Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Wilhelm Wundt, Alexandersbad, 14.8.1902, 4 S. hs. (von anderer Hd., mit eU), Universitätsbibliothek Leipzig, https://collections.uni-leipzig.de/item/UBLNachlassWundt_mods_00002402
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- Physical LocationUniversitätsbibliothek Leipzig
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Vaihinger an Wilhelm Wundt, Alexandersbad, 14.8.1902, 4 S. hs. (von anderer Hd., mit eU), Universitätsbibliothek Leipzig, https://collections.uni-leipzig.de/item/UBLNachlassWundt_mods_00002402
Hochzuverehrender Herr Geheimer Hofrat!
Unter den vielen, welche Ihnen zum 15. August[1] ihre Verehrung und Dankbarkeit ausdrücken, möchte ich nicht fehlen. Wenn mir auch Ihr eigentliches Arbeitsgebiet, die physiologische Psychologie ferner steht, so weiss ich doch sehr wohl zu würdigen, welche ausserordentliche, ja unsterbliche Verdienste Sie Sich um dieselbe erworben haben. Nicht minder hoch schätze ich Ihre Logik, Ethik u. Metaphysik, insbes[ondere] der ersteren verdanke ich viel, um so mehr, als ich dem Vortrag derselben im Winter 1875/1876 | als Ihr Zuhörer[2] folgen durfte. Sie haben mir seitdem auch soviel Zeichen persönlichen Wohlwollens[3] gegeben, dass ich es als eine angenehme Pflicht empfinde, Ihnen zu diesem Tage meine herzlichsten Wünsche auszusprechen.
Wenn ich dies durch eine fremde Hand thue, so geschieht es nur notgedrungen, da ich durch eine Gefässhautentzündung (Chorioditis) genötigt bin, meine Augen zu schonen. Wie ich zufällig durch Heinze[4] erfahre, haben Sie auch einmal an diesem Übel gelitten. Wie er mir sagt, haben Sie sehr lange eine dunkle Brille tragen müssen, und haben auch einige Wochen lang im Dunkelzimmer verbringen müssen. Wie ich befürchte, steht mir letzteres auch bevor; ich glaube | aber, dass man sich diesen Dunkelarrest wohl dadurch leidlich erträglich machen kann, dass man sich hinter einem Vorhang vorlesen lässt; wenigstens habe ich mir dieses als Auskunftsmittel ausgedacht. Sie haben Sich ja wohl auch sehr viel und sehr lange müssen vorlesen lassen, auch haben Sie ja wohl zur Erleichterung des Schreibens Sich eine Schreibmaschine angeschafft. Ich wäre Ihnen ausserordentlich verbunden, wenn Sie die überaus grosse Güte haben wollten, mir mitzuteilen, welches System Sie hierbei erprobt gefunden haben, da ich mir auch eine solche Schreibmaschine werde beilegen müssen. Vielleicht geben Sie mir sonst noch einige nützliche Winke über Ihre Erfahrungen, die Sie bei diesem Leiden gemacht haben. | Diese würden mir zu willkommner[a] Ergänzung dessen dienen, was mir Prof. Schmidt-Rimpler[5] über das Leiden gesagt hat. Soviel weiss ich schon, dass sehr viel Geduld notwendig ist.
Ich wiederhole meine herzlichen Glückwünsche, und spreche den besonderen Wunsch aus, es möchten Ihnen noch viele, viele Jahre vergönnt sein, in unverminderter Kraft und in ungebrochener Frische zum Heile der Wissenschaft zu wirken.
In herzlicher Verehrung Ihr aufrichtig ergebenster
H. Vaihinger
14.VIII.02
z[ur] Z[eit] Alexandersbad im Fichtelgebirge[b]
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Ihr Zuhörer ] von Wundts erster Vorlesung in Leipzig: Logik und Methodenlehre, mit besonderer Rücksicht auf die Methoden der Naturforschung (https://histvv.uni-leipzig.de/dozenten/wundt_w.html (28.8.2024)). – Vaihinger war seit 1874 eingeschrieben, vgl. den Leipziger Matrikeleintrag Nr. 1739 vom 30.10.1874 über Karl Eugen Hans Vaihinger, Dr.: Studienfach Philosophie, zuvor in Tübingen, gebürtig aus Nehren, Alter 22 Jahre, evangelisch. Wohnung: Dorotheenstr. 8, II (Die Matrikel der Universität Leipzig Teilband 3. Die Jahre 1863 bis 1876. Hg. v. Jens Blecher u. Gerald Wiemers. Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften 2008, S. 389–390). – Vgl. ferner Vaihinger: Wie die Philosophie des Als Ob entstand. In: Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen Bd. 2. Mit einer Einführung hg. v. Raymund Schmidt. Leipzig: Felix Meiner 1921, S. 190: Im Herbst 1875 kam Wundt nach Leipzig. Seine erste Vorlesung war über Logik und ich hörte sie mit großem Interesse und Nutzen. Seine Art sagte mir in jeder Hinsicht zu. Gerne wäre ich um seinetwillen in Leipzig geblieben, ich faßte schon den Plan einer „Zeitschrift für reine und angewandte Logik“, für die ich sein Interesse zu gewinnen Aussicht hatte. Aber Familienverhältnisse riefen mich nach Süddeutschland zurück. Für den Norden wurde mir nur noch ein Semester vergönnt und dies für Berlin, wo der Schwabe Eduard Zeller wirkte.3↑Zeichen persönlichen Wohlwollens ] vgl. Wundt an Vaihinger vom 20.6.1882 und 30.10.1892. Eine rückhaltlose Befürwortung Vaihingers durch Wundt ist allerdings nicht vorauszusetzen, vgl. z. B. Wundt an Vaihinger vom 1.8.1918 und Wundt an Ernst Meumann vom 19.7.1899, u. a. mit Karrieretipps, von Zürich fortzukommen: Wenn Sie also auf meinen dringenden Rath etwas geben, so lassen Sie es mit der Besprechung meines Systems – sei es für Vaihinger, sei es für eine andere Zeitschrift – ganz sein. Mit dem Feldzug gegen die Neukantianer eilt es nicht, und jedenfalls ist es in diesem Augenblick für Sie ganz inopportun, ihn zu unternehmen. Schreiben Sie also Vaihinger einfach ab, um der Quälerei ein Ende zu machen. […] und die Neukantianer lassen Sie vorläufig ganz in Ruhe! Scholastik muß es nun einmal in der Welt geben und Sie werden sie nicht wegschaffen, so wenig wie ich es vermag (https://collections.uni-leipzig.de/item/UBLNachlassWundt_mods_00000955 (28.8.2024), S. 1–2 u. 4; mit Transkription).5↑Schmidt-Rimpler ] Hermann Schmidt-Rimpler (1838–1915), Augenchirurg, seit 1901 o. Prof. in Halle und Leiter der ophtalmologischen Klinik (https://www.catalogus-professorum-halensis.de/schmidtrimplerhermann.html (28.8.2024)).▲