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- TitleHeinrich Landesmann an Vaihinger, Dresden, 26.2.1878, 3 S., hs., Abschrift (Marie Landesmann), mit Zuordnung An Hrn: Prof. Dr H. Vaihinger., Wienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-43493, Bl. 77–79
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- Physical LocationWienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-43493, Bl. 77–79
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Heinrich Landesmann an Vaihinger, Dresden, 26.2.1878, 3 S., hs., Abschrift (Marie Landesmann), mit Zuordnung An Hrn: Prof. Dr H. Vaihinger., Wienbibliothek im Rathaus, Wien, H.I.N.-43493, Bl. 77–79
Dresden, 26. Februar 1878.
Hochgeehrter Herr!
Ich will durch diese Zeilen nur den Empfang Ihres mir höchst erwünschten Buches mit begleitender gütiger Zuschrift[1] bestätigen und meine Freude darüber und meinen Dank dafür ausdrücken. …[a]
Ich werde nun zunächst Ihr Buch gründlich lesen und in einiger Zeit klar sehen, ob ich den Differenzpunkt öffentlich zur Sprache bringen kann, wenn er ein unausgleichbarer, weil auf Grund individueller Verschiedenheit beruhender und deßhalb auf beiden Seiten berechtigter wäre, oder ob ich mir zu besserem Verständniß erst briefliche Auskunft von Ihnen erbitten muß. Er betrifft das Verhältniß zur transcendentalen Causalität.
Ihre Abhandlung zur Kritik des Absoluten[2] hat mir im wesentlichen so wohl gethan wie eine ersehnte Bejahung auf eine zweifelnd gestellte Frage. Auch darüber behalte ich mir noch ein Wort vor.
Sie vindiciren meinem „Naturgenuß“ den Rang des Dauernden, was, so lange das Buch ungelesen ist, nur eine gütige Voraussetzung sein kann. Ob sie durch | den Gehalt des Buches gerechtfertigt ist, könnte nur Kritik ins Licht stellen, und an äußerer Anerkennung fehlt es dem Buch bisher fast gänzlich.
Wie viel tragen nicht die journalistischen Zustände in Deutschland zu einer pessimistischen Weltanschauung von Seite des Gefühles bei! Ueber das alberne, für den gebildeten Lesepöbel höchst schädliche, weil Denkerschlaffung und Gemüthsschwelgerei bewirkende Buch von Carrière „Die sittliche Weltordnung“[3] schrieb ich drei Artikel und ohne dieselben einzusenden, fragte ich bei drei Redactionen an, ob man ein abfälliges Urtheil über das Buch aufnehmen würde und empfing dreimal ablehnende Antwort, theils mit dem naiv eingestandenen, theils mit dem schlecht verhüllten Motiv persönlicher Rücksicht auf den Verfasser. Nun haben mindestens zwei dieser Blätter keinen andern Existenzgrund als die rücksichtslose Aufklärung des Publikums über durch Stoff oder Form wichtige Erscheinungen der neuesten Literatur.
Das ist gleich ein Beitrag zur sittlichen Weltordnung. Wenn mich das Geschick so weit begünstigte, daß Sie während der Osterferien Zeit und Stimmung zur Lectüre meiner Gedichte und des „Naturgenuß“ | fänden, so könnten Ihre brieflichen Andeutungen über die Gebrechen und Mängel in meiner versuchten Vermittlung zwischen Pessimismus und Optimismus sehr erwünschte Anknüpfungspunkte für mich sein, das Problem, das Sie beschäftigt, weiter zu verfolgen.
Jedenfalls bitte ich Sie, den Gedanken an mich nicht fallen zu lassen.
Mit aufrichtiger Verehrung und Ergebenheit
Heinr Landesmann.
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
3↑Carrière „Die sittliche Weltordnung“ ] erschienen Leipzig: Brockhaus 1877. Vgl. neben der in Vaihinger an Landesmann vom 19.2.1878 erwähnten Rezension z. B. die Besprechung von Landesmann in: Deutsche Dichterhalle 7 (1878), S. 7–12. Dazu S. 83–85. u. 99–101 eine Replik Carrières mit abschließender Stellungnahme von Landesmann (S. 135–137 u. 159–164).▲