Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Eduard Zeller, Straßburg, 21.11.1882, 7 S., hs., Universitätsbibliothek Tübingen, http://idb.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/Md747-782
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Vaihinger an Eduard Zeller, Straßburg, 21.11.1882, 7 S., hs., Universitätsbibliothek Tübingen, http://idb.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/Md747-782
Straßburg iE 21. Nov[ember] 1882
Hochzuverehrender Herr Geheimerath![a]
Ihr gütiger Brief[1] hat mich in der tiefsten Seele gerührt; für so viel herzliche und wohlthuende Theilnahme erwächst mir eine Dankesschuld, die ich niemals anders werde abtragen können als durch den immer erneuten Vorsatz, alle geistigen und sittlichen Kräfte anzuspannen, um einem so ehren- und theilnahmsvollen Vertrauen soweit zu entsprechen, als es in den Grenzen der Möglichkeit liegt. Sie haben mir neuen Mut eingeflößt durch die Aussicht, durch Umhabilitierung in neue Verhältnisse einzutreten und wenigstens in relativer Ruhe den zweiten | Band meines Werkes vollenden zu können. Kein größerer Schmerz, als der Gedanke, ein angefangenes Werk liegen lassen zu müssen, und damit noch dazu gleichsam ein verpfändetes Wort nicht einlösen zu können. Aber seit Empfang Ihres tröstlichen Briefes fühle ich wieder Kraft und Freude, und mit erneutem Fleiße werde ich mich von jetzt an sofort mit meiner Arbeit beschäftigen, seitdem ich selbst für den schlimmsten Fall wenigstens so viel Zeit für mich gedeckt sehe, um die nächste Fortsetzung erscheinen lassen zu können.
Für Ihre gütige Verwendung in Halle[2] spreche ich Ihnen, hochzuverehrender Herr Geheimerath, meinen innigsten Dank aus. Von hier aus hat sich bes[onders] Herr Professor Gerland nach Halle gewendet; | es kam jedoch die betrübende Nachricht zurück, in einer Vorbesprechung der Commission sei Glogau an erster Stelle[3] einstimmig vorgeschlagen worden; von mir sei ebenfalls ernstlich (schon vor dem Einlauf der empfehlenden Schreiben) die Rede gewesen, es habe jedoch Einer der 3 Fachmänner (höchst wahrscheinlich Ulrici[4]) sich gegen mich ausgesprochen, und da man einen einstimmigen Vorschlag habe machen wollen, sei, wenigstens vorläufig, die Wahl auf Glogau gefallen. Ob nun vielleicht bei der definitiven Entscheidung in der Facultät noch ein zweiter und dritter in Vorschlag kommt, ob ich dabei berücksichtigt werde, ob überhaupt dann an Glogau festgehalten wird, läßt sich nicht sagen. Natürlich wäre es mir äußerst werthvoll, doch wenigstens in den zweiten Vorschlag zu kommen. Auf den ersten werde ich schwerlich | rechnen dürfen, zumal Glogau den Vorzug hat, schon A. o.[b] Professor zu sein am Polytechnicum in Zürich (mit 800 Thalern[c]); er ist jedoch zugleich Privatdcozent an der Universität.
Herr Geheimerath Althoff[5] ist mir nicht nur persönlich günstig gesinnt, sondern ich bin ihm noch außerdem vor seiner Abreise von mehreren Freunden desselben bestens empfohlen worden. Er kennt meine Verhältnisse und kennt die hiesigen Verhältnisse, und ich darf das Vertrauen haben, daß er die erste Gelegenheit benutzen wird, um mir eine feste Stellung zu ermöglichen. Käme es allein auf die Wirksamkeit thätiger Freunde an, so müßte bei dem Vielen, was von hier aus für mich gethan worden ist, | sich etwas für mich ergeben haben: es ist die erdrückende Concurrenz junger Kräfte, welche das Vorwärtskommen so sehr erschwert. Das erneute Interesse an der Philosophie seit den Sechziger Jahren hat naturgemäß einen größeren Zudrang zu der academischen Carriere zur Folge gehabt; so erfreulich das für die Sache ist, so sehr leidet darunter der Einzelne.
Sollte sich bis Frühjahr nicht irgendein andrer Ausweg eröffnen, so würde ich, hochzuverehrender Herr Geheimerath, von Ihrem gütigen Rate[6] Gebrauch machen, an eine preußische Universität überzusiedeln. Gibt es doch mehrere Beispiele, das solche Verpflanzungen nur günstig gewirkt haben; so denke ich z.°B. an den jetzigen Professor Koschwitz[7] in Greifswald, dem man hier | ebenfalls ein Extraordinariat versagte, und der auch durch die internen Spaltungen der Fakultät viel zu leiden hatte, deren Opfer eben häufig die Privatdocenten sind. Würde mir in einem solchen Falle das Privatdocentenstipendium[8] gewährt, das meines Wissens 500 Thaler[d] beträgt, so würde mir für einige Jahre die Möglichkeit geboten, in bescheidener Zurückgezogenheit gänzlich meinen Studien zu leben. Vielleicht aber entscheidet sich die Hallesche Angelegenheit doch anders, als es bis jetzt den Anschein hat, falls ich in den Vorschlag gebracht werde und man sich nicht blos mit Einem Candidaten begnügt.
Doch ich nehme Ihre kostbare Zeit | in einer ungewöhnlichen Weise in Anspruch; entschuldigen Sie diese Freiheit, die ich mir nehme, mit dem innigen Vertrauen zu Ihrer Güte. Ihr Brief hat mir die Aussicht einer Rettung gegeben.
Genehmigen Sie, hochzuverehrender Herr Geheimerath, den Ausdruck der höchsten Verehrung und dankerfüllten Gesinnung, in der ich zeichne als Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenster
H. Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
7↑Koschwitz ] Eduard Koschwitz (1851–1904), Romanist, 1875 in Breslau promoviert, 1877 in Straßburg habilitiert, 1881 o. Prof. in Greifswald (NDB).▲