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- TitleVaihinger an Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Otto Boelitz, Halle, 26.7.1923, 5 S., Ts., keine eU, Abschrift, Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, PA 16386 (Personalakte Vaihinger)
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- Physical LocationUniversitätsarchiv Halle-Wittenberg, PA 16386 (Personalakte Vaihinger)
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Vaihinger an Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Otto Boelitz, Halle, 26.7.1923, 5 S., Ts., keine eU, Abschrift, Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, PA 16386 (Personalakte Vaihinger)
Abschrift.[a]
Gesuch des Geh. Regierungsrats Prof. Dr. Vaihinger in Halle um Erhöhung seiner Bezüge.
Herr Minister!
Als ich im Jahre 1906 wegen zunehmender komplizierter Augenkrankheit (grauer Star verbunden mit Glaukom oder grünem Star) um Enthebung von meinen amtlichen Verpflichtungen bitten mußte, war ich persönlicher Ordinarius der Philosophie an der Universität Halle, stand aber unmittelbar davor, ein planmäßiges Ordinariat zu erhalten. Es wäre mir damals ein leichtes gewesen, dies noch zu erreichen, wenn ich meinen Rücktritt von meinen amtlichen Funktionen noch etwas hinausgezögert hätte, was ich unauffällig hätte tun können. Dies widersprach aber meinem Pflichtgefühl und so verzichtete ich damals auf die Erhöhung meiner Bezüge. Nunmehr, nach 17 Jahren haben sich die Verhältnisse aber vollständig geändert: unser mäßiges Privatvermögen ist völlig wertlos geworden, und die jetzigen Bezüge eines Extraordinarius (mit den neuesten Julizulagen) die ich erhalte, reichen zur Deckung meiner Bedürfnisse nicht mehr aus. Die Differenz zwischen den Bezügen eines Extraordinarius und eines Vollordinarius wird immer größer und beträgt schon eine ganze Anzahl von Millionen, die ich eben sehr schmerzlich vermisse. Denn ich habe aus besonderen Gründen auch besondere Bedürfnisse.
Das wichtigste Bedürfnis für mich ist, bei meiner nunmehr fast völligen Erblindung, die Notwendigkeit dauernd für mich eine Hilfsperson anzustellen, die mir vorliest, nach meinem Diktat schreibt und mich auf allen meinen Gängen und Reisen begleitet. Zu diesem Zwecke[b] | habe ich bisher junge Volontärinnen angestellt, denen ich aber aus Mangel an Mitteln kein Gehalt geben kann. Die Folge davon ist, daß ich solche Hilfspersonen[1] sehr schwer erhalten und daß ich sie nicht längere Zeit bei mir festhalten kann. So bin ich dauernd umso mehr in großer Verlegenheit, als ich mich trotz meiner 71 Jahre noch sehr aktiv wissenschaftlich betätige, sowohl durch eigene Publikationen als durch Organisation fremder Arbeiten. Ich habe dadurch auch eine sehr umfangreiche Korrespondenz zu bewältigen, sodaß meine Hilfskraft vollauf beschäftigt ist, ja öfters beschäftige ich sogar zwei Personen gleichzeitig.
Ein ebenfalls erblindeter Jugendfreund[2], ein berühmter süddeutscher Gelehrter, der genau in derselben Lage ist wie ich, bekommt von seiner Regierung zum Zweck der Erhaltung einer Privatsekretärin einen ansehnlichen Beitrag. So möchte ich um die Freiheit bitten, meinerseits dies Gesuch um eine außerordentliche Erhöhung meiner Bezüge einzureichen, sodaß ich einer Privatsekretärin das jetzt übliche Gehalt für solche Hilfskräfte bezahlen kann, daß ja jetzt auch von Monat zu Monat unheimlich steigt.
Außer einer Privatsekretärin habe ich noch einen wissenschaftlich geschulten Stellvertreter notwendig, als welcher der Privatgelehrte Dr. Raymund Schmidt aus Magdeburg, (jetzt in Leipzig), für mich tätig ist. Dieser hat die Aufgabe, die von mir vor einigen Jahren gegründete Zeitschrift „Annalen der Philosophie“, die jetzt eben ihren 4. Jahrgang beginnt, in meinem Sinne und nach meiner Anleitung zu redigieren, sowie das von mir vor einem Jahr ins Leben gerufene Sammelwerk „Bausteine zu einer Philosophie des Alsob“ herauszugeben, | ferner Vorträge über meine philosophische Richtung an verschiedenen Orten (Leipzig, Halle, Dresden, Holland) zu halten, sowie auch sonstige Arbeiten im Interesse der von mir geschaffenen philosophischen Richtung auszuführen und endlich auch noch meinen noch unvollendeten Kantkommentar zu Ende zu führen[3]. Dadurch nehme ich natürlich seine Zeit und Kraft stark in Anspruch, und ich muß ihn dafür natürlich angemessen entschädigen.
