Giessen, 27. Juli 11.

Verehrtester Herr Kollege!

Vor allem den herzlichsten Dank für Ihren guten Rat betr[effend] Hume; ich werde ihn, wenn mich meine anderen Arbeiten dazukommen[a] lassen, möglichst bald befolgen, indem ich zunächst Hönigswalds Schrift[1] lese und dann event[uell] bei ihm weitere Auskunft erbitte.

Auf Ihre „Als ob“-[b]Schrift[2] freue ich mich schon lange. Ich werde sie, wenn ich hier bleibe, im Wintersemester[c] zunaechst im Kolleg behandeln und dann vermutlich[d] ein Aufsätzchen für die[e] Intern[ationale] Wochenschrift[3] darüber schreiben. Ihr[f] Gedanke ist genial; daher wird Ostwald[g] beglückt aufatmen, wenn er hört, dass er[h] schon so früh in Ihnen entstanden ist![i][4]

Ich selbst lese in diesem Sommer über | den[j] „Aufbau der Systeme“ und werde nun wohl auch im Publizieren der diesem Problem gewidmeten Aufsätze (Zeitschrift[k] f[ür] Psych[ologie])[l] wieder ordentlich vorankommen. In diesen Tagen beendige ich den mir persönlich besonders wichtigen Aufsatz: „die Behandlung Kantischer Dualismen bei den unmittelbaren Nachfolgern Kants“.[5] Ich habe dabei Gelegenheit, dem Leser alle die Formen einer solchen Behandlung in empirischem Nachweis vor Augen zu führen, die ich später einzeln erörtern möchte. Da die Aufsätze später ein Buch werden sollen[6], so hoffe ich auf Ihren Rat für Künftige Verbesserungen.

Was Tübingen[7] anlangt, so weiss ich direkt von einem Fakultätsmitglied nur, dass ich an 2. Stelle stehe und[m] dass man trotzdem meine Berufung für wahrsch[einlich] hält. Hier habe ich gehört, Külpe sei N^o 1, Becher N^o 3. Messer | soll einem Gerücht zufolge wegen seines Austritts aus der Kathol[ischen] Kirche[8] nicht auf d[er] Liste stehen[n] (Konvikt, Zentrum). Ob das richtig ist, weiss ich nicht. Er hat hier auch Gegner, die über[o] ihn vielleicht nicht günstig berichtet haben.

Ich selbst würde es für meine Pflicht halten, nach T[übingen] zu gehen, da ich die 3 Semester Freiheit[9] dazu benutzt habe, Klarheit über meine Zukunftsplaene und die Methode ihrer Verwirklichung zu erlangen. Da ich in diesem Winter 50 Jahre alt[p] werde, bin ich aber doch vielleicht der Regierung zu betagt[q]. Jedenfalls bin ich mindestens ebenso froh, wenn ich hier in meiner Ruhe bleiben kann, obwohl es ja natürlich immer ein lockender Gedanke ist, „noch einmal anzufangen“.

Nochmals herzlichen Dank für Ihren so freundl[ichen] Brief[10]!

Mit den besten Grüssen von Haus zu Haus Ihr sehr erg[ebener]

K Groos.