Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Friedrich Jodl, Halle, 9.1.1898, 4 S., hs., Briefkopf Redaction der „Kantstudien“ | (Verlag von L. Voss, Hamburg) | Prof. Dr. Vaihinger. | HALLE a. S., den 189 | Reichardtstr. 15., Wienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-133503
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- Physical LocationWienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-133503
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Vaihinger an Friedrich Jodl, Halle, 9.1.1898, 4 S., hs., Briefkopf Redaction der „Kantstudien“ | (Verlag von L. Voss, Hamburg) | Prof. Dr. Vaihinger. | HALLE a. S., den 189 | Reichardtstr. 15., Wienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-133503
9.I.1898
Verehrter Herr College!
Von Ihrem freundlichen Anerbieten[1], Ihre Darstellung des Neukantianismus in Frankreich mir für die Kant Studien[2] zu überlassen[a], mache ich sehr gerne Gebrauch. Nur möchte ich, da Sie selbst im Augenblick mit Andrem sehr beschäftigt sind, Ihnen die Revision gerade jetzt nicht zumuthen, zumal ich auch für die nächsten Hefte noch mit Material versehen bin. Aber ich werde in nicht allzuferner Zeit auf Ihre gütige Erlaubniß | zurückgreifen und Sie dann um Übersendung ersuchen. Einem Redacteur geht es ja wie dem Platonischen Eros: er handelt zwischen Πόρος und Πενία[3] hin und her; Redacteur spielen erregt daher auch einen Gefühlszustand, welcher zu jenen gemischten Gefühlen gehört, über deren Natur die Psychologen sich schon so viel herumgestritten haben.
Aber ich werde mit um so größerer Freude auf Ihren Aufsatz reflectiren, als einmal Ihr Name den „Kantstudien“ zur größten Ehre gereicht, und als sodann das Thema bis jetzt in Deutschland fast unbekannt ist. |
Meine neuerlichen Nachrichten[4] ergänze ich noch dahin, daß B. Erdmann erst angenommen hat, nachdem nachträglich die ganze Bonner Facultät sich mit seiner Berufung einverstanden erklärt hat. Er hat sich natürlich sehr schwer entschlossen, anzunehmen, da er hier einen viel viel größeren Zuhörerkreis hat, als er ihn dort je bekommen wird (hier sind eben 500 prot[estantische] Theologen, dort nur 80) aber die Regirung hat ihm sehr glänzende Bedingungen gestellt (über 9000 M Gehalt, und dazu die Garantie für eine gewisse Höhe von Colleggeld; wie ich vermuthe, ist ihm auch die spes succendi in Berlin in ein jus[b][5] verwandelt worden). Der letzte | Grund der auffallenden Transaction liegt nicht nur in dem Bestreben, das an Riehl seinerzeit gegebene Versprechen einzulösen, sondern auch in dem Verlangen, bei der baldbevorstehenden Ankunft der 2 ältesten kaiserlichen Prinzen auf der Bonner Akademie[6] einen tüchtigen Docenten der Philosophie zu besitzen.
Unsere Facultät wird nächstens zusammentreten und wohl ohne Zweifel Riehl I loco vorschlagen.
Mit collegialem Gruß Ihr
H. Vaihinger.
Es wird Sie interessiren, zu erfahren, daß ich im Herbst 96 vom Münchener Congress[7] aus Frau v. Belli in Walchensee[8] besuchte.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
5↑spes succendi … jus ] lat., im juristischen Sprachgebrauch: die Hoffnung auf Nachfolge (jus: das Recht).6↑2 ältesten kaiserlichen Prinzen auf der Bonner Akademie ] an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn studierten folgende Söhne Wilhelm II.: Wilhelm von Preußen (1882–1951, in Bonn 1901–1903), Eitel Friedrich von Preußen (1883–1942, in Bonn 1902–1904), August Wilhelm von Preußen (1887–1949, in Bonn 1906–1908) und Oskar von Preußen (1888–1958, in Bonn 1907–1909); vgl. Biografisches Corpsalbum der Borussia zu Bonn 1821–1928. Im Auftrage der Borussia von Gustav Gotthilf Winkel, [Bonn:] Selbstverlag 1928 (https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:5:1-14326 (23.8.2024)), Nr. 857, 876, 898 u. 911.7↑Münchener Congress ] vgl. den Bericht: Dritter Internationaler Congress für Psychologie in München vom 4. bis 7. August 1896. München: Lehmann 1897; darin ist Vaihinger auf S. XL als Teilnehmer aufgeführt.8↑Frau v. Belli in Walchensee ] die Rede ist von Friederike von Belli di Pino (1841–1922), seit 1869 Witwe des Gutsbesitzers Karl von Belli di Pino (vgl. Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Freiherrlichen Häuser 24 (1874), S. 14), Vorstandsmitglied der 1894 gegründeten Münchener Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau (seit 1899: Verein für Fraueninteressen, vgl. Ingvild Richardsen: Die bürgerliche Frauenbewegung in München und Bayern und ihre Schriftstellerinnen. https://www.literaturportal-bayern.de/themen?task=lpbtheme.default&id=1187; 13.5.2022). Friederike von Belli di Pino lebte u. a. in Urfeld am Walchensee, ab ca. 1905 in einem eigens für sie errichteten Haus (vgl. Horst Karl Marschall: Friedrich von Thiersch. Ein Münchner Architekt des Späthistorismus 1852–1921. München: Prestel 1982, S. 353). Bei Margarete Jodl: Friedrich Jodl. Sein Leben und Wirken. Dargestellt nach Tagebüchern und Briefen. Stuttgart: Cotta 1920 ist S. 65 die Rede von philosophischen Vorträgen, die Jodl für einen Frauenkreis hielt, den die geistig sehr bewegliche und in der Münchner musikalischen und schöngeistigen Gesellschaft bekannte Frau, Friedericke [!] von Belli de Pino, gebildet hatte. Wie für die ernsten und wichtigen Lebensinteressen, war Huber auch dabei die treibende Kraft gewesen.▲