Vielleicht darf ich hier noch anführen, daß ich[c] jetzt auch zur Wiederherstellung meiner Gesundheit, nach einer bösen Infektionskrankheit, enorme Ausgaben zu machen habe. So habe ich für die Behandlung durch meinen Hausarzt von Januar bis Anfang März 111 500 M, und von Mitte März bis Anfang Juni 563 000 M zu bezahlen. Dazu tritt demnächst noch eine voraussichtlich sehr hohe Summe für Behandlung mit Röntgen-Strahlen durch den ersten hiesigen Spezialisten. Außerdem ist mir eine längere Luftkur im Thüringer Wald angeordnet, die natürlich doppelt so teuer für mich ist, da ich ja keinen Schritt allein machen kann und deshalb eine Begleitung mitnehmen muß.
Als ich vor etwa einem Jahre 70 Jahre alt wurde, wurde mir vom hohem Ministerium, vom Kurator hier, vom Rektor und vom[d] Dekan der Philosophischen Fakultät sowie durch zahlreiche Artikel in der Presse in einer für mich sehr ehrenvollen Weise einstimmig bezeugt, daß meine langjährige Tätigkeit von Wichtigkeit für die deutsche Wissenschaft geworden sei, und daß meine philosophische Richtung einen bedeutsamen Faktor in der Entwicklung der Philosophie darstelle. Mit Recht ist dabei auch meiner nun fast 20jährigen Arbeit für die Kantgesellschaft gedacht worden, einer der wichtigsten deutschen wissenschaftlichen Vereinigungen, für die ich | so viele Jahre lang übermäßig viel Zeit und Kraft unentgeltlich geopfert habe. Dasselbe ist der Fall mit den nun im 28. Jahrgang stehenden „Kantstudien“, die ich sehr viele Jahre lang nicht nur ohne jegliche Entschädigung, sondern mit vielen pekuniären Opfern geführt habe.
Aus Mangel an Mitteln war ich vor zweieinhalb Jahren genötigt, meine sehr wertvolle Bibliothek vorzeitig zu verkaufen[4].
So darf ich vielleicht die Hoffnung aussprechen, daß ich für die wenigen Jahre, die ich noch zu leben habe, einen meinen Verhältnissen entsprechenden genügenden Gehalt bekomme.
Dieser mein Wunsch würde sich, soweit ich das übersehen kann, am besten in folgender Weise erfüllen lassen. Nach der Mitteilung des hiesigen Kuratoriums beträgt jetzt mein Grundgehalt als außerordentlicher Professor für den Monat 1 655 000 M. Dieser Gehaltssatz ist auch mir als persönlichem Ordinarius zugewiesen, während ich als planmäßiger Ordinarius den Normalgrundgehalt von 1 960 000 M bekommen würde. Es ist nun wohl aus finanztechnischen Gründen nicht ohne weiteres möglich, mich einfach in die Klasse der planmäßigen Ordinarien zu versetzen, wohl aber dürfte es möglich sein, mir durch Gewährung eines außerordentlichen Zuschusses von 18% auf indirektem Wege, den Normalgehalt eines planmäßigen Ordinarius zu geben: diese 18% Zuschuss zum Grundgehalt von 1 655 000 M machen 299 700 M aus, so ziemlich entsprechend dem[e] Unterschied der beiden Grundgehälter der ordentlichen und außerordentlichen Professoren in Höhe von 2 950 000 M. Diese Erhöhung meines Grundgehaltes um 18% würde dann die weiteren entsprechenden Erhöhungen automatisch zur Folge haben. | Damit würde mein Gesamtgehalt noch lange nicht die Summe erreichen, die in besonderen Fällen an andere meiner Kollegen hier ausbezahlt wird.
Ich bitte Sie, hochzuverehrender[f] Herr Minister, mir meine Bitte hochgeneigtest zu gewähren[5], vielleicht mit rückwirkender Kraft vom 1. April an und zeichne als Ihr ehrerbietig ergebenster
gez[eichnet] Vaihinger
Halle a. S., den[g] 26. Juli 1923.
