Bibliographic Metadata
- TitleBartholomäus von Carneri an Vaihinger, Wien, 6.2.1883, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 d, Nr. 10
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 d, Nr. 10
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Bartholomäus von Carneri an Vaihinger, Wien, 6.2.1883, 3 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 d, Nr. 10
Wien 6. Februar 1883.
Hochverehrter Herr!
Wenn Sie mir ins Herz sehen könnten, so wüßten Sie, wie gerne ich Ihnen längst geantwortet hätte, und wie gerne ich heute ausführlich schreiben würde. Ich bin hier ganz entsetzlich in Anspruch genommen, muß seit Wochen mein Bißchen freie Zeit einem schwer kranken Freunde[a] widmen, und erst seit ein paar Tagen sehe ich klar in Ihrer Angelegenheit. Was ich Ihnen darüber mitzuteilen habe, ist eigentlich nicht ungünstig: nur insofern Sie bald ernannt zu werden wünschen, werden Sie unbefriedigt sein. Sie sind hier bestens angeschrieben, und nicht blos Hofrath Zimmermann, auch der Referent im Unterrichtsministerium, Ministerialrath David[1] meint es mit Ihnen sehr gut. Dann haben Sie einen einzigen österreichischen Mitbewerber, und dieser ist nicht gut angeschrieben, daher auch nicht gefährlich. Es hat daher alle Wahrscheinlichkeit für sich, daß Sie nach Gratz kommen, aber dies im Moment forciren zu wollen, | wäre, wie mir Hofrath Zimmermann versicherte, durchaus nicht rathsam und selbst nachtheilig. Unglückseliger Weise sind in der Prager Universität zwei Professuren zu besetzen, für welche sich die entsprechenden Kräfte in Österreich nicht finden. Daher die besondere Scheu bei Gratz. Die jetzige Reichsrathsmajorität ist eine ausgesprochen deutschfeindliche[b], perhorresziert jede Berufung aus Deutschland und findet darin eine Stütze allerhöchstenorts, wo es bei jeder Gelegenheit, wenn auch vornehmlich aus väterlichen Gefühlen, heißt: Ja wäre denn kein Einheimischer zu finden? Denken sie dazu einen Unterrichtsminister, der jeder Selbstständigkeit entbehrt, und Sie erhalten einen klaren Einblick in die Situation. Ist einmal Prag besetzt, so kann die Besetzung Gratz’ leichter erfolgen. Von Herzen gerne würde ich Ihnen eine angenehmere Mitteilung machen; aber, wie gesagt, ungünstig steht die Sache für Sie durchaus nicht: nur betreffs der Zeitfrage sind die Umstände ungünstig.
Und wie gerne würde ich auf die Liebens|würdigkeit näher eingehen, mit der Sie über meine psychologischen und ethischen Bestrebungen urtheilen! Ich kann Ihnen dafür nur im Geiste, aber mit wärmster Dankbarkeit die Hände drücken. Ich komme hier rein zu nichts. Wenn Sie nur wüßten, mit was für einem tiefgehenden Egoismus ich Sie nach Steiermark wünsche. Denn würde ich auch[c] die Zeit finden zu einem ausführlichen Briefe, so ist doch eine ganze Reihe von Briefen nicht zu vergleichen mit einem mündlichen Verkehr.
Die beiliegenden Separatabdrücke[2] sind für Sie, Prof. Schmidt und Prof. Goltz, dem ich zu sagen bitte, daß ich seine Beiträge zur Lehre von den Functionen der Nervencentren des Frosches[3] bereits studire, zwar sehr langsam darin vorwärtskomme, aber mit lebendigstem Interesse studire, weil ich mich bereits überzeugt habe, großen Gewinn zur Klärung meiner Anschauung daraus ziehen zu können.
Ich habe nur die mitfolgende Photographie[4] mit meinem Namen von fremder Hand aufgetrieben. Auch bin ich um 7 Jahre älter, d. h. 61 Jahre alt, aber darum doch mit jugendlicher Wärme Ihr ganz ergebener
B. Carneri
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
1↑Ministerialrath David ] Benno Ritter von David, Ministerialsekretär u. a. für allgemeine Universitätsangelegenheiten im K. k. Ministerium für Cultus und Unterricht (vgl. Der Staatsbeamte. Jahrbuch für die K. k. österreichischen Civilbeamten pro 1879, S. XI).2↑beiliegenden Separatabdrücke ] nicht ermittelt; wahrscheinlich von Aufsätzen Carneris in der Zeitschrift Kosmos; vgl. die vorangegangenen Schreiben Carneris an Vaihinger.3↑Lehre von den Functionen der Nervencentren des Frosches ] vgl. Friedrich Goltz: Beiträge zur Lehre von den Functionen der Nervencentren des Frosches. Berlin: A. Hirschwald 1869.▲