reg. Rat Elster ausgesprochen, und ihn gebeten, möglichst in Breslau selbst Ihre eventuellen Wünsche zu befriedigen.
Weitere persönliche Verhandlungen mit Ihnen muß ich ablehnen, nachdem Sie mir in so schroffer Weise entgegengetreten sind
Hochachtend
Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑folgende Mittheilungen ] im Kontext der Berufung zur Nachfolge von Alois Riehl. Der Auftrag zur Unterbreitung von Vorschlägen war am 19.7.1905 durch den Kurator an die Philosophische Fakultät ergangen. Die früheren Vorschläge für Hermann Ebbinghaus und Oswald Külpe wurden wiederholt, an dritter Stelle stand Edmund Husserl. Am 9.8.1905 teilten Carl Robert und Ulrich Wilcken dem Dekan Gustaf Droysen mit, dass Vaihinger die Berufung von Ebbinghaus hintertreiben wolle. Sie beantragen, eine Fakultätssitzung einzuberufen, um gegen das Vorgehen Vaihingers beim vorgesetzten Ministerium Verwahrung einzulegen.2↑drei Briefe von Professor Ebbinghaus ] nicht überliefert; die Schreiben Vaihingers an Ebbinghaus finden sich mit Regesten in: Findbuch Ebbinghaus, Adolf-Würth-Zentrum für Geschichte der Psychologie der Universität Würzburg, https://www.uni-wuerzburg.de/fileadmin/42050000/Findbuecher/Findingaid_Hermann_Ebbinghaus2014.pdf (29.8.2024); dort auch Schreiben Dritter, die Vaihingers schließliche Agitation gegen Ebbinghaus als künftigen Kollegen dokumentieren.3↑statutengemäß ] vgl. die Satzungen der Kantgesellschaft vom 22.4.1904 in der vorliegenden Edition, Abschnitt Dokumente zu Leben und Werk.▲