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- TitlePaul Carus an Vaihinger, La Salle (Ill.), 16.1.1896, 3 S., hs., Briefkopf THE | OPEN COURT PUBLISHING COMPANY, | 324 DEARBORN STREET, | ROOM 770 MONON BUILDING. | E. C. HEGELER, PRESIDENT | DR. PAUL CARUS, EDITOR | [im eingerahmten Kasten links oben] THE MONIST. (Quarterly.) | Yearly Subscription, $2.00. | Single Copies, 50 Cents. | THE OPEN COURT. (Weekly.) | Yearly Subscription, $2.00. | Single Copies, 5 Cents. | [unter dem Kasten] Adress editorial communications to La Salle, Illinois. | Business correspondence and remittance to Post Office Drawer F, Chicago. | Chicago, … 189, Wasserzeichen heraldische Lilie mit Umschrift FRENCH LINEN, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 f, Nr. 1
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 f, Nr. 1
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Paul Carus an Vaihinger, La Salle (Ill.), 16.1.1896, 3 S., hs., Briefkopf THE | OPEN COURT PUBLISHING COMPANY, | 324 DEARBORN STREET, | ROOM 770 MONON BUILDING. | E. C. HEGELER, PRESIDENT | DR. PAUL CARUS, EDITOR | [im eingerahmten Kasten links oben] THE MONIST. (Quarterly.) | Yearly Subscription, $2.00. | Single Copies, 50 Cents. | THE OPEN COURT. (Weekly.) | Yearly Subscription, $2.00. | Single Copies, 5 Cents. | [unter dem Kasten] Adress editorial communications to La Salle, Illinois. | Business correspondence and remittance to Post Office Drawer F, Chicago. | Chicago, … 189, Wasserzeichen heraldische Lilie mit Umschrift FRENCH LINEN, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 f, Nr. 1
16. Januar 1896
Herrn Prof. Dr. Vaihinger
Universität zu Halle a/S.
Germany.
Sehr verehrter Herr Professor:
Es freut mich sehr, daß unser Altmeister der Philosophie Kant nun auch, ebenso wie Goethe[1], ein würdiges literarisches Denkmal in den Kantstudien finden soll, u. ich kenne niemanden in beiden Hemisphären, der fähiger wäre das Werk zu unternehmen wie Sie, der Sie mit bewunderungswürdigem Fleiß u. treuer Hingabe schon so viel werthvolle Beiträge zu unserem Verständnisse des großen Denkers geliefert haben. Es ist mir auch lieb zu wissen, daß Sie in J. E. Creighton einen amerikanischen Mitarbeiter gewonnen haben, wiewohl ich Sie vorher warne nicht zu viel von Cornell[a] University zu erwarten. Der Präsident der Cornell[b]-University in Ithaca N. Y., Prof. Schurman[c] treibt auch Kant-Studien – aber wie! | Seiner[d] Überzeugung nach ist es „schwierig die Abfassung der Critik der r[einen] V[ernunft] zu rechtfertigen“, denn dieselbe ist „nicht nur obsolet sondern auch unverständlich“ (Cf. Philosophical Review March 93[2]). Daher das ganze Werk[e] nur „verständlich wird, wenn wir mit den Irrthümern des deutschen[f] Rationalismus vertraut sind“: Somit ist Kant’s Arbeit „in large part superfluous[g] and irrelevant.“
Ich sende Ihnen mein Schriftchen Primer of Philosophy[3], woselbst Schurman[h] auf S. 74–75 citirt u. zurückgewiesen wird. Hoffentlich ist Creighton verständiger.
Sie dürfen aber nicht meinen, weil verschiedene derer, die berufen sind ein Verständniß für wahre Philosophie zu haben, sich in eitlen ontologischen u. theologischen Speculationen ergehen u. für[i] critische Philosophie keinen Sinn haben, daß Amerika kein Feld für Philosophie ist. Ich bin der umgekehrten Meinung. Das Interesse an Philosophie ist hier intensiver als in Deutschland. Auch ist die amerikanische Denkart durchaus selbständig u. darf nicht als ein bloßer Anhang englischer Denkart betrachtet werden. Und wie in Deutschland so auch hier ist Kant’s Einfluß auf das Volk stärker als auf die professionellen Philosophen. Denken Sie nur an die volksthümliche Bewegung der Transcendentalisten | in[j] New England, die in der Novelle Brook Farm[k] von Hawthorne[l][4] belletristisch[m] behandelt ist! In England hat Kant das Unglück gehabt von vornherein mißverstanden zu werden. Fast jeder Engländer wird mit Kant durch Hamilton[n][5] vertraut, u. wenn irgend jemand unseren guten lieben Kant verdreht hat, so war es Hamilton. Spencers alberne Geringschätzung Kant’s, die nur auf Unwissenheit beruht, ist in erster Linie Hamilton zuzuschreiben.
Doch zum Schluß! Ich werde gerne bereit sein Sie in Ihrer Arbeit nach Kräften zu unterstützen. Nur bedaure ich durch meine sonstige Thätigkeit so sehr in Anspruch genommen zu sein, daß ich fürchte Ihnen wenig liefern zu können[6]. Selbstverständlich werde ich in der nächsten Nummer des Monist einen Bericht von Ihrem Unternehmen[7] geben.
Mit bestem Gruß u. Wunsch auf Erfolg Hochachtungsvoll Ihr ergebenster
P. Carus
Ich brauche wohl nicht noch hinzuzufügen, daß dieser Herzenserguß über die Mißhandlung, die Kant zuweilen erfahren muß, privater Natur ist u. nicht für Veröffentlichung sich eignet.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑ebenso wie Goethe ] vgl. die seit 1880 erscheinende Zeitschrift der Frankfurter Goethe-Gesellschaft: Goethe-Jahrbuch, hg. von Ludwig Geiger.2↑Philosophical Review March 93 ] vgl. Jacob Gould Schurman: Kant’s critical Problem: What is it in itself and for us? In: The Philosophical Review 2 (1893), Nr. 2 von März, S. 129–166, bes. S. 152 u. 156.7↑Bericht von Ihrem Unternehmen ] vgl. die Anzeige der neu erscheinenden Zeitschrift Kant-Studien in: The Monist 6 (1896), Nr. 4 von Juli, S. 640, mit offensichtlich noch nicht festgestellter Liste des wissenschaftlichen Beirats: The universality of Kant’s mind, his continued ascendancy in the intellectual world, and the recent reversion of philosophical thought to his point of view, gave rise to a plan which Dr. Vaihinger of Halle has long cherished and now finally realised in the publication of a periodical devoted to the investigation of all the phases of Kant’s life and activity. The Kantstudien will appear irregularly and cost 12 Marks per volume. It is to be similar in its aims to the type of journals devoted to the study of Shakespeare, Goethe, etc. The collaborators are E. Adickes, E. Boutroux, Edw. Caird, C. Cantoni, J. E. Creighton, W. Dilthey, B. Erdmann, K. Fischer, M Heinze, R. Reicke, A. Riehl, W. Windelband, and others. Prospectus and specimen copy will be sent on applying to Leopold Voss, Hamburg.▲