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- TitleVaihinger an Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Konrad Haenisch, Halle, 24.2.1920, 4 S., Ts., keine eU, Abschrift, Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, PA 16386 (Personalakte Vaihinger)
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- Physical LocationUniversitätsarchiv Halle-Wittenberg, PA 16386 (Personalakte Vaihinger)
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Vaihinger an Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Konrad Haenisch, Halle, 24.2.1920, 4 S., Ts., keine eU, Abschrift, Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, PA 16386 (Personalakte Vaihinger)
Halle, den 24. Februar 1920.
Gesuch des persönlichen, z. Zt. von seinen amtlichen Verpflichtungen entbundenen Ordinarius für Philosophie an der Universität Halle, Prof. Dr. H. Vaihinger, um Gewährung der Kriegsteuerungszulage
Herr Minister
Gestatten Sie, daß ich folgendes Gesuch Ihrer wohlwollenden Prüfung unterbreite.
Am 1. April 1884, in meinem 32. Lebensjahre, wurde ich als außerordentlicher Professor der Philosophie an der Universität Halle angestellt. 10 Jahre später, im Sommer 1894, in meinem 42. Lebensjahre, wurde ich zum persönlichen ordentlichen Professor ernannt, unter Beibehaltung meines damaligen Gehalts als außerordentlicher Professor in der Höhe von 4000 M. Nach weiteren 10 Jahren, nach dem Tode des 80jährigen ordentlichen Professors Haym bestand die Absicht, beim damaligen Preußischen Kultusministerium mir ein etatsmäßiges Ordinariat zu übertragen, doch trat gerade um jene Zeit ein schweres chronisches Augenleiden bei mir ein, das mich nötigte, zum 1. April 1906 um Enthebung von meinen amtlichen Verpflichtungen zu bitten. Es wäre für mich damals ein Leichtes gewesen, dieses Gesuch noch so lange hinauszuschieben, bis das planmäßige Ordinariat mir übertragen worden wäre. Natürlich verzichtete ich jedoch darauf, was ich um so eher tun konnte, als meine Vermögensverhältnisse derart geregelte waren, daß ich bei mäßigen Lebensansprüchen eine auskömmliche Existenz[a] hatte, trotz|dem[b] mein Gehalt nur 4000 M betrug.
Der Krieg und seine furchtbaren wirtschaftlichen Folgen haben nun aber auch meine bisherige finanzielle Unabhängigkeit untergraben. Den unverhältnismäßig gesteigerten Ausgaben gegenüber stehen bei mir stark verminderte Einnahmen, so z. B. durch Nichteingang der Zinsen von[c] 30 000 M russ[ischer] Papiere. Außerdem habe ich gerade in den letzten Jahren die Verpflichtung zu neuen großen Ausgaben auf mich nehmen müssen. Erstens nötigt mich mein schweres Augenleiden, dauernd eine eigene Person für mich allein zur Hilfe anzustellen, zu welchem Zweck wir eine Pflegetochter[1] ins Haus genommen haben. Zweitens habe ich einen 28jährigen Sohn, der, schon von Hause aus schwächlich, durch die Strapazen des Krieges nervös so zusammengebrochen ist, daß er dauernd erwerbsunfähig ist, ohne daß er irgendwelche Entschädigung dafür bezieht und so muß ich seinen Aufenthalt in einem Sanatorium voraussichtlich für immer bezahlen; drittens habe ich mich verpflichtet, für ein wissenschaftliches Unternehmen, die „Annalen der Philosophie“ im Interesse der Sache dauernd eine jährliche Unterstützung von 1500 M zu geben.
So habe ich schon im Jahre 1919 nicht mehr von dem Gehalt und den Zinsen unseres Kapitalvermögens leben können, sondern habe vom Kapital wegnehmen müssen.
