Bibliographic Metadata
- TitleVaihinger an Gottfried Meyer, Halle, 28.12.1915, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf Kantgesellschaft | Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, Rep. 6, Nr. 1862, Bl. 283 (Universitäts-Kuratorium zu Halle a. S. General-Acten betreffend Kantgesellschaft und Kantstiftung. 1904–1943. Teil I)
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- Place and Date of Creation
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- Physical LocationUniversitätsarchiv Halle-Wittenberg, Rep. 6, Nr. 1862, Bl. 283 (Universitäts-Kuratorium zu Halle a. S. General-Acten betreffend Kantgesellschaft und Kantstiftung. 1904–1943. Teil I)
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Vaihinger an Gottfried Meyer, Halle, 28.12.1915, 2 S., Ts. mit eU, Briefkopf Kantgesellschaft | Prof. Dr. Vaihinger | Halle a. S. | Reichardtstrasse 15., Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, Rep. 6, Nr. 1862, Bl. 283 (Universitäts-Kuratorium zu Halle a. S. General-Acten betreffend Kantgesellschaft und Kantstiftung. 1904–1943. Teil I)
28.12.1915.
Hochzuverehrender Herr Geheimer Ober-Regierungsrat!
Vor einiger Zeit, am 20. Dezember, teilte ich Ihnen mit[1], dass die Geschäftsführung der Kantgesellschaft neuerdings Schwierigkeiten mit der Verlagsfirma Reuther & Reichard hat. Der eine Inhaber der Firma Herr Reuther[2] leidet an Altersschwäche und will bald aus dem Geschäft austreten, es fehlt ihm jetzt immer mehr die nötige Übersicht. Der andere, jüngere Geschäftsinhaber, Herr Reichard[3], leidet an immer mehr zunehmender Taubheit: er ist, abgesehen von dem Fehler aller Schwerhörigen, dem Misstrauen, und der Ängstlichkeit, ausserdem geneigt zu einer formalistischen Auslegung unserer Verträge. So bestimmt der Vertrag zwischen K[ant] G[esellschaft] und Verlag über die zu liefernden Freiexemplare der Kantstudien an die Mitglieder der K. G. (vom 15. bis 16. Mai 1905[4]), dass der Ausfall an Abonnenten der K[ant] St[udien] (der Verlag hatte bei Eingehen des Vertrages 183 Abonnenten auf die K. St.) dem Verlag durch die K. G. mit je 9 Mark vergütet werde. Die Bestimmung hatte das Motiv, dass durch die Gründung der Kantgesellschaft eventuell Solche, welche bis dahin Abonnenten der K. St. waren, Mitglieder der Gesellschaft werden könnten, als welche sie die K. St. gratis erhalten. Nun sind infolge des Krieges im Jahre 1915 eine Anzahl von Abonnenten abgefallen, resp. ausgefallen, speziell Abonnenten im feindlichen Ausland, in erster Linie Bibliotheken. Wir Geschäftsführer glauben nicht, dass die K. G. verpflichtet ist, auch diesen Ausfall zu vergüten. (Wir würden dadurch ca. 300 M.- an den Verlag zu bezahlen haben.) Erstens werden die meisten dieser ausgefallenen Abonnenten nach dem Kriege wieder eintreten und die ihnen fehlenden Bände wieder anschaffen. Zweitens liegt hier, worauf Sie mich gütigst aufmerksam machten, vis major vor, an welcher wir nicht schuldig sind: Die Firma hat den durch den Krieg hier entstehenden Schaden selbst zu tragen, gerade wie die Kantgesellschaft den Schaden von 4000 M. zu tragen hat, der ihr durch den Ausfall von 200 Mitgliedern im Kriegsjahr 1915 entstanden ist.
Für den Fall, dass die Firma auf ihrem formalistischen Standpunkt stehen bleibt, erscheint es als der einzige zweckmässige Weg einen Druck auf die Firma auszuüben, was nur durch Kündigung des betreffenden Vertrags[5] möglich ist. Kündigungsfrist ist der Termin: spätestens 14 Tage nach Ausgabe des ersten Heftes eines Bandes der K. St. Das erste Heft des neuen Jahrganges 1916 erscheint als Festheft zu Euckens siebzigstem Geburtstag am 5. Januar 1916. Es müsste also spätestens bis zum 19. Januar gekündigt werden.
Nun aber hat der andere Hauptvertrag der K. G. mit dem Verlag vom 2. bis 4. Juli 1914 (Kommissionsvertrag zwischen K. G. und Verlag über Verkauf der Erg[änzungs] Hefte, Neudrucke und Vorträge) eine ganz andere Kündigungsfrist: „Kündigung jederzeit, aber immer nur auf 31. Dezember des folgenden Jahres.“ Bei dem Abschluss dieses Vertrages drang die Verlagsbuchhandlung auf diese Terminbestimmung, aber es stellt sich nun | heraus, dass die K. G. durch diesen Kündigungstermin sehr benachteiligt ist: würden wir den Vertrag von 1905 am 19. Januar 1916 kündigen, so würde diese Kündigung das Vertragsverhältnis zwischen K. G. und Verlag am 31. Dezember 1916 beenden. Würden wir dann aber gleichzeitig oder nachher den Vertrag von 1914 kündigen, so würde eine solche Kündigung das Vertragsverhältnis zwischen K. G. und Verlag erst für 31. Dezember 1917 beenden.
