Bibliographic Metadata
- TitleAnton von Leclair an Vaihinger, Graz, 12.8.1880, 4 S., hs., Fragment, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 6 m, Nr. 2
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 6 m, Nr. 2
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Anton von Leclair an Vaihinger, Graz, 12.8.1880, 4 S., hs., Fragment, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXII, 6 m, Nr. 2
Graz 12.VIII.80
Wickenburggasse 5. (Vom 13. September an wieder Prag, Inselgasse 4.)
Sehr geehrter Herr!
Ich schulde Ihnen[a] noch meinen Dank für Ihr liebenswürdiges Schreiben vom 16. März[1] und schon verpflichten Sie mich von neuem durch die Aufmerksamkeit, mir die damals angekündigte Recension meines „Realismus“[2] zuzusenden. Empfangen Sie hiefür meinen allerherzlichsten Dank u. ebenso für die Mühe, der Sie sich bei der so genauen Lecture[b] meines Buches unterzogen haben. Das Licht, das Ihre Beurteilung aufweist, hat für mich um so mehr Wert u. Bedeutung[c], als ihm reichlicher Schatten zur Seite steht, so dass jedermann nur den Eindruck einer sachlich strengen, völlig objectiven Prüfung erhalten kann.[d] Die Punkte, die Sie tadelnd hervorheben, habe ich sofort wieder in Erwägung gezogen u. komme wieder[e] zu der Überzeugung, dass die Darstellung[f] trotz des besten[g] Willens u. der peinlichsten Sorgfalt noch immer ein gutes Stück hinter | der wahren Meinung u. Absicht des Darstellers zurückbleiben kann[3]. Auch an der von Ihnen mit dem Mantel der christl[ichen] Nächstenliebe verhüllten Formlosigkeit[h] meines Buches liegt es, dass in der That noch mehrere Entwicklungs- od[er] Läuterungsstadien meiner Kritik[i] zieml[ich] unvermittelt nebeneinander bestehen[j]. Es scheint, dass Sie Ihr Augenmerk vornehml[ich] auf die Hauptabhandlung[k] (–p. 73)[4] gerichtet haben. Ich sollte meinen, dass Sie durch die Excurse[5] den Eindruck einer festeren, entschiedeneren Haltung empfangen[l] haben. Zumal meine Herzensergießungen gegenüber Dühring[m] dünken mir jetzt[n] das Tiefsteinschneidende u. Bestgelungene an meiner Arbeit. Trotz meines redlichen Strebens[o] nicht metaphysisch[p] zu sprechen, konnte ich mich nicht überall von der allerdings täuschenden Sprechweise emancipiren, nach welcher ein mit gew.[q] Formen ausgestattetes Bewusstsein od[er] Ich od[er] Subject[r] der Urgrund od[er] Träger od[er] Rahmen etc.[s] der Bewusstseinsdata sei. Was die ontologische Bedeutung[t] dieser „Formen“ anbelangt, verweise ich auf d[ie] kurze Anmerkung[u] S. 207; und was die vermeintliche Priorität des „Subjectes“ anbelangt, das doch mit | Wegfall des Objects nicht allein zurückbleiben könne, verweise ich auf die 5 obersten Zeilen d[er] S. 66. Es konnte mir nie beifallen, mich gegen das „kategoriale“ Ding a[n] s[ich] als Inventarstück des philosophirenden Intellectes zu wehren; seine Denknotwendigkeit[v] wird anerkannt mit d[er] Anerkennung[w] seiner kategorialen Natur. Eine ganz andere Frage u. eine solche, die für Kant[x] noch gar nicht bestanden hat, ist die, welche Art der Realität dem Ding a[n] s[ich] beizumessen sei[y], ob bei demselben gleichfalls die für den Bereich der[z] „Erfahrung“ zulässige Trennung von Denk- (od[er] Begriffs-)Inhalt u. Gegenstand platzgreifen könne; bleiben nämlich im „Erfahrungs“bereich beide[aa] Trennstücke im Rahmen der Immanenz, so ist