Bibliographic Metadata
- TitleCarl du Prel an Vaihinger, München, 4.1.1886, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 6 p, Nr. 7
- Creator
- Recipient
- Participants
- Place and Date of Creation
- Series
- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 6 p, Nr. 7
- URN
- Social MediaShare
- Archive
- ▼
Carl du Prel an Vaihinger, München, 4.1.1886, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 6 p, Nr. 7
München 4.I.86.
Lieber Freund! Sowohl Slade als Eglinton[1] sollen im Verlaufe des Winters nach Österreich und Deutschland kommen. Benützen Sie diese Gelegenheit, ersinnen Sie bis dahin alle denkbaren Vorsichtsmaßregeln, dann werden Sie sich überzeugen, daß es Thatsachen sind, mit welchem zu rechnen mein Belieben ist, aber Ihre Pflicht. Denn Sie werden nicht sein wie jener Universitätsprofessor[2], der mir seinen Glauben an Somnambulismus zugestand, doch dürfe er davon nicht reden „sonst wäre er vernichtet.“ Wenn mit den Annahmen
1. präparirte Tafeln oder
2. Fingerfertigkeit
die Betrugsmöglichkeiten erschöpft sind, dann müssen die Thatsachen[3] anerkannt werden, weil jene beiden Annahmen – dieß habe ich nachgewiesen – in Widersprüche einmünden.
Diese Thatsachen stürzen nur den Materialismus,[a] erweitern aber nur die naturwissenschaftliche u. philos[ophische] Weltanschauung. Die Wurzel der Individualität muß nach vorne und rückwärts verlängert werden, was nicht hindert, daß vielleicht in der Vergangenheit oder Zukunft ein pantheistischer Weltbrei liegt. | Natürlich dauert nicht nur der Mensch fort, sondern alles, worauf organisirende Gestaltungskraft verwendet wird, jedes Baumblatt.
Die photogr[aphische] Beilage[4] ist nur von mir beigelegt. Der Verleger scheute die Kosten. Sie ist zwar schwer zu lesen, wurde aber in[b] jenem Abende ganz entziffert und als zutreffend befunden.
Demnächst schicke ich das Programm der Monatsschrift „Sphinx“[5], die nun erscheint. Die ersten Nummern bringen Aufsätze aus meinem wohl heuer noch erscheinenden „metaphysischen Darwinismus“: Monistische Seelenlehre, Astralleib p p.
Sie sprechen von einer berühmten „Inschrift“[6] die Meteore betreffend. Bitte um eine Notiz, wo ich sie finden kann.
Wann wird der nächste Teil von Ihrem Kant[7] erscheinen? Ich hoffe, daß Sie die Fortsetzung dieser Arbeit nicht einem anderen überlassen.
Ich werde noch in diesem[c] Winter vielleicht mit e[inem] Freunde experimentiren, der selbst ein ausgezeichnetes Medium ist; ferner vermuthlich hier noch mit 2 Privatmedien. Überhaupt muß sich der Zweifler immer sagen, daß die Betrugstheorie an den privaten Medien scheitert. Es ist die | höchste Zeit, daß die Wissenschaft sich mit der Sache beschäftigt. Schon ist sie überholt durch – „Über Land und Meer“ welche Zeitschrift von mir einen Aufsatz über Spiritismus[8] will, während es ganz sicher ist, daß wenn ich einen solchen etwa an die „Philos[ophischen] Monatshefte“ senden würde, ich eine entrüstete Rücksendung erfahren würde.
Alles Gute zum neuen Jahre, von dem die Propheten des Mittelalters[9] sagen „quo totus mundus vae clamabit“.
Semper idem
du Prel
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Slade als Eglinton ] spiritistische Medien bzw. Hochstapler; vgl. Bartholomäus von Carneri an Vaihinger vom 6.1.18862↑Sie werden nicht sein wie jener Universitätsprofessor ] Anspielung auf das Gebet des Pharisäers in Lukas 18,11: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner – und damit auf Karl Friedrich Zöllner (vgl. du Prel an Vaihinger vom 19.9.1875), Prof. der Astrophysik in Leipzig, der zwischen 17.11.1877 u. 19.5.1878 in Leipzig mit (dem später als Hochstapler entlarvten) Henry Slade Experimente durchgeführt hatte, deren Veröffentlichung starken Widerspruch von Ernst Haeckel, Carl Stumpf und Wilhelm Wundt bezüglich Methode und Interpretation der Ergebnisse bzw. deren wissenschaftspolitischen Implikationen provozierte (vgl. Friedrich Zöllner: Naturwissenschaft und christliche Offenbarung. Populäre Beiträge zur Theorie und Geschichte der vierten Dimension. Nebst einem besonderen Abdruck des offenen Briefes an Herrn Consistorialrath Prof. Luthardt aus dem 3. Bande der Wissenschaftlichen Abhandlungen. Leipzig: Staackmann 1881; Hauke Heidenreich: Materialisten, Neukantianer, Spiritisten. Kant-Rezeptionen um 1900. In: Ders. u. Friedemann Stengel (Hg.): Kant um 1900. Berlin/Boston: de Gruyter 2022 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung Bd. 68), S. 7–41, hier: 23–35). Zöllner war mit du Prel der Meinung, Kant dürfe nach seinen Äußerungen in Träume eines Geistersehers und im Brief an Charlotte von Knobloch als Theoretiker des Spiritismus bzw. einer Grundlegung einer Naturwissenschaft des Übersinnlichen angesehen werden.3↑die Thatsachen ] vgl. du Prel: Ein Problem für Taschenspieler. I. Die Thatsachen. II. Folgerungen und Reflexionen. In: Nord und Süd 34 (1885), August 1885, S. 286–304. Auch separat erschienen Breslau 1885.4↑Beilage ] nicht ermittelt, vgl. Tomas Kaiser: Zwischen Philosophie und Spiritismus: (Bildwissenschaftliche) Quellen zum Leben und Werk des Carl du Prel, 2006 (http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:luen4-opus-110843 (19.8.2024)), S. 94–95.7↑nächste Teil von Ihrem Kant ] der 2. Bd. von Vaihinger: Commentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft erschien 1892.8↑Aufsatz über Spiritismus ] vgl. du Prel: Der Spiritismus. In: Über Land und Meer 55 (1885), Nr. 22, S. 482–483.9↑Propheten des Mittelalters ] vgl. z. B. die Notiz von Hugo Weishäupl in: Theologisch-praktische Quartals-Schrift 39 (1886), S. 229: Eine andere bekannte, angebliche [u. a. Nostradamus zugeschriebene] Prophezeihung ist die folgende: Quando Marcus Pascha dabit – Et Antonius Pentecostem celebrabit – Et Johannes Christum adorabit, – Totus mundus vae clamabit. Das würde im Jahre 1886 eintreffen, da in diesem Jahre die in der angeführten Reimerei genannten Feste auf die betreffenden Tage fallen. […] Fast in jedem Jahrhundert fällt einmal der Ostertag auf den 25. April […] und in keinem dieser Jahre fand ein das Wehegeschrei der ganzen Welt veranlassendes Ereignis statt.▲