Das kommende Reichsnotopfer[2] und die weiteren ungeheuerlich gesteigerten Steuern werden nun aber mit unbedingter Sicherheit das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben bei mir vollständig zerstören, und so sehe ich mich leider genötigt, das hohe Ministerium zu bitten, mir eine möglichst hoch bemessene Kriegsteuerungszulage zu gewähren. |
Übrigens darf ich wohl darauf hinweisen, daß ich in den 14 Jahren seit meiner Außerdienststellung wissenschaftlich sehr tätig gewesen bin: erstens habe ich die von mir im Jahre 1904 gegründete Kantgesellschaft, die am 1. April 1906 zur Zeit meiner Außerdienststellung nur ca. 100 Mitglieder hatte, seit dieser Zeit unter Mitwirkung meines Berliner Stellvertreters Professor Liebert, zur Höhe von 2000 Mitgliedern gebracht und sie damit zu einer der größten wissenschaftlichen Gesellschaften nicht blos Deutschlands, sondern der Welt gemacht. Dabei darf ich vielleicht die Bemerkung einfügen, daß ich seit 16 Jahren resp. 17 Jahren meine Zeit und Kraft ohne jeden Entgelt in den Dienst dieser Kantgesellschaft gestellt habe. Zweitens habe ich im Jahre 1911 ein großes wissenschaftliches Werk von 800 Seiten „Die Philosophie des Als Ob“ veröffentlicht, das soeben in 4. Auflage erschienen ist und das anerkanntermaßen eine starke Bewegung in der Philosophie im Inland und im Ausland hervorgerufen hat. Drittens habe ich im vorigen Jahr, 1919, eine neue wissenschaftliche Zeitschrift gegründet „Annalen der Philosophie“, zu deren Herausgabe ich, außer sechs namhaften Philosophen, acht hervorragende Vertreter der verschiedensten Wissenschaften vereinigt habe. In dieser dreifachen Hinsicht habe ich, wie ich wohl sagen darf, der Wissenschaft große Dienste geleistet und besonders auch zur Erhöhung des Ansehens der deutschen Wissenschaft im Ausland beigetragen. So dürfte es sowohl im Inlande als im Auslande ein peinliches Aufsehen erregen, wenn ich mich genötigt sehen würde, zur Deckung meiner Ausgaben meine Bibliothek, speziell meine große Kantbibliothek und andere wertvolle Gegenstände aus meinen Sammlungen etwa nach Amerika oder nach England zu verkaufen[3]. |
Ich bitte, mein Gesuch in gütige Erwägung zu ziehen und mir vom 1. April d[es] J[ahre]s an die Kriegsteuerungszulage zu gewähren[4], wobei ich noch bemerke, daß die Stadt zur Teuerungsklasse A gehört.
gez[eichnet] Vaihinger
Geheimer Regierungsrat, ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität Halle.
Kommentar zum Textbefund
b↑trotz|dem ] am Seitenwechsel Kustode dem (auf die Mitteilung diese Befundes wird im Fortgang verzichtet). Links unten Adresse: An | den Herrn Minister für Wissenschaft, | Kunst und Volksbildung | Berlin.Kommentar der Herausgeber
1↑eine Pflegetochter ] vgl. Goethe- und Schiller-Archiv Weimar, Nietzsche-Archiv, 72/BW 5590, Vaihinger an Elisabeth Förster-Nietzsche, Bl. 160–161: Verlobungsanzeige Margarete Kellermann (Pflegetochter Vaihinger) mit Hans Gattig, 1920. Vaihinger besuchte im Herbst 1919 in Begleitung von Fräulein Margarete Kellermann aus Bad Steben die Salzmannschule Schnepfenthal/Waltershausen in Thüringen, vgl. Schnepfenthäler Nachrichten 118 (1919), Nr. 2 (Herbstnummer) von Dezember 1919, S. 10.3↑zu verkaufen ] vgl. Vaihinger an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (Otto Boelitz) vom 26.7.1923 sowie Vaihinger an Fritz Mauthner vom 6.10.1920; ferner Vaihinger: Kantstudien Band VIII–XIV, sowie Band XVI und XVII gesucht! In: Kant-Studien 27 (1922), S. 247. – 1921 verkaufte Vaihinger seine Büchersammlung an die Leipziger Antiquariatsfirma Gustav Fock. Der Weiterverkauf erfolgte 1923 nach Japan (vgl. das Verzeichnis: https://chssl.lib.hit-u.ac.jp/images/2020/02/Catalog_Hitotsubashi_Soda.pdf (30.9.2024)).4↑die Kriegsteuerungszulage zu gewähren ] am 15.10.1920 gewährte das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, wie aus derselben Akte hervorgeht, einmalig 2000 Mark als außerordentliche Unterstützung.▲