Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Friedrich Theodor Althoff, Straßburg, 22.10.1882, 4 S., hs., Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, Vl. HA, Nl Althoff, F. T., Nr. 991
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- Physical LocationGeheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, Vl. HA, Nl Althoff, F. T., Nr. 991
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Vaihinger an Friedrich Theodor Althoff, Straßburg, 22.10.1882, 4 S., hs., Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, Vl. HA, Nl Althoff, F. T., Nr. 991
Hochzuverehrender Herr Geheimerath![a]
Das theilnehmende Wohlwollen und das gütige Interesse[b], das Ew. Hochwohlgeboren meiner Arbeit und meiner Person entgegenzubringen die Gewogenheit hatten, flößen mir den Mut ein, mich in meinen Angelegenheiten noch einmal brieflich[1] an Ew. Hochwohlgeboren zu wenden. Mögen Sie die Freiheit, die ich mir damit nehme, gütigst entschuldigen und mit der äußerst peinlichen Lage, in welcher ich mich befinde: da ich nach 12 Semestern academischer Thätigkeit mich am Ende meiner Ressourcen sehe und nur eine nicht allzuferne feste Anstellung mich vor der verzweifelten Nothwendigkeit retten kann, meine academische Laufbahn und damit auch meine wissenschaftliche Thätigkeit d. h. mich selbst aufzugeben. Hierselbst in Straßburg war ich wohl für ein neu zu gründendes Extraordinariat vorgesehen, allein nach den neuesten Erklärungen | des Herrn Curators[2] erträgt der ohnedieß große hiesige Etat keine weitere Belastung, so daß meine Aussichten, hier eine Stellung zu finden, vernichtet sind[3].
Es ist somit nicht tadelnswerther Ehrgeiz, sondern dira necessitas[4], welche mich veranlaßt, darnach zu streben, unter Dach und Fach zu kommen. Doch würde ich es nicht wagen, mich in directer Initiative darum zu bewerben, wenn es mir nicht, nach dem Urtheil der competentesten Fachleute, gelungen wäre, mir durch meine Arbeiten die nöthige wissenschaftliche Stellung zu erringen. Ich war daher auch schon im vorigen Jahre in Würzburg für ein Extraordinariat in Vorschlag; die Stelle ist jedoch überhaupt nicht besetzt worden, da die Vorgeschlagenen der regierungsseitig gestellten[c] Bedingung katholischer Confession nicht entsprachen. Ferner bin ich in Graz für das erledigte Ordinariat vorgeschlagen, jedoch von vorne herein ohne jegliche Aussicht auf Erfolg, da die Regierung die peremptorische Erklärung abgegeben hat, nur einen Oesterreicher anstellen zu wollen, der sich auch schon gefunden hat. Endlich habe ich in diesen Ferien das Anerbieten einer Professur an der belgischen Universität Gent | trotz günstigster äußerer Bedingungen ausgeschlagen, da ich in dieser Stellung mein Lebenswerk, den Kantcommentar, hätte opfern müssen und es mir als eine nicht ehrenhafte Fahnenflucht erschien, mein Werk um meiner Person willen im Stiche zu lassen. Freilich leitete mich dabei auch die Hoffnung, in Deutschland selbst einen angemessenen Wirkungskreis in Bälde finden zu können; und ich kann nicht verhehlen, daß mich dabei insbesondre der Gedanke beglückte, in Königsberg selbst meine Arbeit fortsetzen zu können, welche Universität für mein Kantwerk in jeglicher Hinsicht äußerst förderlich wäre. Dagegen wird es mir in meiner jetzigen Situation, da ich ins Ungewisse hineinsehe und von allen Seiten bedrängt bin, natürlich täglich schwerer, mir die Ruhe und Arbeitsfreudigkeit zu erhalten, welche zu einer ersprießlichen und wissenschaftlichen Thätigkeit überhaupt und insbesondre zur Weiterführung einer so großen Arbeit unbedingt nothwendig sind. Daher dürfte der Wunsch begreiflich sein, festen Boden unter den Füßen zu erhalten, und eine wenn auch bescheidene, so doch feste Stellung zu erringen. |
Entschuldigen Sie, hochzuverehrender Herr Geheimerath, meine rückhaltslose, vertrauensvolle Offenheit mit meiner geschilderten difficilen Lage und vor allem mit dem unbeschränkten Zutrauen, das ich zu der wohlwollenden Theilnahme und der hochgeneigten Gewogenheit von Ew. Hochwohlgeboren hege. Indem ich versichere, daß, eines in mich gesetzten Vertrauens mich würdig zu beweisen, stets mein ernstliches Bestreben sein wird, gestatte ich mir, meine Sache und mein Schicksal Ihrer väterlichen Fürsorge angelegentlich zu empfehlen.
Genehmigen Sie, hochzuverehrender Herr Geheimerath, den Ausdruck inniger Verehrung, mit der ich ehrerbietigst zeichne als Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenster
Dr. Hans Vaihinger.[d]
Straßburg i. E.,
den 22 October 1882.
Kommentar zum Textbefund
d↑Dr. Hans Vaihinger. ] darunter Notiz von Althoffs Hd.: Am 27. Okt[ober] d[es] J[ahres] knapp dahin beantwortet: daß hier augenblicklich nichts zu machen; ich ihn aber eindringlichst an Ledderh[ose] empfohlen u. dabei auch mit weiterer Vermittl[un]g zu Diensten; u. daß ich jede Gelegenheit, ihm zu helfen, gern benutzen werde. | A 27/10 82.Kommentar der Herausgeber
3↑vernichtet sind ] vgl. Carl Ledderhose an Althoff vom 29.10.1882: Dem Vaihinger [mehrfach korrigiert aus: Wayinger] habe ich sein Privatdocentenstipendium für dieses Semester bereits überwiesen; wenn irgend thunlich, werde ich ihm noch etwas zulegen. Ihn hier als Professor anzubringen, wird kaum möglich sein. Freund Richter rechnet es ihm an, daß er die vortheilhafte Berufung nach Gent nicht angenommen hat, und plaidiert mit Leidenschaft dafür, daß, wenn überhaupt noch ein Philosoph hier anzustellen wäre, nur von einem den Catholiken genehmen Dozenten die Rede sein könne! (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Rep 92 Althoff C Nr. 1055). Anläßlich der Ernennung Vaihingers zum Extraordinarius (mit Lehrauftrag u. Gehalt) zum 5.6.1883 versuchte die Fakultät, vom Kuratorium der Universität Straßburg die Einrichtung eines weiteren etatmäßigen Extraordinariats zu erlangen. Dazu kam es nicht (vgl. ADBR Strasbourg, 103 AL 260, Bl. 76).▲