Bibliographic Metadata
- TitleMoriz Carrière an Vaihinger, München, 24.11.1878, 2 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 e, Nr. 8
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- Physical LocationStaats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 e, Nr. 8
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Moriz Carrière an Vaihinger, München, 24.11.1878, 2 S., hs., Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Aut. XXI, 4 e, Nr. 8
Verehrter Herr College!
Huber[a] ist mit[b] mir der Ansicht daß ein Artikel über ein halb Dutzend Erscheinungen der Kantphilologie[1] sich wohl für eine Fachzeitschrift, Avenarius oder Ulrici[2], nicht aber für das Publikum der D[eutschen] Revue eignet, da nothwendig in feine Unterschiede u. Details eingegangen werden müßte, für die hier weder Sinn noch Verständnis da ist. Schon über Ihren Platonartikel[3] hatte ich Kampf mit Fleischer[c], dem Sie bald zu weitläufig, bald zu gelehrt sind. Die Zeitschrift selbst liegt eben wieder – sub rosa! –in einer Krisis, die sie überwindet, wobei aber das Honorar, bis ein bestimmter Absatz erreicht ist, für uns Berichterstatter[d] herabgesetzt wird, u. die Vertreter der Berichtsparten persönlich alle Kraft einsetzen sollen daß das bald gut wird. J .B. Meyer[e] hat Mehreres angekündigt, Huber[f] arbeitet an einem längeren Aufsatz, der für mehr als einen Bericht eintreten wird, von Lasson und mir liegen Berichte vor Anker; Eucken[g] hab’ ich längst versprochen ihn mit Lazarus ideale Zeitfragen zu behandeln[4], Hartmanns Phänomenologie will ich[h], die neuren Religionsphilosophien will Huber[i] vornehmen; …[j] da kann ich Sie[k] leider im Augenblick nicht | auffordern den Aufsatz über die Fortschritte der Logik[5] zu schreiben, wo Sie weder Prantls noch Ulricis[l] vergessen dürfen! Die Behandlung des Themas scheint mir schwer – denken Sie immer nur an die Revue, und nicht an ein Fachblatt! – ich möchte gern mit Ihnen darüber sprechen; die Anerkennung apriorischer Elemente, welche die junge Schule zu leugnen scheint, dünkt mir durchaus nothwendig. Ohne Vernunftnothwendigkeit keine Wissenschaft![m]
Allmählich fängt man an[n] sich zu besinnen in Deutschland wohin der von der sogenannten Wissenschaft docirte Materialismus und Nihilismus führt, die Renommage mit dieser vermeintlichen Geistesfreiheit hört auf, der Spott über die Idealisten verstummt.
Daß Sie 22 Seminaristen[6] haben ist ja eine überraschend erfreuliche Nachricht; auch in der Jugend wird die Frage nach der Wahrheit um der Wahrheit willen wieder lebendig. Sind Sie Extraordinarius geworden[7]? Zeit wäre es!
Ich bin mit der Gesundheit zufrieden, muß aber, wie Sie wissen, die Augen schonen.
Hochachtungsvoll mit freundlichem Gruß
M Càrriere
München 24/11 1878
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Avenarius oder Ulrici ] meint: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, hg. v. Richard Avenarius und Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, hg. v. Hermann Ulrici.3↑Platonartikel ] vgl. Vaihinger: Die Platonischen Fragen in Vergangenheit und Gegenwart. In: Deutsche Revue über das gesammte nationale Leben der Gegenwart 2(1878), hg. v. Richard Fleischer, Bd. 3, S. 368–375 (https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11378059-2 (1.8.2024)).4↑zu behandeln ] vgl. Carrière: Ideale Fragen der Gegenwart. In: Deutsche Revue 3 (1879), Heft 9 von Juni, S. 110–116 (https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11392589-2 (1.8.2024)).6↑22 Seminaristen ] im WS 1878/1879 hat Vaihinger an der Universität Straßburg angeboten: Im philosophischen Seminar: Kant’s Kritik der reinen Vernunft (Interpretation für Anfänger); Freitag von 7–9 Uhr Abends; privatissime und gratis. Ausgewählte Abschnitte aus den Hauptwerken der neueren Philosophie; Montag von 7–9 Uhr Abends; privatissime und gratis (Vorlesungsverzeichnis).7↑Extraordinarius geworden ] Vaihinger wurde erst 1883 in Straßburg zum Extraordinarius ernannt (habilitiert seit 1877).▲