Bibliographic Metadata
- TitleKarl Joël an Vaihinger, Basel, 15.5.1898, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 4 d, Nr. 1
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 4 d, Nr. 1
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Karl Joël an Vaihinger, Basel, 15.5.1898, 4 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 4 d, Nr. 1
Basel. d. 15.5.98
Sehr verehrter Herr Professor!
Ihr freundliches und ehrendes Schreiben[1] beantworte ich herzlichst dankend sogleich, um Sie nicht durch Zögerung in Verlegenheit zu bringen. Ich bitte Sie nun dringend aus dem Folgenden nicht nur das Nein herauszuhören. Wie ich über die „Kantstudien“ denke, habe ich vor ca.[a] 2 Jahren in einer Begrüßung der 1. Nr. in der Wiener „Zeit“[2] gesagt – soviel ich mich entsinne 1½ Spalten (mit 2 versteckten Druckfehlern) unter den Initialen K. J. – und ich glaube, Sie werden wenig wärmere Verehrer und Freunde für Ihre Bestrebungen finden. Doch ist es | mir ganz unmöglich die gewünschte Recension[3] in den nächsten Wochen zu liefern und ich muß Sie bitten einen Ersatzmann zu suchen. Ich schrieb es Prof. Paulsen[4] selbst, dem ich für die Übersendung[b] des Buches[5] dankte, daß ich z. Z. nur zu Einblicken, nicht zur wirklichen Lektüre kommen kann. Zudem fordert die Besprechung dieses Buches in dieser Zeitschrift einen Spezialisten oder mindestens mehr Rüstzeug als ich jetzt mir beschaffen kann, wenn ich auch meinen Kant seit den Primanerjahren gepflegt habe. Aber selbst wenn es mit 5–6 Tagen geschehen wäre, müßte ich verzichten. Pfingstferien giebts hier wegen des frühen Sommerschlusses nicht. Am „3. Feiertag“ lesen bereits die Fleißigen, | am Mittwoch die Faulen. Neben 3 Collegien[c] und der Herausgabe von [F.] Dümmlers[6] kl[einen] Schriften[7] liegt mir die Fortsetzung des „Sokrates“[8] wie ein Alb[d] auf, von dem ich mich befreien muß und zwar bis zum Herbst. Ich bin es[e] nicht nur mir selbst schuldig, sondern auch z. B. dem Verleger und der Fakultät. Bei meiner Beförderung vor 1½ Jahren war mitbestimmend das Erscheinen des II. Bandes, von dem bereits Correkturen vorlagen. Heute ist er noch nicht erschienen, da ich den Druck über ein Jahr lang sistieren mußte namentlich infolge eines Lehrauftrags und des Zwanges für den Bericht im[f] Archiv f[ür] Gesch[ichte] d[er] Philos[ophie][9] 70 Arbeiten über die Stoa zu lesen. Ich habe es[g] mir nun seit einigen Monat[h] zum Prinzip gemacht auch die ehrenvollsten Aufforderungen abzulehnen, bis diese Arbeit abgeschlossen ist. Ich habe dem | „Archiv“ und der „Deutschen Literaturzeitung[i]“ bereits zur Recension übernommene Bücher zurückgeschickt, bin[j] mit andern gegenüber[k] Falckenberg[10] und der „Wochenschr[ift] f[ür] class[ische] Philol[ogie]“ seit Jahr und Tag im Rückstande, habe neue Aufforderungen dieser Zeitschrift, der Wiener „Zeit“ und erst vor einigen Tagen wieder der Stuttgarter „Wahrheit“[11] d. h. dem Verleger von Paulsens Kant abgelehnt – alles mit der Begründung, daß ich für die nächsten Monate durch eine größere Aufgabe gefesselt bin, und ich kann hier nicht wortbrüchig werden. Sie sehn in mir einen Menschen, dens[l] Recensieren[m] schon Jahre seines Lebens gekostet hat[n]. Ich bin jetzt 34 Jahre und habe noch kaum ein Wort von dem aussprechen können, was mich zur Philosophie trieb. In meiner Notlage und mit schwerem Herzen (zumal ich Paulsen sehr schätze) muß ich auf diese augenblickliche Leistung verzichten, aber auf die mir freundlichst[o] angetragene Mitarbeiterschaft verzichte ich nicht und hoffe sie in nicht zu langer Zeit zu bethätigen. Den Herren Prof. Groos und Heman[12] werde ich Ihre Empfehlungen bestellen. Mit nochmaligem Dank für die freundliche[p] Aufforderung und den besten Empfehlungen für Ihre verehrte Frau Gemahlin verbleibe ich Ihr Sie hochschätzender
