Bibliographic Metadata
- TitleHeinrich Rickert an Vaihinger, Freiburg (Breisgau), 21.8.1899, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 l, Nr. 5
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 l, Nr. 5
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Heinrich Rickert an Vaihinger, Freiburg (Breisgau), 21.8.1899, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXIII, 3 l, Nr. 5
Freiburg i. Br.
21 August 99.
Sehr geehrter Herr Kollege!
Fürchten Sie nicht, daß ich Ihre Ferienruhe mit einer redaktionellen Angelegenheit störe. Ich will Ihnen nur meinen verbindlichsten Dank für Ihre freundliche Zusendung[1] aussprechen. Es hat mich sehr interessirt, einige neue Schriften über Fichte kennenzulernen, und auch die Originalausgaben der mir natürlich bekannten Sachen von Jacobi und J[ean] Paul waren mir sehr willkommen. Den Schad[2] besitze ich ebenfalls, ich hatte ihn auf meinem Verzeichnis[3] vergessen. |
Mit Ihrer gütigen Erlaubnis werde ich die Bücher noch einige Zeit behalten, um mir in Ruhe verschiedenes zu notieren. Bei der Rücksendung schicke ich Ihnen dann auch die zweite Schrift des „wahrheitsliebenden Schulmeisters“ mit, die Sie nicht haben. Das Interessanteste daran ist der „des Herrn Prof. Fichte’s Ideen über Gott und Unsterblichkeit nach einem Kollegienhefte herausgegeben“ betitelte Theil.
Mein Manuscript über den „Atheismus“ habe ich an die Verlagsbuchhandlung abgeschickt und auch Herrn Dr. Medicus benachrichtigt, daß ich die Ferien über hier bleibe. Hoffentlich stört Sie meine sehr entschiedene Stellungnahme gegen Paulsen[4] nicht. Ich finde in seinem „Kant“ eine Auffassung, deren Weiterverbreitung ich lebhaft bedauern würde, und die um so ge|fährlicher ist, als sie mit einem so ungewöhnlichen Geschick vertreten ist. Werden die Kantstudien zu diesem Buche nicht einmal Stellung nehmen?[a] Die bisher erschienene Besprechung[5] war doch ein bischen zu – na sagen wir – harmlos. Doch verzeihen Sie diese Kritik.
Sollten Sie einmal eine Fichte-Schrift in Ihrer Zeitschrift besprochen wünschen, so würde ich das gerne übernehmen. Wahrscheinlich werde ich den wiederholten Wünschen des Verlegers Hauff[6], einen Fichte für ihn zu schreiben, nachgeben, obwohl ich eigentlich gar kein Historiker bin, und da muß ich ja doch alles lesen was eventuell über Fichte erscheint.
Mit kollegialem Gruß Ihr sehr ergebener
Heinrich Rickert.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Ihre freundliche Zusendung ] dem Zusammenhang und den folgenden Schreiben nach von Schriften von und über Fichte (vgl. Rickert an Vaihinger vom 30.7.1899); etwaiger Begleitbrief Vaihingers nicht überliefert.2↑Den Schad ] vgl. Johann Baptist Schad: Gemeinfaßliche Darstellung des Fichteschen Systems und der daraus hervorgehenden Religionstheorie. 2 Bde. Erfurt: Henning 1800–1802.3↑meinem Verzeichnis ] gemeint ist eine Auflistung der Rickert’schen Sammlung zum Atheismusstreit, vgl. Rickert an Vaihinger vom 30.7.1899.4↑entschiedene Stellungnahme gegen Paulsen ] vgl. Rickert: Fichtes Atheismusstreit und die Kantische Philosophie. Eine Säkularbetrachtung. In: Kant-Studien 4 ([1899]/1900), S. 148, Anm. 1: Es liegt nicht in meiner Absicht, auf diese Theorien [einer pragmatistischen Religionsphilosophie] näher einzugehen und sie in jeder Hinsicht zu würdigen. Als ihre Vertreter nenne ich Paulsen in Deutschland und James in Amerika. Paulsen erklärt ausdrücklich, in dieser Frage mit Kant übereinzustimmen. James liegt solche Beziehung wohl femer, aber er wird von Paulsen in eine Reihe nicht nur mit Kant, sondern auch mit Fichte (!) gestellt. Um meine Auseinandersetzung an faktisch vorliegende Aussprüche anzuknüpfen, habe ich mich im folgenden ausdrücklich auf einige Sätze von Paulsen und James bezogen, und ich möchte nur noch bemerken, daß ich lediglich deswegen so entschieden gegen Paulsen Stellung nehme, weil ich die Bedeutung seiner Ansichten wegen des großen pädagogischen Geschickes, mit denen er sie vertritt, und wegen des erheblichen Einflusses, den sie ausüben, wohl zu schätzen weiß. – Die Opposition Windelbands gegen Paulsens Kant (Frommanns Klassiker) ist dokumentiert in Windelband an Ludwig Friedländer vom 24.12.1899 und an Rickert vom 13.1.1900 (Bohr/Hartung: Forschungsgrundlagen Wilhelm Windelband (2020), S. 304–306).5↑bisher erschienene Besprechung ] vgl. Paul Barth: Paulsen, Fr. Immanuel Kant, sein Leben und seine Lehre. Mit Bildnis und einem Briefe Kants aus dem Jahre 1792. (Frommanns Klassiker der Philosophie, herausg. von R. Falckenberg VII). XII und 395 S. In: Kant-Studien 3 (1899), S. 223–234. Eine weitere Auseinandersetzung in Kant-Studien erschien nicht. Vgl. Vaihingers Rezension in englischer Sprache: Immanuel Kant, Sein Leben und seine Lehre. Von Friedrich Paulsen. Mit Bildnis und einem Briefe Kants aus den Jahren 1792, Stuttgart, Fr. Frommann’s Verlag, 1898 – pp. XII, 396. In: The Philosophical Review 8 (1899), Nr. 3 von Mai, S. 300–305. Der Schlussabsatz lautet: Paulsen’s book presents, further, a great many interesting points of view, a wealth of suggestion, an array of happy turns of thought and striking ideas. I should be glad to go into the details of various features of the book, but the space allotted me forbids it. Especially I should like to examine the reviews of Paulsen’s book by Adickes and Barth, the former published in the Deutsche Litteraturzeitung (1898, No. 291), and the latter in the Kantstudien (Bd. iii, Heft i and ii), in both of which, fundamental questions in the interpretation of Kantian philosophy are considered. I shall find, however, in Vol. III of my Commentar zu Kant’s Kr. d. r. V. [ist nicht erschienen] opportunity to go into these questions, whose solutions have been in certain instances much advanced by Paulsen, who possesses the rare art of combining popular statement with scientific investigation. His new book is a masterpiece, on which we congratulate him, and yet we have greater reason to congratulate ourselves on the acquisition of such an excellent exposition of Kant.6↑Verlegers Hauff ] Emil Hauff, Inhaber des Verlages F. Frommann, Stuttgart (Reinhard Würffel: Lexikon deutscher Verlage. Berlin: Grotesk 2000, S. 261). Rickert verfaßte keine Fichte-Monographie, vgl. Rickert an Vaihinger vom 4.8.1898.▲