Kommentar zum Textbefund
b↑Zwecke ] Zwek-ke Silbentrennung am Seitenwechsel, zuvor Kustode -ke; nach Seitenwechsel Paginierung 2. Auf die Mitteilung dieser Befunde wird im Fortgang verzichtet; die Paginierung reicht bis 5.Kommentar der Herausgeber
1↑solche Hilfspersonen ] darunter 1933 ein gewisses Fräulein Otto sowie zuvor Else Bolard. Als Fotokopien liegen der Personalakte in UAHW bei (vermutlich aus dem Nachlass Bolard): 2 Zeugnisse Vaihingers für Else Bolard (Lebensdaten laut beiliegender Todesanzeige 3.10.1893–28.3.1972) aus Halle, vom 12.9.1918 (aushilfsweise von August bis September tätig) und vom 4.4.1921 (als langjährige Privatsekretärin). Tätigkeiten: Vorlesen, Maschineschreiben nach Diktat, Korrespondenzlisten führen.2↑erblindeter Jugendfreund ] gemeint ist vermutlich Paul Hensel (1860–1930, 1888 in Straßburg habilitiert, 1896 ao. Prof. in Straßburg, 1898 in Heidelberg, 1902 o. Prof. in Erlangen, über den Fritz Medicus in Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 561–562 u. a. schreibt: Erstaunlich war die Weite seines Horizontes, ebenso sein stets präsentes Gedächtnis, ihm um so nötiger, als seit seiner Privatdozentenzeit eine Erkrankung beider Augen ihn in zunehmendem Maße zwang, sich mehr vorlesen zu lassen als selbst zu lesen. Dieses Leiden hat ihn auch daran gehindert, umfangreiche Werke zu verfassen. – Außer dem in Vaihinger an Gottfried Meyer vom 26.3.1924 enthaltenen Schreiben keine Korrespondenz mit Vaihinger nachgewiesen; keine Erwähnung Vaihingers in: Elisabeth Hensel (Hg.): Paul Hensel. Sein Leben in seinen Briefen. Societäts-Verlag Frankfurt a. M. 1937.3↑zu Ende zu führen ] dazu kam es nicht; Raymund Schmidt war lediglich Hg. der 2. Aufl. der beiden bisher erschienenen Bände (Stuttgart, Berlin, Leipzig: Union/Deutsche Verlagsgesellschaft 1922).4↑Bibliothek vorzeitig zu verkaufen ] vgl. Vaihinger an Minister Haenisch vom 24.2.1920 sowie an Fritz Mauthner vom 6.10.1920.5↑mir meine Bitte hochgeneigtest zu gewähren ] der Bescheid erging am 3.9.1923 (in derselben Akte): anteilige Kostenerstattung für Hilfskraft (Sekretärin) nach Vorlage genauer Aufstellung der Kosten; ein wissenschaftlicher Stellvertreter kann nicht unterstützt werden, eine nachträgliche Gehaltserhöhung ist gesetzlich nicht möglich. Am 27.11.1923 wurde ein Vorschuss über zehn Billionen Mark gewährt; zuvor hatte Vaihinger am 15.10.1923 die Gewährung einer weiteren Beihilfe zur Beschäftigung einer Hilfskraft beantragt, da deren Stelle kein Familienmitglied einnehmen konnte: Außerdem lebt bei uns unser Sohn, 31 Jahre alt, Techniker in einem hiesigen großen elektrischen Geschäft. Seine Arbeit besteht im Berechnen elektrischer Anlagen, was den ohnedies sehr kränklichen jungen Mann so überaus anstrengt, daß er während seiner freien Zeit vielfach sogar das Bett aufsuchen muß. – Am 3.12.1925 wurde Vaihinger eine weitere Notstandsbeihilfe, diesmal über 370 Reichsmark bewilligt. Vgl. außerdem die der Akte Vormundschaftssache | betr. den wegen Geistesschwäche entmündigten Techniker Richard Vaihinger (zu UAHW PA 16386) lose eingelegte Postkarte Vaihingers an Universitätskurator Hermann Sommer (Bildseite: Photographie Wiesbaden – Heidenmauer mit röm. Tor – La porte romaine | The gate Roman), keine Poststempel (Postwertzeichen abgelöst): z. Z. Eisenach, Prinzenstr. 11. Pension Volkmann / d. 13.8.25. / Verehrtester Herr Kurator! / Jetzt nachdem ich meine 6wöchentliche Kur in Wiesbaden mit gutem Erfolg abgeschlossen habe, u. nachdem wir zu der vorgeschriebenen 4wöchentlichen Nachkur hierher übergesiedelt sind, drängt es mich, Ihnen für Ihr so erfolgreiches Eintreten für mich beim Ministerium den allerherzlichsten Dank auszusprechen, der mir sowohl in Wiesbaden als hier immer aufs Neue wieder zum Bewußtsein kommt. Hoffentlich haben auch Sie selbst eine geeignete Sommerfrische gefunden, nebst Ihrer Frau Gemahlin. Mit besten Empfehlungen Ihr ergebener / Vaihinger▲