Karl Joël
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Begrüßung … „Zeit“ ] vgl. Joël: Kantstudien. In: Die Zeit, Nr. 100 vom 29.8.1896, S. 136–137. Der Artikel ist unter dem ausgeschriebenen Namen Karl Joël veröffentlicht.3↑die gewünschte Recension ] meint nach dem Zusammenhang eine Rezension zu Paulsen: Immanuel Kant. Sein Leben und seine Lehre. Mit einem Bildnis und einem Briefe Kants aus dem Jahre 1792 (Frommann’s Klassiker der Philosophie, hg. v. R. Falckenberg). Stuttgart: Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) 1898. Die Rezension übernahm Paul Barth, vgl. Kant-Studien 3 (1898/1899), S. 223–234 sowie Barth an Vaihinger vom 6.11.1898.4↑Ich schrieb es Prof. Paulsen ] es ist kein Briefwechsel zwischen Friedrich Paulsen und Joël ermittelt.5↑des Buches ] meint nach dem Zusammenhang Paulsen: Immanuel Kant. Sein Leben und seine Lehre. Mit einem Bildnis und einem Briefe Kants aus dem Jahre 1792 (Frommann’s Klassiker der Philosophie, hg. v. R. Falckenberg). Stuttgart: Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) 1898.6↑Dümmlers ] Ferdinand Dümmler (1858–1896), Philologe, Archäologe, Sohn von Ernst Dümmler, 1882 Promotion in Bonn, 1887 PD in Gießen, 1890 o. Prof. in Basel (ADB).7↑Dümmlers kl. Schriften ] vgl. Dümmler, Ferdinand: Kleine Schriften, Bd. 1. Zur griechischen Philosophie. Hg. v. Karl Joël. Leipzig: S. Hirzel 1901.8↑Fortsetzung des „Sokrates“ ] vgl. Joël: Der echte und der Xenophontische Sokrates. Bd. 1. Berlin: R. Gaertners Verlagsbuchhandlung 1893 (Digitalisat: https://archive.org/details/derechteundderxe01jouoft/ (27.11.2023)); Bd. 2, 1. Hälfte. Berlin: R. Gaertners Verlagsbuchhandlung 1901 (Digitalisat: https://archive.org/details/derechteundderxe02jouoft/ (27.11.2023)); Bd. 2, 2. Hälfte (Schluss des Werkes). Berlin: R. Gaertners Verlagsbuchhandlung 1901 (Digitalisat: https://archive.org/details/pt02derechteundderxe02jouoft/ (27.11.2023)).9↑Bericht im Archiv f. Gesch. d. Philos. ] vgl. Joël, Karl: Bericht über die deutsche Literatur zur nacharistotelischen Philosophie. 1891–1896. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 10 (1897), S. 539–556, fortgesetzt unter demselben Titel in: Archiv für Geschichte der Philosophie 11 (1898), S. 281–309.10↑Falckenberg ] Richard Falckenberg (1851–1920) war ab 1885 mit August Krohn, seit 1889 allein Hg. der Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik.11↑Stuttgarter „Wahrheit“ ] die Zeitschrift Die Wahrheit. Halbmonatsschrift zur Vertiefung in die Fragen und Aufgaben des Menschenlebens war bis zur Einstellung im September 1897 im Verlag Fr. Frommanns (E. Hauff) erschienen, in dessen von R. Falckenberg herausgegebener Reihe Frommann’s Klassiker der Philosophie auch Paulsens Immanuel Kant. Sein Leben und seine Lehre (Stuttgart 1898) erschienen war. Der Verleger Emil Hauff (†1927, 1886–1919 Inhaber des Frommann-Verlags; Würffel, Reinhard: Lexikon Deutscher Verlage von A–Z. Berlin: Grotesk 2000, S. 260–262) hatte im letzten Heft in Aussicht gestellt, sich möglicherweise: in nicht zu ferner Zeit einem neuen, ähnlichen Unternehmen zuzuwenden. (Schrempf, Christian / Hauff, Emil: Abschied vom Leser. In: Die Wahrheit 8 (1897), zweites Septemberheft, S. 370–372, hier S. 372). Ein etwaiges neues Periodikum aus dem Verlag Fr. Frommann (E. Hauff) mit Bezug zur Halbmonatsschrift Die Wahrheit im fraglichen Zeitraum ist nicht ermittelt.12↑Heman ] Johann Friedrich Carl Gottlob Heman (1839–1919), 1888 Prof. für Philosophie und Pädagogik in Basel (NDB, Eisler: Philosophen-Lexikon. Berlin: Mittler und Sohn 1912, S. 250: http://www.zeno.org/Eisler-1912/A/Heman,+C.+F. (28.11.2023)).▲