dies der Absicht nach nicht mehr der Fall, wenn wir die Trennung beim D[ing] a[n] s[ich] vornehmen wollen. Es entsteht die Frage, ob der Begr[iff] des transcendenten Gegenstandes nicht den log[ischen][ab] Widerspruch im Schoße trägt, so dass er uns das missliche Pensum aufgibt, das Undenkbare zu denken, und er selbst in der Aufgabe aufgeht, in unserem Denken das Undenkbare zu repräsentiren. Diesen Gedanken glaube ich in meinem[ac] Bu|che hinreichend nachdrückl[ich] zur Geltung gebracht zu haben, insbesond[ere] in den auch von Ihnen beifäll[ig] hervorgehobenen Ausführungen gegen Schulze u. Dühring. Und es hätte gewiss nur der Erweiterung bedurft, dass das vom D[ing] a[n] s[ich] überhaupt Gesagte auch auf den Specialfall[ad] des „Ich“ od[er] „Subjectes“ angewendet wird, um Ihrem Vorwurf[6] zu begegnen, dass in ganz unhaltbarer Weise das formenbegabte Subject festgehalten werde, während das Object geopfert sei. Dieser Tadel näml[ich] hat wol seine Stärke darin, dass die Festhaltung eines in gew.[ae] Formen functionirenden Subjectes im Sinne transcendenter Geltung zugemutet wird, – eine Meinung, die ich gründlichst perhorrescire. Dass Sie mir dagegen[af] Abneigung oder[ag] Unfähigkeit[ah] zumuten, die Bedeutung[ai] u. Rolle jenes polaren Gegensatzes innerhalb unseres Denkens richtig zu würdigen, das brauche ich wol nicht zu befürchten. – Hier kann ich am besten eine Bemerkung anfügen bezügl[ich] des von Ihnen getadelten Wechsels des Beweisthemas[aj]. Ich glaube nämlich, dass es für meine logische Betrachtung[ak] des D[inges] a[n] s[ich] keine[al]
Kommentar zum Textbefund
d↑dass jedermann … erhalten kann. ] mit Blaustift unterstrichen und am Rd. angestrichen (der Brief ist in schwarzer Tinte geschrieben)ad↑Und es hätte gewiss nur der Erweiterung bedurft, dass das vom D[ing] a[n] s[ich] überhaupt Gesagte auch auf den Specialfall ] am Rd. mit Blaustift doppelt angestrichenKommentar der Herausgeber
2↑Recension meines „Realismus“ ] vgl. Vaihinger: Rezension: Leclair, Dr. Anton von: Der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte der von Berkeley und Kant angebahnten Erkenntniskritik. Kritische Streifzüge. Prag. Tempsky. 1879. 8. IX u. 282 SS. – 5 M. 60 Pf. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 4 (1880), S. 391–395, sowie von Leclair an Vaihinger vom 16.2.1880. Von Leclair antwortete auf diese Rezension u. d. T.: Kritischer Idealismus und Positivismus. Eine Entgegnung. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 5 (1881), S. 229–237, worauf wiederum Vaihinger antwortete u. d. T.: Erwiderung auf vorstehende Entgegnung. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 5 (1881), S. 237–240; vgl. von Leclair an Vaihinger vom 10.6.1881.4↑die Hauptabhandlg (–p. 73) ] vgl. von Leclair: Der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte der von Berkeley und Kant angebahnten Erkenntniskritik. Kritische Streifzüge. Prag: F. Tempsky 1879 (Digitalisat: http://data.onb.ac.at/rep/117E1810), S. 3–73.6↑Ihrem Vorwurf ] vgl. Vaihinger: Rezension: Leclair, Dr. Anton von: Der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte der von Berkeley und Kant angebahnten Erkenntniskritik. Kritische Streifzüge. Prag. Tempsky. 1879. 8. IX u. 282 SS. – 5 M. 60 Pf. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 4 (1880), S. 391–395, hier S. 392–395.▲