Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Eduard Zeller, Halle, 31.12.1892, 4 S., hs., Universitätsbibliothek Tübingen, http://idb.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/Md747-782
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Vaihinger an Eduard Zeller, Halle, 31.12.1892, 4 S., hs., Universitätsbibliothek Tübingen, http://idb.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/Md747-782
Halle a/S. 31. Dez[ember] 92.
Hochzuverehrender Herr Geheimer Regirungsrath, verehrtester Herr Professor![a]
Zum Jahreswechsel beehre ich mich, Ihnen, sowie Ihrer verehrten Frau Gemahlin[1] meine ergebensten Glückwünsche darzubringen. Ich bitte zugleich um die Erlaubniß, Ew. Hochwohlgeboren anbei ein Verzeichniß[2] überreichen zu dürfen, welches, abgesehen von jeder persönlichen Frage, ein gewisses allgemeines Interesse haben dürfte. Als ich am 29. Okt[ober] d[es] J[ahres] in Berlin war, war ich schon auf dem Wege zu Ihnen, um Ihnen dasselbe persönlich zu überreichen, wurde aber dann durch einen unangenehmen, unerwarteten Zwischenfall von der Ausführung meines Plans abgehalten, da ich vorher abreisen musste. Da ich auch in der Zwischenzeit nicht, wie ich hoffte, wieder nach Berlin kam, so bin ich so frei, Ihnen das Verzeichniß nun auf diesem Wege zu überreichen. |
Aus dem Verzeichnis geht hervor, 1)[b] daß die Universität Halle seit langer Zeit mindestens 3 Ordinarien der Philosophie besaß; 2) daß dies auf auch dann der Fall war, wenn zu gleicher Zeit auch mehrere Extraordinarien vorhanden waren; 3) daß jene Zahl auch festgehalten wurde zu Zeiten, wo Halle nur die Hälfte der jetzigen Studierenden besaß. Wie mich Herr Geh[eimer] Ober-Reg[ierungs] Rath Schrader[3] hier belehrte, geht diese Dreizahl der Ordinariate der Philosophie sogar auf das vorige Jahrhundert zurück, und hängt mit dem theologischen Charakter der Universität zusammen: den zahlreichen Theologiestudierenden sollte eine möglichst vielseitige philosophische Allgemeinbildung zu Theil werden.
Trotzdem hat die philosophische Fakultät den Beschluß gefaßt, daß das dritte, durch J. Ed. Erdmanns Tod[4] erledigte[c] Ordinariat nicht wieder besetzt werden solle, weil die vorhandenen 2 Extraordinarien dem Bedürfnis ja genügten; erhalten soll die Stelle freilich bleiben für die Philosophie. Allein | wenn die Wiederbesetzung der Stelle für unnötig erklärt wird, wird die Regierung doch sehr geneigt sein, die Stelle überhaupt aufzuheben. Damit droht nicht nur unserer Universität, sondern auch insbesondere dem Fach der Philosophie eine große Schädigung. Wenn die Zahl der jungen Kräfte zunimmt, und die Stellen abnehmen, so ist dies doch nicht das Richtige; wir haben doch allen Grund, das Ansehen und den Einfluß der Philosophie zu erhalten; und dazu gehört doch in erster Linie die Wahrung des Besitzstandes.
Aus Gründen, die mir nicht hinlänglich bekannt sind, haben auch die beiden von mir persönlich hochverehrten hiesigen Fachmänner[5] diesen Beschluß gutgeheißen.[6] Ich persönlich habe nicht den Anspruch gemacht, der Nachfolger eines so bedeutenden Mannes wie J. Ed. Erdmann zu werden, wohl aber durfte ich hoffen, daß durch die Besetzung der erledigten Stelle anderwärts eine Vacanz entstünde, in die ich einrücken könnte. Ich durfte auch darum darauf hoffen, da nun der II. Band meines Kantcommentars[7] erschienen ist, welchen ich auch Ihnen zusenden ließ. | Gerade um dieses Werk in ruhiger Concentration vollenden zu können, wünsche ich endlich das natürliche Ziel der academischen Laufbahn zu erreichen, dem ich doch schon vor Jahren nahe stand.
Übrigens arbeite ich auch an einem Bändchen „Theätetstudien“[8]; ich habe mich mit dem Theätet oft und viel beschäftigt, und glaube unter anderem nachweisen zu können, daß Platon mathematische Termini, die er in dem Theätet gebraucht, (speciell in den Stellen über die δυνάμεις) in einem anderen Sinne gebraucht, als in anderen Dialogen; daß der erstere Sprachgebrauch der ältere ist, während der Sinn derselben Termini in den anderen Dialogen ein davon abweichender ist und sich dem Euclidischen Sprachgebrauch annähert; daß also auch der Theätet einer der älteren Platonischen Dialoge[9] sein muß; ich habe mich zu diesem Zwecke sehr eingehend mit der Geschichte der griechischen Mathematik beschäftigt und die neuesten deutschen, französischen und englischen Arbeiten dazu herangezogen. Ich hoffe die Publikation im Laufe des neuen Jahres fertigstellen zu können.
Indem ich Ihnen, hochzuverehrender Herr Geheimer Reg[ierungs-] Rath nochmals zum Jahreswechsel meine besten Glückwünsche ausspreche, zeichne ich in tiefster Verehrung Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenster
H. Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
3↑Schrader ] Wilhelm Schrader (1817–1907), seit 1883 Kurator der Universität Halle–Wittenberg (Hans-Eberhard Sika: Schrader. In: Magdeburger Biographisches Lexikon https://mbl.ub.ovgu.de/Biografien/0125.htm (21.8.2024)).4↑J. Ed. Erdmanns Tod ] Johann Eduard Erdmann war am 12.6.1892 in Halle gestorben, seit 1839 o. Prof. (BEdPh).7↑der II. Band meines Kantcommentars ] vgl. Vaihinger: Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Zum hundertjährigen Jubiläum derselben. Bd. 2. Stuttgart, Berlin, Leipzig: Union/Deutsche Verlagsgesellschaft 1892.8↑Bändchen „Theätetstudien“ ] ein solches ist nicht erschienen; Vaihinger bot allerdings regelmäßig Seminare an über Platon: Theaitetos (Vorlesungsverzeichnisse Straßburg und Halle).9↑Theätet einer der älteren Platonischen Dialoge ] in Vaihingers, 1923 nach Japan weiterverkauften Privatbibliothek befand sich der Sonderdruck: Zeller: Ueber die Anachronismen in den Platonischen Gesprächen. Berlin 1873. 21 S. (vgl. das Verzeichnis: https://chssl.lib.hit-u.ac.jp/images/2020/02/Catalog_Hitotsubashi_Soda.pdf (21.8.2024), Sp. 144).▲