Durch diese Differenz um ein ganzes Jahr würde aber eine eventuelle Anknüpfung mit einem neuen Verleger überaus erschwert werden. Wir sind hierauf aufmerksam gemacht worden von unserem Mitglied Dr. Felix Meiner in Leipzig, den wir als Vertrauensmann zur Beratung hinzugezogen haben, welcher mich vor ein paar Tagen hier besucht hat.
Ganz abgesehen von dem vorliegenden Falle, also von der Frage, ob der Verlag seine Forderung über den Ersatz des Ausfalles der Abonnenten festhält oder nicht, erhebt sich für uns die prinzipielle Notwendigkeit, eine Konformität zwischen den beiden Verträgen inbezug auf die Kündigungsfrist herbeizuführen.
Dies ist aus folgendem Grunde notwendig: es ist sehr wahrscheinlich, dass die Firma Reuther und Reichard in absehbarer Zeit in andere Hände übergeht[6], weil keiner der beiden jetzigen Inhaber der Firma geeignete Erben hat. Wir müssen dann neuen Inhabern der Firma gegenüber günstigere Kündigungsbedingungen haben.
Aus allem diesem ergibt sich nun, dass für uns die Notwendigkeit besteht, den Vertrag von Juli 1914 jetzt vor Jahresschluss zu kündigen: denn dann gilt die Kündigung dieses Vertrages auf 31. Dezember 1916, mit welchem Tage dann das Vertragsverhältnis zu Ende geht.
Die jetzige Kündigung des Vertrages vom Juli 1914 braucht aber garnicht die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Firma Reuther & Reichard zur Absicht zu haben (denn die Firma wird schon durch diese Kündigung so in Schrecken versetzt werden, dass sie von ihrer ungerechten Forderung ablassen wird) sondern die jetzige Kündigung des Vertrages vom Juli 1914 soll zunächst nur die Absicht verfolgen, die Verlagsfirma zu veranlassen, die in jenem Vertrag festgesetzte für die K. G. ungünstige Kündigungsfrist zu ändern und mit der Kündigungsfrist des Vertrages von 1905 konform zu machen[7].
Im Anschluss an das vorstehende beehre ich mich daher ein entsprechendes Schreiben an die Verlagsfirma beizulegen[a]. Ich werde mir erlauben, morgen Mittwoch in Ihre Sprechstunde zu kommen, um ev[entuell] noch weitere Aufschlüsse geben zu können.
In aufrichtiger Verehrung Ihr ganz ergebenster
Vaihinger
Kommentar zum Textbefund
Kommentar der Herausgeber
2↑Herr Reuther ] Heinrich Reuther (1847–1923), vgl. Würffel: Lexikon deutscher Verlage (2000), S. 708.3↑Herr Reichard ] Otto Reichard (1861–1923), vgl. Würffel: Lexikon deutscher Verlage (2000), S. 708.4↑vom 15. bis 16. Mai 1905 ] vgl. den Verlagsvertrag über die Zeitschrift Kant-Studien vom 15./16.5.1905 in der vorliegenden Edition.5↑Kündigung des betreffenden Vertrags ] vgl. in derselben Akte den Vertrag zwischen dem Verlag Reuther & Reichard, Vaihinger und Bruno Bauch über Verlag und Redaktion der Zeitschrift Kant-Studien vom 9.12.1903 (Abschrift). Dazu Ergänzungen und Änderungen vom 15.5./16.5.1905 sowie 2.4./4.7.1914. Außerdem Mitteilungen über die Kündigung seitens der Kantgesellschaft Anfang 1916, sowie Rückzug der Kündigung im selben Jahr. Ein Verlagswechsel fand erst mit Jg. 28 (1923) zum Berliner Pan-Verlag Rolf Heise statt.6↑in andere Hände übergeht ] nach dem Tod der Verlagsinhaber waren das Witwe und Sohn Otto Reichards: Marie Reichard und Heinrich Reichard sowie Kurt Werner als Geschäftsführer. Der Verlag bestand bis 1935 (Würffel: Lexikon deutscher Verlage, 2000, S. 708).7↑konform zu machen ] vgl. den Schriftwechsel Gottfried Meyers mit der Verlagsbuchhandlung Reuther & Reichard von Januar 1916 (Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, Rep. 6, Nr. 1862, Teil I), woraus hervorgeht, dass die Kantgesellschaft die Kündigung des Verlagsvertrages vom 29.12.1915 zurücknahm, nachdem die Verlagsbuchhandlung am 11.1.1916 zugestimmt hatte, die Kündigungsfristen zu harmonisieren (jeweils bis spätestens 1. Mai auf den 31. Dezember desselben Jahres), sowie dass die in dem Vertrage vom 15. bis 16. Mai 1905 festgesetzte Entschädigungpflicht der Kantgesellschaft für ausgefallene Abonnenten der Kantstudien an uns nicht ausgedehnt wird auf die infolge des Krieges ausgefallenen Abonnenten. – In derselben Akte befindet sich der Vertrag zwischen dem Berliner Pan Verlag (Inhaber Rolf Heise) und Arthur Liebert über die Übernahme des Verlages der Zeitschrift Kant-Studien zum Jg. 28 (1923) vom 21.12.1922.▲