Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Ernst Dümmler, Halle, 10.12.1892, 7 S., hs., Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, NL Dümmler
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- Physical LocationBerlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, NL Dümmler
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Vaihinger an Ernst Dümmler, Halle, 10.12.1892, 7 S., hs., Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, NL Dümmler
Halle a/S.
10.XII.92
Hochzuverehrender Herr Geh. Reg. Rath!
Die freundliche Theilnahme, welche Sie, verehrtester Herr Geh. Reg. Rath, mir stets und nun auch insbesondere wieder bei der neuesten Angelegenheit bewiesen haben, ermuthigt mich zu der Annahme, einige Mittheilungen über die weitere Entwicklung dieser Sache[1] werden bei Ihnen ein geneigtes Ohr finden.
Nachdem ich am 29. October[2] in Berlin gewesen war, sandte ich in der ersten Novemberwoche die Liste der früheren Professuren an die Herren Proff. Haym und Erdmann mit identischen Begleitschreiben, in denen ich meine Auffassung der Sache entwickelte, darauf hinwies, welche Schädigung nicht nur für mich, sondern auch für die ganze jüngere Philosophengeneration in der Aufhebung der Stelle liege, die nun doch seit 70 Jahren bestehe u. s. w. | Beide Herren nahmen daraufhin sofort Veranlassung, mit mir persönlich über die Sache zu sprechen. Aus diesen Gesprächen gieng Folgendes hervor, was denn auch durch den weiteren Verlauf bestätigt wurde: Haym war ganz bestimmt für die Erhaltung der dritten Stelle, aber gegen meine Person; er hat es sich zum Ideal gesetzt, Windelband hieher zu bringen[3]; würden nun jetzt Vorschläge gemacht, so würde ich doch nicht zu umgehen sein; würde ich auch nur tertio loco vorgeschlagen, so wäre mir die Ernennung sicher; aus diesem Grunde will Haym die Sache hinausschieben, in der Hoffnung, ich werde bald einmal nach auswärts berufen; dann würde die dritte Stelle besetzt werden. Dies hat er mir Alles selbst gesagt.
B. Erdmann dagegen ist überhaupt gegen die dritte Stelle; er findet zwei genug (will keine Concurrenz), und will die Stelle daher ganz eingehen lassen. Auch er hat dies selbst gesagt. | Diese Unterredungen fanden am 3. Nov[ember] statt. Acht Tage darauf, am 10. Nov[ember] kam nun eine Anfrage des Ministers 1) ob die Facultät für Wiederbesetzung sei? 2) bejahenden Falles solle dieselbe Vorschläge machen.
Nun ernannte der Dekan Droysen eine Commission (Haym, Erdmann, und auf deren Wunsch noch Keil u. Grenacher). In der ersten Commissionssitzung überwog noch die Erdmann’sche Meinung, die Stelle ganz aufzugeben. Späterhin aber, wahrscheinlich weil die Sache immer mehr Aufsehen und Mißbilligung auch in den andren Facultäten fand, kam die Commission zur Haym’schen Ansicht und beschloß also: a) die Stelle soll für Philosophie beibehalten werden; b) es bestehe aber kein momentanes Bedürfniß für Wiederbesetzung derselben. Dieser Commissionsbeschluß wurde nun einstimmig gefaßt; B. Erdmann mußte sich also fügen, aber er that es sicher | nur, weil er den Scandal fürchtete, der aus der Aufhebung der Stelle entstanden wäre; insbesondre hätte Herr Professor Cantor, welcher mir in dieser Sache sehr freundlich beistand, alle Hebel angesetzt, um den weiteren Kreis der Universität dafür zu interessiren, so daß die allgemeine Stimme für Erhaltung der Stelle war.
Am letzten Donnerstag (8. Dezember) kam nun die Sache vor die Facultät. Zwischen B. Erdmann und Cantor kam es zu scharfen Auseinandersetzungen, weil Cantor die Zusammensetzung der Commission bemängelte. Nachher gieng aber der Commissionsantrag doch durch, mit großer Majorität; nur Cantor, Blass, Suchier, Maercker[a][4] stimmten gegen den zweiten Theil desselben d. h. für die sofortige Wiederbesetzung der Stelle. Leider hat Dittenberger vor allem dazu beigetragen, dem Commissionsantrag zum Siege zu verhelfen. |
Durch diesen Facultätsbeschluß ist nun eine sehr eigenthümliche Situation geschaffen. Vor allem besteht zu befürchten, daß die Regirung folgenden Schluß zieht: wenn die Stelle momentan nicht besetzt zu werden braucht, so ist sie überhaupt unnöthig. Diese Gefahr ist von der Minorität (Cantor, Blass, Suchier, Maercker[b]) auch thatsächlich in der Sitzung als vorhanden erwähnt worden, aber diese Erinnerung fruchtete nichts, der Commissionsantrag gieng doch durch, der auf momentane Nicht-Wiederbesetzung lautete. Es ist kein Zweifel, daß dies auch die Absicht von Benno Erdmann ist; obgleich er auch für Erhaltung der Stelle stimmte, ist doch wol seine stille Hoffnung und Wirksamkeit darauf gerichtet, durch den zweiten Theil des Facultätsbeschlusses den gänzlichen Wegfall der Stelle herbeizuführen; auch in seiner Rede in der Facultät soll dies hindurchgeschimmert haben. |
Was ist nun wohl jetzt zu thun? Bloßes stilles Abwarten wäre an sich das Beste und Angenehmste, aber damit wird nur die Gefahr vergrößert, daß die Regirung die gänzliche Einziehung der Stelle beschließt; ungeschicktes Eingreifen meinerseits kann aber auch mehr schaden, als nützen.
Vielleicht wissen Sie, verehrtester Herr Geh. Reg. Rath, einen Rath in dieser verworrenen Situation, die ja am besten geklärt würde, wenn der Minister selbst für die Sache erwärmt würde; aber so hoch reichen meine Beziehungen nicht hinauf. –
Entschuldigen Sie, verehrter Herr Geh. Reg. Rath, meine Freiheit. Bitte, wollen Sie mich auch Ihrer verehrten Gemahlin bestens empfehlen.
In tiefster Verehrung und inniger Dankbarkeit Ihr herzlich ergebenster
H. Vaihinger. |
Herr Prof. Cantor läßt sagen, daß er bald, in den nächsten Tagen, schreiben werde. Seiner Meinung nach ist von B. Erdmann nichts mehr zu erwarten, welches der eigentliche und gefährlichere Gegner der Wiederbesetzung ist. Er meint, daß eher noch Haym zu gewinnen wäre.
Ergebenst
D[er] O[bige].
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
3↑Windelband hieher zu bringen ] wie bereits 1884 versucht, vgl. Vaihinger an Eduard Zeller vom 27.6.1884.4↑Keil … Grenacher … Cantor … Blass … Maercker ] das sind die Professoren in Halle: Heinrich Keil (1822–27.8.1894), klassischer Philologe, seit 1869; Hermann Grenacher (1843–1923), Zoologe, seit 1881; Georg Cantor (1845–1918), Mathematiker, 1872 ao. Prof., 1879 o. Prof.; Friedrich Blass (1843–1907), klassischer Philologe, seit 1881; Max Maercker (1842–1901), Chemiker, 1872 ao. Prof., 1892 o. Prof. (https://www.catalogus-professorum-halensis.de (21.8.2024)).▲